Vierter Brief

Vom 6. Mai

[537] Herr Mylius hat drei Lustspiele und ein musikalisches Zwischenspiel geschrieben. Das sind seine theatralischen Lorbeern! Das erste Lustspiel ward 1745 in Hamburg gedruckt und heißt »Die Ärzte«. Es ist in Prosa; es hat fünf Aufzüge; es beobachtet die drei Einheiten; es läßt die Bühne vor dem Ende eines Aufzugs niemals leer; es hat keine unwahrscheinliche Monologen. – – Warum darf ich nun nicht gleich darzu setzen: kurz, es ist ein vollkommnes Stück? Warum gibt es gewisse schwer zu vergnügende ekle Kunstrichter, welche eine anständige Dichtung, wahre Sitten, eine männliche Moral, eine feine Satyre, eine lebhafte Unterredung, und ich weiß nicht, was noch sonst mehr, verlangen? Und warum, mein Herr, sind Sie selbst einer von diesen Leuten? Ich hätte Ihnen ein so vortreffliches Quidproquo machen wollen, daß Sie meinen Freund den deutschen Moliere nennen sollten. Ein deutscher Moliere! und dieser mein Freund! O wenn es doch wahr wäre! Wenn es doch wahr wäre! – – Hören Sie nur, Hr. Mylius mußte seine Ärzte auf Verlangen machen, was Wunder, daß sie ihm gerieten, wie – – wie alles, was man auf Verlangen macht. Kurz vorher waren »Die Geistlichen auf dem Lande« zum Vorschein gekommen. Sie kennen dieses Stück; es hatte einen jungen Menschen zum Verfasser, der hier in Berlin noch auf Schulen war, der aber nach der Zeit bessere Ansprüche auf den Ruhm eines guten komischen Dichters der Welt vorlegte, und selbst aus Liebe zur Bühne ein Schauspieler ward, nämlich den verstorbenen Hrn. Krieger. In seinen Geistlichen hatte er die Satyre auf eine unbändige Art übertrieben, und ich weiß überhaupt nicht, was ich von der Satyre halten soll, die sich an ganze Stände wagt. Doch Galle, Ungerechtigkeit und Ausschweifung haben nie ein Buch um die Leser gebracht, wohl aber manchem Buche zu Lesern verholfen. Die Welt konnte sich an den Geistlichen nicht satt lesen; sie wurden mehr als einmal gedruckt; ja sie wurden, was die Leser immer um die Hälfte vermehrt, konfisziert. So eine vortreffliche Aufnahme stach einem[537] Buchhändler in die Augen. Er versprach sich keinen kleinen Gewinnst, wenn man auch andre Stände eine solche Musterung könnte passieren lassen, und trug die Abfertigung der Ärzte dem Hr. Mylius auf, der es auch annahm, ob er gleich selbst unter die Söhne des Äskulaps gehörte. Er brachte sonderbares Zeug in sein Lustspiel: eine Jungfer, der man es ansehen kann, daß sie keine Jungfer mehr ist; ein Paar Freier, die sich über eine künftige Frau zur Hälfte vergleichen, und einen Haufen Züge, die vollkommen wohl in eine schlechte englische Komödie passen würden. – – Doch wie steht es um sein zweites Lustspiel? Es heißt der »Unerträgliche« und ist gleichfalls in Prosa und fünf Aufzügen. Es sollte eine persönliche Satyre sein; muß ich Ihnen im Vertrauen sagen. Allein es gelang ihm mit dem Individuo eben so schlecht, als dort mit der Gattung. Denn mit wenigen alles zu sagen, er schilderte seinen Unerträglichen, ich weiß nicht ob so glücklich, oder so unglücklich, daß sein ganzes Stück darüber unerträglich ward. Die Ärzte und den Unerträglichen machte Hr. Mylius bald nacheinander; sein drittes Stück aber, von welchem ich gleich reden will, folgte erst einige Jahre darauf. Es heißt die »Schäferinsel«; es ist in Versen und hat drei Aufzüge. Wenn ich doch wüßte, wie ich Ihnen einen deutlichen Begriff davon machen sollte. – – Kennen Sie den Geschmack der Frau Neuberin? Man müßte sehr unbillig sein, wenn man dieser berühmten Schauspielerin eine vollkommne Kenntnis ihrer Kunst absprechen wollte. Sie hat männliche Einsichten; nur in einem Artikel verrät sie ihr Geschlecht. Sie tändelt ungemein gerne auf dem Theater. Alle Schauspiele von ihrer Erfindung sind voller Putz, voller Verkleidung, voller Festivitäten; wunderbar und schimmernd. – – Vielleicht zwar kannte sie ihre Herren Leipziger, und das war vielleicht eine List von ihr, was ich für eine Schwachheit an ihr halte. Doch dem sei, wie ihm wolle; genug, daß nach diesem Schlage ungefähr die Schäferinsel sein sollte, welche Hr. Mylius auch wirklich auf ihr Anraten ausarbeitete. Er hätte sie am kürzesten ein pseudopastoralisch-musikalisches Lust- und Wunderspiel nennen können. Nachdem er einmal den Entwurf davon gemacht hatte, kostete ihm die ganze Ausarbeitung[538] nicht mehr als vier Nächte; und so viele bringt ein andrer wohl mit Einrichtung einer einzigen Szene schlaflos zu. So lange er damit beschäftiget war, habe ich ihn, seiner Geschwindigkeit wegen, mehr als einmal beneidet; so bald er aber fertig war, und er mir seine Geburt vorgelesen hatte, war ich wieder der großmütigste Freund, in dessen Seele sich auch nicht die geringste Spur des Neides antreffen ließ. – – Noch ein Wort von seinem Zwischenspiele. Es heißt der »Kuß«; es ward komponiert, und auf der Neuberischen Bühne in Leipzig aufgeführt. Es fanden sich Leute, welche es bewunderten, weil eine gewisse Schauspielerin die Schäferin darinne machte. Der Inhalt war aus der Schäferwelt. – – Verzeihen Sie, mein Herr, daß mir die Schäferwelt den Frühling in die Gedanken bringt; verzeihen Sie, daß das heutige angenehme Wetter mich verleitet, ihn immer ein wenig zu genießen, und daß ich also, Zeit zu gewinnen, schließe. Ich will lieber den ganzen Spaziergang an niemanden, als an Sie denken, als noch ein Wort mehr schreiben; ausgenommen: Leben Sie wohl!

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 3, München 1970 ff., S. 537-539.
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