Aus der Trauerspiel »Agrippina«

[86] Die Laster.


Ihr blindes Volk! Wie seid ihr so bethöret?

Wie, daß ihr der Gerechtigkeit

Verkapptes Bild, den blinden Götzen ehret

Und den Altar geliebter Lust entweiht?

Die Götter, die nicht treuen Dienst belohnen,

Sind Weihrauchs nicht, nicht süßer Opfer werth.

Ist euer Dank, sind eures Kampfes Kronen

Nicht Unlust, Haß, Verachtung, Strang und Schwert?

Die Palmen aber unsrer Siegung

Sind Ehre, Reichthum, Lust, Vergnügung.


[87] Die Tugenden.


Ihr thöricht Volk, die ihr der Tugend Licht,

Die Sonne der Vernunft nicht einmal könnt erblicken,

Weil der Begierden Dünst' euch zaubervoll bestricken,

Wir sehnen uns nach euren Aepfeln nicht,

Die außen Gold, inwendig Asche sind.

Ihr lästert unsern Glanz; alleine könnt ihr, Raben,

Uns Sonnen anzuschaun, wohl Adlersaugen haben?

Geht, speist euch nur mit Leichen, Rauch und Wind!

Wir können Wollustgift leicht missen,

Weil wir der Seelen Milch genießen.


Die Laster.


Welch' Nektar kann die Seele mehr erquicken,

Als Zucker süßer Liebesbrunst?

Des Himmels Glanz, den tausend Sterne schmücken,

Ist gegen Ehr' und Purpur Nebeldunst.

Kein Honigthau erfrischt so durst'ge Saaten,

Als Rachgier sich in Feindesblut kühlt ab.[88]

Ihr Armen müßt am Unglücksfeuer braten,

Bis unser Witz euch bringt beschimpft in's Grab.

Wie, daß euch denn für Honig Gallen,

Für Rosen Nesseln so gefallen?


Die Tugenden.


Weichlinge brennt der Keuschheit Nessel zwar;

Doch sie erhält die Lilienbrust vor Fäul' und Flecken.

Der Scharlach saugt mehr Blut der Menschen, als der Schnecken;

Der Demuth Kleid bleibt schwanenrein und klar.

Die Rachgier ist ihr eigner Seelenwurm;

Die Sanftmuth aber kühlt mit Unschuld ihr Gewissen.

Die Bosheit hat ihr Gift von je bezuckern müssen;

Die stillste Luft birgt Schiffbruch, Wind und Sturm.

Zwar Tugend schmeckt den Lippen bitter;

Doch labt ihr Nektar die Gemüther.


Die Gerechtigkeit.


Ja, liebste Kinder, laßt euch nicht der Wollust Circen

Versetzen in der wilden Thiere Zunft![89]

Laßt der Sirenen Lied euch nicht in Abgrund stürzen,

Verstopft das Ohr mit Wachse der Vernunft!

Scheint ihr gleich itzt zu leiden, sie, zu siegen;

Ihr sollt doch Lohn, sie aber Strafe kriegen.


Die Tugenden.


Ach, Göttinn! daß dein Eifer nicht bald bricht!

Denn, hat die Bosheit gleich den Henker im Gewissen,

Kann Tugend auch gleich Lust in Tod und Qual genießen,

So füllt es doch der Blinden Augen nicht.

Ist Tugend gleich sich selber Frucht und Werth,

So gönn' uns doch nur auch der Ehrenzierrath Blätter!

Schick' auf die Höllenbrut einmal ein Unglückswetter,

So wird das Werk sie lehren, daß dein Schwert

Ja schneiden könn', und dein Gewichte

Nach Würden abwiegt Straf' und Früchte.


[90] Die Gerechtigkeit.


Brich, Höll' und Himmel, auf! Ihr, Werkzeug' meiner Werke,

Rach' und Belohnung, kommt, nehmt mein euch an!

Eröffnet aller Welt der großen Göttinn Stärke,

Daß sie Gestirn und Abgrund öffnen kann!

Ihr müßt mit Blitz auf Sünd' und Laster regnen,

Die Tugenden mit Ehrenkränzen segnen.


Die Rache.


Die Erde bricht, daraus die Rache steiget,

Gewaffnet sie mit Gifte, Schwert und Gluth.

Der Blitz versehrt die Wolke, die ihn zeuget;

Der Abgrund selbst frißt seine Schlangenbrut.

Der Ehrsucht Gluth soll grimme Flamme speisen,

Der Wollust Gift durch tödtlich Gift vergehn,

Die Rachgier fällt durch ihr geschliffen Eisen!

Nun werdet ihr, ihr Laster, ja gestehn,

Daß endlich sattsam reife Sünden

Im Leben Pein, im Grabe Schimpf empfinden.


[91] Die Belohnung.


Des Himmels Gunst, der reine Seelen liebt

Und wahre Tugenden mit holdem Aug' anblicket,

Hat euch durch mich den Lohn, den ihr verdient, geschicket;

Empfangt den Kranz, die Palmen, die er giebt!

Kommt, die ihr euch mit Lastern nie befleckt!

Der Wahrheit Sonnenschein tilgt die Verläumdungsdünste,

Der Unschuld Zirkel hemmt der Bosheit Zauberkünste.


Quelle:
Auserlesene Gedichte von Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Daniel Caspar von Lohenstein, Christian Wernike, Friedrich Rudolf Frhr. von Canitz, Christian Weise, Johann von Besser, Heinrich Mühlpforth, Benjamin Neukirch, Johann Michael Moscherosch und Nicolaus Peucker, Leipzig 1838, S. 86-92.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon