Zweiter Auftritt


[665] Riccaut de la Marliniere. Das Fräulein. Franziska.


RICCAUT noch innerhalb der Szene. Est-il permis, Monsieur le Major?

FRANZISKA. Was ist das? Will das zu uns? Gegen die Türe gehend.

RICCAUT. Parbleu! Ik bin unriktig. – Mais non – Ik bin nit unriktig – C'est sa chambre –

FRANZISKA. Ganz gewiß, gnädiges Fräulein, glaubt dieser Herr, den Major von Tellheim noch hier zu finden.

RICCAUT. Iß so! – Le Major de Tellheim; juste, ma belle enfant, c'est lui que je cherche. Où est-il?

FRANZISKA. Er wohnt nicht mehr hier.

RICCAUT. Comment? nok vor vier un swanzik Stund hier logier? Und logier nit mehr hier? Wo logier er denn?

DAS FRÄULEIN die auf ihn zu kömmt. Mein Herr, –

RICCAUT. Ah, Madame, – Mademoiselle – Ihro Gnad verzeih –

DAS FRÄULEIN. Mein Herr, Ihre Irrung ist sehr zu vergeben, und Ihre Verwunderung sehr natürlich. Der Herr Major hat die Güte gehabt, mir, als einer Fremden, die nicht unter zu kommen wußte, sein Zimmer zu überlassen.

RICCAUT. Ah voilà de ses politesses! C'est un très- galant-homme que ce Major!

DAS FRÄULEIN. Wo er indes hingezogen, – wahrhaftig, ich muß mich schämen, es nicht zu wissen.

RICCAUT. Ihro Gnad nit wiß? C'est dommage; j'en suis faché.[665]

DAS FRÄULEIN. Ich hätte mich allerdings darnach erkundigen sollen. Freilich werden ihn seine Freunde noch hier suchen.

RICCAUT. Ik bin sehr von seine Freund, Ihro Gnad –

DAS FRÄULEIN. Franziska, weißt du es nicht?

FRANZISKA. Nein, gnädiges Fräulein.

RICCAUT. Ik hätt ihn zu sprek sehr notwendik. Ik komm ihm bringen eine Nouvelle, davon er sehr frölik sein wird.

DAS FRÄULEIN. Ich betauere um so viel mehr. – Doch hoffe ich, vielleicht bald, ihn zu sprechen. Ist es gleichviel, aus wessen Munde er diese gute Nachricht erfährt, so erbiete ich mich, mein Herr –

RICCAUT. Ik versteh. – Mademoiselle parle françois? Mais sans doute; telle que je la vois! – La demande etoit bien impolie; Vous me pardonnerés, Mademoiselle. –

DAS FRÄULEIN. Mein Herr –

RICCAUT. Nit? Sie sprek nit Französisch, Ihro Gnad?

DAS FRÄULEIN. Mein Herr, in Frankreich würde ich es zu sprechen suchen. Aber warum hier? Ich höre ja, daß Sie mich verstehen, mein Herr. Und ich, mein Herr, werde Sie gewiß auch verstehen; sprechen Sie, wie es Ihnen beliebt.

RICCAUT. Gutt, gutt! Ik kann auk mik auf deutsch explizier. – Sachés donc, Mademoiselle – Ihro Gnad soll also wiß, daß ik komm von die Tafel bei der Minister – Minister von – Minister von – wie heiß der Minister da draus? – in der lange Straß? – auf die breite Platz? –

DAS FRÄULEIN. Ich bin hier noch völlig unbekannt.

RICCAUT. Nun, die Minister von der Kriegsdepartement. – Da haben ik zu Mittag gespeisen; – ik speisen à l'ordinaire bei ihm, – und da iß man gekommen reden auf der Major Tellheim; et le Ministre m'a dit en confidence, car Son Excellence est de mes amis, et il n'y a point de mystères entre nous – Se. Exzellenz, will ik sag, haben mir vertrau, daß die Sak von unserm Major sei auf den Point zu enden, und gutt zu enden. Er habe gemakt ein Rapport an den Könik, und der Könik habe darauf resolvier, tout-à-fait en faveur du Major. – Monsieur, m'a dit Son Excellence, Vous comprenés bien, que tout depend de la maniere, dont on fait envisager les choses au Roi, et Vous me connoissés.[666] Cela fait un très-joli garçon que ce Tellheim, et ne sais-je pas que Vous l'aimés? Les amis de mes amis sont aussi les miens. Il coute un peu cher au Roi ce Tellheim, mais est-ce que l'on sert les Rois pour rien? Il faut s'entr'aider en ce monde; et quand il s'agit de pertes, que ce soit le Roi, qui en fasse, et non pas un honnêt-homme de nous autres. Voilà le principe, dont je ne me depars jamais. – Was sag Ihro Gnad hierzu? Nit wahr, daß iß ein brav Mann? Ah que Son Excellence a le coeur bien placé! Er hat mir au reste versiker, wenn der Major nit schon bekommen habe une Lettre de la main – eine Könikliken Handbrief, daß er heut infailliblement müsse bekommen einen.

DAS FRÄULEIN. Gewiß, mein Herr, diese Nachricht wird dem Major von Tellheim höchst angenehm sein. Ich wünschte nur, ihm den Freund zugleich mit Namen nennen zu können, der so viel Anteil an seinem Glücke nimmt –

RICCAUT. Mein Namen wünscht Ihro Gnad? – Vous voyés en moi – Ihro Gnad seh in mik le Chevalier Riccaut de la Marliniere, Seigneur de Pret-au-val, de la Branche de Prensd'or. – Ihro Gnad steh verwundert, mik aus so ein groß, groß Familie zu hören, qui est veritablement du sang Royal. – Il faut le dire; je suis sans doute le Cadet le plus avantureux, que la maison a jamais eu – Ik dien von meiner elfte Jahr. Ein Affaire d'honneur makte mik fliehen. Darauf haben ik gedienet Sr. Päbstliken Eilikheit, der Republik St. Marino, der Kron Polen, und den Staaten-General, bis ik endlik bin worden gezogen hierher. Ah, Mademoiselle, que je voudrois n'avoir jamais vû ce paisla! Hätte man mik gelaß im Dienst von den Staaten-General, so müßt ik nun sein, aufs wenikst Oberst. Aber so hier immer und ewik Capitaine geblieben, und nun gar sein ein abgedankte Capitaine –

DAS FRÄULEIN. Das ist viel Unglück.

RICCAUT. Oui, Mademoiselle, me voilà reformé, et par-là mis sur le pavé!

DAS FRÄULEIN. Ich beklage sehr.

RICCAUT. Vous étes bien bonne, Mademoiselle – Nein, man kenn sik hier nit auf den Verdienst. Einen Mann, wie mik,[667] su reformir! Einen Mann, der sik nok dasu in diesem Dienst hat rouinir! – Ik haben dabei sugesetzt, mehr als swansik tausend Livres. Was hab ik nun? Tranchons le mot; je n'ai pas le sou, et me voilà exactement vis-à-vis du rien. –

DAS FRÄULEIN. Es tut mir ungemein leid.

RICCAUT. Vous étes bien bonne, Mademoiselle. Aber wie man pfleg su sagen: ein jeder Unglück schlepp nak sik seine Bruder; qu'un malheur ne vient jamais seul: so mit mir arrivir. Was ein Hon nêt-homme von mein Extraction kann anders haben für Resource, als das Spiel? Nun hab ik immer gespielen mit Glück, so lang ik hatte nit von nöten der Glück. Nun ik ihr hätte von nöten, Mademoiselle, je joue avec un guignon, qui surpasse toute croyance. Seit funfsehn Tag iß vergangen keine, wo sie mik nit hab gesprenkt. Nok gestern hab sie mik gesprenkt dreimal. Je sais bien, qu'il y avoit quelque chose de plus que le jeu. Car parmi mes pontes se trouvoient certaines Dames – Ik will niks weiter sag. Man muß sein galant gegen die Damen. Sie haben auk mik heut invitir, mir zu geben revanche; mais – Vous m'entendés, Mademoiselle – Man muß erst wiß, wovon leben; ehe man haben kann, wovon su spielen –

DAS FRÄULEIN. Ich will nicht hoffen, mein Herr –

RICCAUT. Vous étes bien bonne, Mademoiselle –

DAS FRÄULEIN nimmt die Franziska bei Seite. Franziska, der Mann tauert mich im Ernste. Ob er mir es wohl übel nehmen würde, wenn ich ihm etwas anböte?

FRANZISKA. Der sieht mir nicht darnach aus.

