Die andre Abhandlung.


[33] Der Schau-Platz verändert sich in den Keiserlichen Spatzir-Saal.

Solimann.


Ist Ossmann bei Vernunfft / ist Soliman bei Sinnen?

Vnd weis nicht was er läst noch thut?

Kan unser zweifelnd Hertz noch Grimm noch Gunst gewinnen?

Noch Rachche beugen unsren Muth?

Läst Eifer und Verstand nicht ihren Fürsten wissen

Wes Er sich sol entschlissen?

Wol; Ossmann wol erwägs / es steht dir beides frei

Ob mehr mit schärff als Gunst hihr zu verfahren sei.

Wol! Ossmann / wol; erwägs! doch was ist zu erwägen /

In dem / was Rachch und Recht gutt spricht?

Verruchter! pflegt darumb die Natter man zu pflägen /

Daß sie uns in die Ferse sticht?

Es ist nicht sicher / nein / der gifftgen Schlangen häucheln

Und mit den Fingern sträucheln.

Nicht sicher; ob man sie mit süsser Milch gleich tränkt /

Daß man sie auff die Schos hebt / und an Halß jhm hängt.

Wol an; verruchter Hund; wol an; weil unsre gütte

Nur einen Drach an dir ernährt;

Nur einen Wurm gesäugt / weil dein verstokt Gemütte

All unsre Lib in Eis verkährt /[33]

All unsre Gunst in Schmach / weil unser guttes hoffen

Im Vndankk ist ersoffen:

Weil du die hold aus-schlägst / und uns gibst Fluch zum Dank

So fühle Mord und Todt und Pein und Hänkkers strang!

Schawn wir trew-loser Hund dich Hund an / als Verrähter

Als Räuber / als ent-lauffnen Knecht

Als flüchtgen Vnterthan / als frechen übelthäter /

Spricht Wohlstand / Majestäth und Recht:

Man mus dich auf den Pfal auf brand- und Holtz-stoß binden

Ja wol lebendig schinden.

Man mus umb Ossmanns Lib umb unsers Reiches Heil

Ergreiffen Stal und Spiff' und Säbel Dolch und Beil.

Man mus dich! aber ach! wer kan das Haupt verdammen

Den Arm dem Hänkker sprächen zu?

Der so vihl Auf-ruhrs bränd und so vihl Kriges-Flammen

Verwächselt zu des Reiches Ruh?

Dem Ossmann Kron und Stuhl / des Reichs verlängte Schranken

Ja Leben schier zu danken.

Wer kan den Ibrahim verdammen / der durch Flucht

Ihm nur mit dem Gemahl nothwändig Ruh gesucht?

Doch was erwägen wir? wird und kan der wol leben?

Der dise / die nur uns gebührt /

Vnd ohne welche wir in ängstgen Säufzern schweben /

Verrähtrisch unsrer Lib entführt?

Wen? umb den Soliman in hitzger Sucht verwäset /

Der unsre Lib aus-bläset?

Kan der wol lebend sein / umb den man gantz vertirbt /

Vmb welchen / Soliman so lang Er lebet / stirbt?

Ach aber! wird uns wol die Fürstin können üben?

Die Fürstin? uns? die wir durch Blut

Durch Ibrahims Verlust Sie bis in Tod betrüben?

Gesätzt! daß ihre Libes-Glut

Des Bassen Blut-Bad ab aus ihrem Hertzen wäschet

Und Ossmanns Grimm ausläschet /

Kan Sie uns holder sein / als an dem strengen Phrat /

Ein Tiger dem / der es der Frucht beraubet hat?[34]

O Zwitracht unsrer Seel und der entsinnten Sinnen!

Wie wenn man Ihn beim Leben liss'?

Ach! würde Sie sonst wen als Ihn recht lihb-gewinnen

So lang Er nicht den Geist ausbliss'?

Nein nein! man sondert nicht das Vnkraut von den Bäumen

Weil seine Wurtzeln käumen.

