108.
An Pastor Dingelstedt

[254] In dieser Dunkelheit der Trennungen von Freunden,

In dieser Einsamkeit von ädlerem Genuß,

Umringt vielleicht, wie Du, von innern, äußern Feinden

Wie Du – um kurz zu seyn – von Lebensüberdruß,

Ach treuer Dingelstedt! was kann, um Dich zu trösten,

Da wir am Grabe stehn, wo all Dein Glück itzt ruht,

Was kann ich sagen? – – – Ist die Hofnung der Erlösten

Nicht unser bestes Rittergut?

Sie liebte – Ach warum mit Bildern Dich bestürmen

Die Dir des Freundes Hand, mit Recht itzt hart – entzieht – –

Sie ist nicht mehr – – – Sie ist! sie wird Dich noch beschirmen

Wenn rathlos sich Dein Geist um nach dem Hafen sieht

Und keinen finden kann, ich sage redlich, keinen

Als immer nur den alten einen.

Sie ist! Du zweiffelst Freund! nein Aedler! zweifle nicht!

Es leben wenig Freund' auf Erden

Und immer mehr wirds der Beschwerden

Der Mißverständnisse, des Mißtrauns und des Wahns,

Des Wiederspruchs verschiedner Plans.

Allein sie ist! und feiner, ädler, fester

Lebt sie nun ganz für Dich, Du Bester!

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 254-255.
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