Ixion

[257] Tantalus büßt in endloser Qual,

Ewig bietet Prometheus die Wunde

Für des Geiers unersättlich Mahl,

Und die Felsen rüttelnd im Feuerschlunde

Stöhnt der Titanen Geschlecht.


Was zögerst du, Zeus, auch mich zu strafen?

Deine zermalmenden Blitze trafen[257]

Noch Jeden, der über dein Recht

Das Haupt erhob, und ich bliebe verschont?

Ich, der dir am meisten

Mit Undank gelohnt,

Ich, der mit überdreisten,

Verwegenen Wünschen gelegt die Hand

An dein, des Donneres, unerschütterter Ehre

Diamanthell leuchtendes Eheband,

Ich, der mit diesen Armen umwand

Im Wolkengebild die Hehre,

Die Himmelskönigin, die Ätherumwobene,

Über alle Götter erhobne,

Unnahbare Schönheit der höchsten Macht!


O der seligen, nie verblühenden Nacht!

O der Sehnsucht voll unauslöschlicher Gluten!

Nie, nie wieder stirbt meiner Brust

Jener Umarmung die Lebensfluten

Himmelanschwingende Götterlust.

Wer aber lebt, der die süße Gewalt

Mit mir zu fühlen wüßte,

Da den Umfangenden küßte

Liebend die hingegebne Gestalt?

Alle sind sie gebändigt, verdammt,

Die himmelstürmenden Kampfgenossen,

Und ein neues, dem Gehorchen entstammt,

Ein klein'res Geschlecht ist aufgesprossen.


Voll Schauer vor dem Götterverhaßten

Meiden sie mich, und Alles flieht

Mich, der mehr als alle Trotzeslasten

Auf seiner Seele trägt, der da, wo sie tasten,

Im Entstehen furchtlos das Ende sieht.

Nur die Söhne noch leben, die jener Nacht

Entsproßnen, die Centauren.[258]

Auf den Gebirgen wild und ungeschlacht

Stürmen sie jauchzend hinan, kühn

In Donnergewölk und Hagelschauern,

Des Erzeugers vergessend

Und der Menschen und ihrer kleinen Müh'n,

Einzig mit Löwen im Kampf sich messend.

Wer naht? Seid ihr es, holde Gestalten,

Töchter der Menschen? Im Reigenchor

Hinschwebend, ihr Lockenumwallten?

O wagt euch hervor!

Welche begrüß' ich zuerst, die Lose,

Die sich so reizend im Tanze wiegt,

Oder die Zarte dort, der sich die Rose

Unter dem Schleier ans Stirnband schmiegt?

Scheue, was zagt ihr? Es kommt ein Tag,

Da werden meine Söhne, die siegesfrohen,

Euch erringen beim Festgelag,

Euch zur Hochzeit führen, zum säulenhohen

Felsenpalast, es wird ein Geschlecht

Neuer Titanen erstehen auf Erden,

Das die gestürzten Ahnen rächt!

Mächtiger werden sie sein und werden

Neu erhöhen den Herrscherthron

Über den Wolken. Wisset, ihr Zagenden,

Ixion bin ich! – Ha! – sie sind entflohn.

Mich erkennend, wählten sie die Flucht,

Wie vor dem Pfeile des Jagenden

Bergwild stürzt in die waldige Schlucht.


Weh mir, was träumt' ich! Ich schmückte

Niegebornes aus mit dem Widerschein

Jenes Wahngebildes, das mich entzückte!

Zeus, deine Strafe trifft ein!

Festgebunden an meines Loses

Eherne Fesseln, werd' ich in Ewigkeit[259]

Ringen und leiden um Wesenloses,

Mitten im Sturme der schaffenden Zeit.

Quelle:
Hermann von Lingg: Ausgewählte Gedichte, Stuttgart u. Berlin 1905, S. 257-260.
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