Weil Ibrahm lebt und übt / des herben Hasses kwell

Findt Ossmanns üb und flehn nicht bei der Fürstin stell.

Ergrimme rechte Rach! Er sterb! er sterb! er sterbe!

Er sterb und kühle Stambuls Grimm!

Zum minsten tröstets uns / daß Sie kein Libs-gewärbe

Nach dem erblasten Ibrahim

Mit andern treiben kan; wird Ossmann sie nicht lenken

Und wo sie Ihn wird kränken!

Ergrimme Soliman / laß Si den Eifer fühln /

Sein Mord und ihr verlust darf unsern Eifer kühln!


Soliman. Rustahn.


SOLIMAN.

Wol gleich zu rechter Zeit hastu dich eingestället!

Hastu den Hund verwahrt? den Hund der uns vergället

Zeit / leben / Lib und Lust?

RUSTAHN.

Mein Fürst / es ist verricht.

SOLIMAN.

Wie stält' er sich? sahst du Ihm unter Augen nicht

Absondre Regung an?

RUSTAHN.

Ein frech und kekk Gebehrden:

Wie die die ohne schuld geführt zur Schlacht-Bank werden.

SOLIMAN.

Oft ists der ärgste Schelm der bei der follter sich

Am unerschroksten ställt.

RUSTAHN.

Der tüksche Dieb fuhr Mich

Doch mehr den Keiser an / mit un-gestümen Worten;

Als wie ein Ketten-Hund der huttsam an der Pforten

Auf iden billt und schnautzt.

SOLIMAN.

Was warff auf uns für Schmach

Sein Läster-Maul heraus?

RUSTAHN.

Mein Keiser gäbe nach

Das Ich mit disem nicht den Sulthan darf verlätzen /

Was un-werth des Gehörs und des Erzählns zu schätzen.

SOLIMAN.

Entdäkk es / was wir wolln.

RUSTAHN.

Idweder Auspruch klang

Nach Lästern / fluch und dräwn / ja / iedes Wort-glid zwang

Mich zur Erbitterung / doch kont ichs so verbeissen[35]

Daß nicht mein Eifer aus in Rache dörfte reissen:

Wiewol der Hund ihm leicht aus Stirn und Augen schlos

Und aus der Zähne knirsch wie sehr es mich verdros.

SOLIMAN.

Laß hören was er log?

RUSTAHN.

Er ließ sich frey verlauten

Das ihre Hoheit blos auf seinen Rükken bauten es

Des Reiches sicherheit / daß / wenn nicht er geschützt

Schach Tachmas längst das Reich des Solimans zerrützt

Und ihn vom Stul gestürtzt / ja / ihm seis zuzumässen

Daß Ossman Keiser sei.

SOLIMAN.

Ha / hastu Hund vergäßen /

Wer du bist und wer wir.

RUSTAHN.

Noch eines; Er gab für

Daß Konstantinus Erb und Reichs-Stul ihm gebühr.

SOLIMAN.

Ihm Schelmen?

RUSTAHN.

Endlich schloß er also: zwar er ställe

Es Ossman gerne frei / ob er ihn lieber fälle

Als zu Genaden nahm: allein er müsse dis

Zuvor ihm offen-bahrn / das ihn sein fall gewis

Auch kürtzlich würde fälln. Sein dräwn sei Blitz und krachen

Ein winken köndte Stadt und Reich auf-rührisch machen /

Ein winken könte dich in Asch und Graus verkährn /

Der Pers' und Türkke stünd ihm / wolt er sie begährn

Gehorsam zu geboth.

SOLIMAN.

O schwaches Mensch-geschöpffe

In was bläßtu dich auf! wol! hättstu tausend Köpffe

Von Stein und Ertzt geetzt / sie müsten alle dran /

Schnautz aber wie du wilst den grossen Welt-Printz an

Doch geht dirs umb den Hals / der Monde kehrt ans bällen

Sich toller Hunde nicht. Man pflägt es heim-zuställen

Dem Spihler der verspihlt / ob er ein Blatt zerreist.