DAS FRÄULEIN. Gut! – Mein Herr, ich höre, – daß Sie spielen; daß Sie Bank machen; ohne Zweifel an Orten, wo etwas zu gewinnen ist. Ich muß Ihnen bekennen, daß ich – gleichfalls das Spiel sehr liebe, –

RICCAUT. Tant mieux, Mademoiselle, tant mieux! Tous les gens d'esprit aiment le jeu à la fureur.

DAS FRÄULEIN. Daß ich sehr gern gewinne; sehr gern mein Geld mit einem Manne wage, der – zu spielen weiß. – Wären Sie wohl geneigt, mein Herr, mich in Gesellschaft[668] zu nehmen? mir einen Anteil an Ihrer Bank zu gönnen?

RICCAUT. Comment, Mademoiselle, Vous voulés étre de moitié avec moi? De tout mon coeur.

DAS FRÄULEIN. Vors erste, nur mit einer Kleinigkeit – Geht und langt Geld aus ihrer Schatulle.

RICCAUT. Ah, Mademoiselle, que Vous étes charmante! –

DAS FRÄULEIN. Hier habe ich, was ich ohnlängst gewonnen; nur zehn Pistolen – Ich muß mich zwar schämen, so wenig –

RICCAUT. Donnés toûjours, Mademoiselle, donnés. Nimmt es.

DAS FRÄULEIN. Ohne Zweifel, daß Ihre Bank, mein Herr, sehr ansehnlich ist –

RICCAUT. Ja wohl sehr ansehnlik. Sehn Pistol? Ihr Gnad soll sein dafür interessir bei meiner Bank auf ein Dreiteil, pour le tiers. Swar auf ein Dreiteil sollen sein – etwas mehr. Dok mit einer schöne Damen muß man es nehmen nit so genau. Ik gratulier mik, zu kommen dadurk in liaison mit Ihro Gnad, et de ce moment je recommence à bien augurer de ma fortune.

DAS FRÄULEIN. Ich kann aber nicht dabei sein, wenn Sie spielen, mein Herr.

RICCAUT. Was brauk Ihro Gnad dabei su sein? Wir andern Spieler sind ehrlike Leut unter einander.

DAS FRÄULEIN. Wenn wir glücklich sind, mein Herr, so werden Sie mir meinen Anteil schon bringen. Sind wir aber unglücklich –

RICCAUT. So komm ik holen Rekruten. Nit wahr, Ihro Gnad?

DAS FRÄULEIN. Auf die Länge dürften die Rekruten fehlen. Verteidigen Sie unser Geld daher ja wohl, mein Herr.

RICCAUT. Wo für seh mik Ihro Gnad an? Für ein Einfalspinse? für ein dumme Teuff?

DAS FRÄULEIN. Verzeihen Sie mir –

RICCAUT. Je suis des Bons, Mademoiselle. Savés- vous ce que cela veut dire? Ik bin von die Ausgelernt –

DAS FRÄULEIN. Aber doch wohl, mein Herr –

RICCAUT. Je sais monter un coup –[669]

DAS FRÄULEIN verwundernd. Sollten Sie?

RICCAUT. Je file la carte avec une adresse –

DAS FRÄULEIN. Nimmermehr!

RICCAUT. Je fais sauter la coupe avec une dexterité –

DAS FRÄULEIN. Sie werden doch nicht, mein Herr? –

RICCAUT. Was nit? Ihro Gnade, was nit? Donnés- moi un pigeonneau à plumer, et –

DAS FRÄULEIN. Falsch spielen? betrügen?

RICCAUT. Comment, Mademoiselle? Vous appellés cela betrügen? Corriger la fortune, l'enchainer sous ses doits, etre sûr de son fait, das nenn die Deutsch betrügen? betrügen! O, was ist die deutsch Sprak für ein arm Sprak! für ein plump Sprak!

DAS FRÄULEIN. Nein, mein Herr, wenn Sie so denken –

RICCAUT. Laissés-moi faire, Mademoiselle, und sein Sie ruhik! Was gehn Sie an, wie ik spiel? – Genug, morgen entweder sehn mik wieder Ihro Gnad mit hundert Pistol, oder seh mik wieder gar nit – Votre très-humble, Mademoiselle, votre très- humble – Eilends ab.

DAS FRÄULEIN die ihm mit Erstaunen und Verdruß nachsieht. Ich wünsche das letzte, mein Herr, das letzte!


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 665-670.
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