III. Der Geist des Salomo

[259] Ein ehrlicher Greis trug des Tages Last und Hitze, sein Feld mit eigner Hand zu pflügen, und mit eigner Hand den reinen Samen in den lockern Schoß der willigen Erde zu streuen.

Auf einmal stand unter dem breiten Schatten einer Linde, eine göttliche Erscheinung vor ihm da! Der Greis stutzte.

Ich bin Salomo: sagte mit vertraulicher Stimme das Phantom. Was machst du hier, Alter?[259]

Wenn du Salomo bist, versetzte der Alte, wie kannst du fragen? Du schicktest mich in meiner Jugend zu der Ameise; ich sahe ihren Wandel, und lernte von ihr fleißig sein, und sammeln. Was ich da lernte, das tue ich noch.

Du hast deine Lektion nur halb gelernet: versetzte der Geist. Geh noch einmal hin zur Ameise, und lerne nun auch von ihr in dem Winter deiner Jahre ruhen, und des Gesammelten genießen.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 259-260.
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