Wie spreust der Käfer sich!! kein todter Hunds-Kopff beist!

Du thust uns kleinen Hohn! wie wenn wir es nicht wüsten?

Der Löwe wird sich nicht ob dieser Maus ent-rüsten!

Bill immer in die Luft! doch! wes Gesichtes nam

Sich an die Isabell als es zum scheiden kam?

RUSTAHN.

Sie thät / mein Fürst / als wenn sie gar vrzweifeln müste.

Sie fihl ihm umb den Hals mit beidem Arm / und küßte

Mit Thränen sein Gesicht / und hilt sich an Ihm an[36]

So feste / daß man Sie schwer von Ihm abgewann.

Es müst / ich selbst gestehs / ein stähl- und steinern Hertze

Zugegen sein gewest / dem Sie mit ihrem Schmertze

Nicht Weh-Muth hett erregt. Er auch war anders nicht

Gebährdet / als ein Mensch dem man den Hals ab /bricht.

Ein mehrers! sie vermaß Sich Ihm und Er Ihr wider

Daß ihre Libes-Glut / wenn Sie gleich ihre Glider

Den Flammen würden solln auf-opffern auf dem Pfal

Doch nicht verglimmen würd.

SOLIMAN.

O neue Seelen-kwal

O bluttger Hertzens-stos! Erweicht noch Printz noch Bittel

Noch Schmach noch Ehre dich? wird auch durch dises mittel

Der Anschlag uns zu nichts / der nächst durch Lindigkeit /

Uns auch zu Wasser ward. O trauriger Bescheid!

Durch was hat Sie der Hund bezaubert und bethöret?

Das ihr verstopftes Ohr nicht unser Drangfaal höret! |

Daß unsrer Hoheit Glantz Sie nicht verbländen kan /

Daß Sie den Kerker mehr als Ossmanns Stul siht an /

Den stoltzen Sklafen küßt / den grossen Printz verlachet

Den Keiser höhnisch hält / und den zum Mörder machet

Zum Mörder / der Sie übt / daß er gezwungen thut

Was Ihm die Rach einbläst / daß er ihr kreuschend Blut

Auf blauen Schweffel-Loh und Flammen lässt verzischen.

Woll last uns noch einmal die bitt mit dräwn vermischen!

Wol laßt uns noch einmal versuchen unser Heil /

Ob mehr der Henker hab als Ossmann an Ihr Theil!


Solimann. Roxelane.


ROXELANE.

Wohin? wie so bestürtzt? mein Keiser / was entdäkket

Das traurige Gesicht? welch neuer Aufflauf stäkket

Das Hertz mit Vnruh an? Wünscht Soliman was mehr

Als daß Er endlich Ihn sein Ossmanns-pochen lehr?

Der der des Fürsten Brust mit un-luft noch behäuffet

Schwimmt in der Welle schon / bis sie Ihn gaar ersäuffet[37]

Und in den Grund verschlingt / so bald als Ossmann läst

Den letzten Zorn-sturm loos und ihn aufs Tods-Meer bläst.

SOLIMAN.

Ja bläst! wenn uns der Wind von nichts ward aufgehalten.

ROXELANE.

Welch anhält ist so stark das man ihn nicht kan spalten?

SOLIMAN.

Der der uns Hertz und Sinn und Hand und Glider hält.

Auf dem Rach Haß und Grimm mit Kraft zurükke prellt

Wie die erboste Schwulst des Meer-schaums an den Felsen.

ROXELANE.

Was ists / mein Fürst / was ists / das den verdammten Hälfen

Das Blut-gericht verschäubt.

SOLIMAN.

Der Rache wider-spihl.

ROXELANE.

Sie sind in Ossmanns Hand.

SOLIMAN.

