Das Haupt des heiligen Johannes in der Schüssel

[16] Dei gratia Domina,

Wiebke Pogwisch, Abbatissa,

Thront auf ihrem Fürstenstuhle

Vor dem adligen Convent.


Heilwig Qualen, Mette Tynen,

Abel Rantzow, Geesche Ahlfeldt,

Trienke Bockwoldt, Drud' Rugmooren,

Benedikte Reventlow.


Diese Klosterfräulein lauschen

Sehr andächtig der Aebtissin,

Der Aebtissin Wiebke Pogwisch,

Dei gratia Dominae.


Vor den Schwestern auf der Schüssel,

Und die Schüssel war von Golde,

Liegt das Haupt Johann des Täufers,

Schauderhaft aus Holz geschnitzt.


Eine Stiftung Isern Hinnerks,

Sohn von Geert, dem Großen Grafen.

Als er fromm geworden, ewigt

Isern Hinnerk diesen Kopf.


Doch er machte die Bedingung,

Jedes Fräulein, das zur Nonne

Werden wollte, werden mußte,

Sollte küssen diesen Kopf.
[17]

Außerdem noch, wenn die Nonnen

Diesen Kopf behalten wollten,

Gab er sieben große Dörfer

An den adligen Convent.


Anfangs sträubten sich die Schwestern,

Gar zu scheuslich war das Schnitzwerk,

Doch die Schüssel ist von Golde,

Und die Dörfer bringen Zins. –


Vor der Schüssel, vor den Frauen,

Auf den Marmorfliesen knieend,

Betet unter heißen Schauern,

Betet Anna von der Wisch.


Ihre jungen blauen Augen

Streifen jenes Haupt mit Grauen,

Und sie kann sie nimmer küssen

Diese blutbemalte Stirn.


Immer lebt in ihr der Abend,

Als im Wald die Vögel sangen,

Als die holden blauen Augen

Küßte Detlev Gadendorp.


Wiebke Pogwisch, die Aebtissin,

Spricht zuerst mit milden Worten,

Redet dann in strengen, harten,

Hält ihr vor das Krucifix.


Und mit todtenblassem Antlitz,

Zögernd, langsam geht das Mädchen,

Neigt den kleinen Mund zum Kusse –

Schallend klingt im Hof ein Huf.
[18]

Sporen klirren, Thüren fallen,

Und die Treppen stürmt ein Ritter,

Vor den Schwestern beugt die Kniee

Lächelnd Detlev Gadendorp.


Hat das Mädchen rasch im Arme,

Und zwei Aermchen schlagen hastig

Sich um seinen starken Nacken,

Frei, im Sattel ruht sie schon.


Steinerstarrt in ihren Sesseln

Sitzen stumm die Klosterfräulein.

Steinerstarrt auch die Aebtissin,

Dei gratia Domina.


Doch wie stets es noch gewesen,

Neugier macht ein Weib lebendig,

Um das Bogenfenster drängen

All' die lieben Nönnelein.


Schauen in die Frühlingsfelder,

Hören wie die Lerchen singen.

Fern am Waldesrand ein Hufblitz

Sendet letzten Gruß zurück.

Quelle:
Detlev von Liliencron: Adjudantenritte und andere Gedichte, Leipzig 1883, S. 16-19.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde

Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde

Als einen humoristischen Autoren beschreibt sich E.T.A. Hoffmann in Verteidigung seines von den Zensurbehörden beschlagnahmten Manuskriptes, der »die Gebilde des wirklichen Lebens nur in der Abstraction des Humors wie in einem Spiegel auffassend reflectirt«. Es nützt nichts, die Episode um den Geheimen Hofrat Knarrpanti, in dem sich der preußische Polizeidirektor von Kamptz erkannt haben will, fällt der Zensur zum Opfer und erscheint erst 90 Jahre später. Das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren, der Jurist Hoffmann ist zu dieser Zeit Mitglied des Oberappellationssenates am Berliner Kammergericht, erlebt er nicht mehr. Er stirbt kurz nach Erscheinen der zensierten Fassung seines »Märchens in sieben Abenteuern«.

128 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon