97.

An einen Freund, über dem Tode seines Söhnleins; in Person deß Kindes

[182] Als wie in dieser Stund ein Freund zum Freunde kümmt

Und dann in jener Stund auch wieder Abschied nimmt,

So habt ihr mich, ich euch, O Vater! nur begrüst,

So habt ihr mich, ich euch gehabt und auch vermist

Gar inner kurtzen Zeit, da Titans göldnes Rund

Noch nicht zu meinem Jahr auff halbem Wege stund.

Wie kummts? Ein zartes Kind hat keinen sichren Raum,

Wo da ein brünstig Hengst laufft frey von Stang und Zaum.

Die Welt rast, tobt, schaumt, strampfft; der Laster Sprung und Streich

Ist nicht ein Ding für mich, die Engel sind mir gleich;

Der Himmel ist ein Land für mich und meinen Geist,

Der mich dem frechen Volck der Sünd entweichen heist,

Eh als den stillen Sinn das übergoldte Gifft

Und dessen arge Krafft mein zartes Hertze trifft.[182]

Ich bin, ich bleibe nicht, in dieser tollen Welt,

Und weil das bleiben mir mehr als das seyn gefällt,

So liebt mir sterben mehr als leben, weil ich kan

Dann hören auff zu seyn, zu bleiben fangen an.

Quelle:
Friedrich von Logau: Sämmtliche Sinngedichte, Tübingen 1872, S. 182-183.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sinngedichte
Die tapfere Wahrheit. Sinngedichte. Insel-Bücherei Nr. 614
Sinngedichte / Von Logau, Friedrich (German Edition)