Sie sinds / doch der so vihl

Nicht Macht hat über sie als da sie weit von hinnen.

ROXELANE.

Wer wird dem Soliman die Hände binden können?

Wer können? längst geschehn.

ROXELANE.

Geschehn / was nimpt / was reift

Aus Stambuls thürmen sie?

SOLIMAN.

Dis was selbst Ossmann preist.

ROXELANE.

Hat wer / der ihm villeicht mit Mitschuld angekettet

Und mit im Spihl gewest / durch Vorbitt Ihn errettet?

SOLIMAN.

Vergebens!

ROXELANE.

Hat sie Ihm der Pöfel loos gemacht?

SOLIMAN.

Nein! auch nicht!

ROXELANE.

Hat betrug sie aus den Fässeln bracht?

SOLIMAN.

Sie irrt!

ROXELANE.

Steht Mohamed der Pers villeicht im wäge?

Daß seine Botschaft sich nicht uns ins Mittel läge /

Weil Ibrahms schlauer Frid ihm schier sein Reich verehrt

Daß ihrer Hoheit hett nach Krigs-Gebrauch gehört?

SOLIMAN.

Vmbsonst! was hätt uns Schach hir thulichs fürzuschreiben?

ROXELANE.

Und nun noch dis / noch das / welch andre gründe treiben

Den Keiser auf den wahn?

SOLIMAN.

Wo nicht auf rechten schlus!

ROXELANE.

Auf rechten schlus? Wenn man den Frefel lassen mus

Gantz un-gestraft hingähn? wenn man dem Ertz-Verräthe

Dem trew-vergäßnen Hund und ärgsten Vbelthäter

Der Galg- und Rad verdihnt / noch durch die Finger siht?

Daß Er verdrüßlich uns als Dorn in Augen blüht?

Kan ihre Hoheit dem kan Rach und Recht vergäben

Der nach des Keisers Stuhl ja nach des Keisers Leben

Meineidisch hat gezihlt?

SOLIMAN.

Man arg-wohnts: aber dis

Das Er das Keiserthumb erhalten / ist gewis.[38]

ROXELANE.

Durch dis erhalten hats der Hund ihm vorbehalten.

SOLIMAN.

Es sei ihm wie ihm sei / man heist ihn schlechts erkalten;

Und gibt nicht auf verdihnst auf Stärk und Tugend acht.

Katz-Bektas Nachkomm hatt in solch Gedräng uns bracht;

Die Türksche Heers-Krafft war meist flüchtig durchgelauffen;

Wir kämpften rings umbringt vom Chientayer hauffen

Es hat uns wach und Volk verlassen / ausser Ihn

Wiewol er als ein Sklaf an Ketten muste zihn \

Entwaffnet / un-geharnscht. Es ward nach uns geschmiffen

Ein Spis durch welchen wir wol in das Gras gebissen / \j

Wenn Er Ihn von der Brust uns nicht vorbei geweist.

Er säbelt' umb uns her auf die die uns umb-kreist

Mit einem von der Erd ergriffenen Gewehre;

Bis Er dem hin und her zerstreuten Türkschen Heere

Ein Loos gab / daß zu stehn / sie könten Siger sein.

Er drang auch in die Stad sich mit den Flüchtgen ein

Alleine / sonder hülff / und gab auf ihren Thürmen

Ein Zeichen unserm Volk wo sie sei zu er-stürmen.

Der Bassa Sinan ward geschlagen bis aufs Haupt

Als er mit uns zog heim / doch als wir Ihm erlaubt

Nur einen Zug zu thun / hat er mit eignen Fäusten

Des Zellibs Kopff zerkipft / und die das Schwerd uns weisten

Straks zum gehorsam bracht / was er in Persen thät

Erweist Karamide / Orfanzehf / Bagadet

Wo er dem Ossmann auf den göldnen Reichs-krantz sätzte /

Als uns der Califa für Persens König schätzte.

Vmb nechsten Friden-Schluß / als Er durch Siges-hand

Den Bosphor und den Phrat / Sark und Bizanz verband /

Ist Stambul Ihm wie Schach und Vlama verpflichtet.

ROXELANE.

Durch neue Laster wird / mein Fürst / verdihnst vernichtet.

So viel als Er genützt verdihnt kaum also viel

Als unsre Sulthanin für die Erlösung wil

Da Ihn die Hänker schon zum Halß-Gerichte führten /[39]

Ich schweige / mit was ihn für Ehren-ämptern zihrten /

Des Keisers Majestät

SOLIMAN.

Selbst Ossman spricht für Ihn

Selbst Ossmann / der ihn sol dem Hänker gäben hin;

Der einen Augen-blik verflucht / verdammt / verhöhnet /

Den andern liber ihn verehrt / begnadigt / krönet

Bald Gunst bald strang spricht zu.

ROXELANE.

Wo nicht mein Fürst das Flehn

Der die er übt / verschmäht / so laß mein Keiser den /

Der nur auf Ossmans Stul auf unser ungedeien

Und beider Tod umbgeht / die schwartze Seel ausspeien /

Den schuldgen Kopff abhaun. Mein Fürst / mein Solimann

Wo Ibrahm lebend bleibt / wird schälten was gethan /

Verfluchen Stund und Tag / an dem er nicht gewüttet

Auf dieses Vn-thier hat / wenn Stambuls Reich beschüttet

Mit Flamm und Aschen sein / mit Leichen überdäkkt

Der Stul in Graus zermalmt / die burk in Brand gestäkkt /

Und uns sein heimlich Gift des Meineids auf wird reiben /

Uns die wir mit der Glutt nur spil und Kurtz-weil treiben.

SOLIMAN.

Es sei denn / was sie wil straks bald in eil verriebt /

Prinzessin / der wir Macht was abzuschlagen nicht.

Geh Rustahn lad ihn uns zum schwartzen Todten-Essen

Und Mord-Trankk / weil hir nichts gebräuchlichs zu vergässen:

Du solst auch / wenn er sich gesätzt an Hali Seit

Zur Taffel haben wird / das lange Sterbe-Kleid

Selbst überreichen ihm samt den schwartz-seidnen strängen.

Itzt Last uns etwas nach des Hertzens Schwer-muth hängen.


Solimann.


Der Schluß ist denn gemacht / das Vrtheil ist gefällt /

Wo nicht ein ander schon den ersten Schluß aufhällt!

Der schluß ist denn gemacht auf Ibrahms Halß und rükken /

Auf Ibrahms Kopff und Blut. Den mag der Henker drükken

Den mag die Rach in Koth vertreten / welchem wir

Mit unsrer sanften Hand zu harte kommen für

Er sterbe / nein / nein / nein / umbsonst / in eil / verhätzet[40]

Aus Anreitz / unbedacht / gesprochen! Freundschafft sätzet

Uns andern Vorfatz für. Wir wider-ruffens gar

Wir stossen alles umb / was vor geschlossen war.

Wir schiben alles auf / in willens vor zu wissen /

Was sich noch gegen uns wird Isabell entschlüssen.


Reien der Begihrde / der Vernunft / des Menschen.


BEGIHRDE.

Dis ist der Pfeil / und dis die Kertze

Die mit begihrgen Flammen kan

Des Menschen Glider Sinn und Hertze

Verzaubern und sie zünden an.

VERNUNFT.

Dis ist der Zaum / und dis die Spritze

Der wider deine Pfeile kämpfft /

Die der Begihrde Flamm und Hitze

Verläschet / bläset auf und dämpfft.

BEGIHRDE.

Dis ist die Glutt die alle Glider

Und alle Sinnen nimmet ein /

VERNUNFT.

Auch meinem Zaume folgt ein ieder

So vihl ihr in dem Menschen sein.

BEGIHRDE.

Die Nihren zünd ich an mit liben;

VERNUNFT.

Ich mit erfreuter Tugend-Brunst.

BEGIHRDE.

Verstand führ ich zum Wollust-üben;

VERNUNFT.

Ich zu tif-sinnger Künste gunst.

BEGIHRDE.

Das Hertze zu der hoch-muth Throne;

VERNUNFT.

Ich zu der hohen Demuth Glantz.

BEGIHRDE.

Das Haupt zur stoltzen Ehren-Krone;

VERNUNFT.

Ich zu dem grünen Weißheits-Krantz.

BEGIHRDE.

Die Augen zu verbuhlten Blikken;

VERNUNFT.

Ich Gottes Wunder zu beschaun.

BEGIHRDE.

Die Hand zum geilen Wange-drükken;

VERNUNFT.

Ich etwas nutzbars zu erbaun.

BEGIHRDE.

Die Ohren zum Belustgungs-Klange;

VERNUNFT.

Ich selbst des Höchsten wort zu hörn.[41]

BEGIHRDE.

Die Zung zu Lust- und schertz-gefange;

VERNUNFT.

Ich Gotts-Dihnst / Artznei / Recht zu lehrn.

BEGIHRDE.

Die Lippen zu un-keuschem küssen;

VERNUNFT.

Ich sie zu Gottes Preis zu rührn.

BEGIHRDE.

Das Fleisch die Libs-brunst zu genüssen;

VERNUNFT.

Ich die Geschlechte fortzuführn.

BEGIHRDE.

Die Kräffte zu gros-müttgem zwingen;

VERNUNFT.

Ich für Gefahr zu schützen sich.

BEGIHRDE.

Den Fuß zum tantzen und zum springen;

VERNUNFT.

Ich hin und her zu tragen mich.

BEGIHRDE.

Mein Pfeil trift durch die Ahrten-Zeugung

Auch frücht und unvernünftig Vih:

VERNUNFT.

Ich auch weil die Geburts-Zuneigung

Mir von sich selbst erspart die Müh.

BEGIHRDE.

Begihrd ist von Natur gezeuget

Den meisten Welt-Geschöpffen an.

VERNUNFT.

Wol! wenn dich die Vernunfft nur beuget

Und aus dem Grund aus-rotten kan.

BEGIHRDE.

Begihrd ergätzt mit tausend Lüsten

Und gibt Vergnügung / stärkk / und Krafft.

VERNUNFT.

O schlechte Luft! wenn aus dem süssten

Bald Galle wird und Wermuth-Safft.

BEGIHRDE.

Ich schantze meinen Kindern Tittel

Schätz / Ehre / Zepter / Insel zu /

VERNUNFT.

Vnd bist bald Hänkers-Bub und Bittel

In der Gemütter sanften Ruh.

Du leitst auf Wäge die verborgen /

Du leutest / und hast selbst den Star.

BEGIHRDE.

Vernunfft siht nichts als schwere Sorgen.

Si hat Licht-heller Augen zwar;

Doch wo si die begihrd anzündet

Siht Sie wi durch ein Blaaster kaum.

VERNUNFT.

Bis daß vernunfft dich überwindet

Und macht für Dunst der Sonne raum.

Begihrd hat alles über-flüssig /[42]

VERNUNFT.

Doch ist sie nur an Mängeln reich.

BEGIHRDE.

Begihrd ist räg' und keinmahl mussig.

VERNUNFT.

Sie ist dem Wetter-Hahne gleich.

BEGIHRDE.

Mein Reich reicht über alle Reiche.

VERNUNFT.

Mein Reich ist Fride / deines Krig.

BEGIHRDE.

Mein Krig findt nichts das ihm nicht weiche /;

VERNUNFT.

Dein Krig ist flucht / mein Frid ist Sig.

BEGIHRDE.

Ich kriche nicht wie du auf Erden /

Mein Zihl ist Sternen-gleiche Höh.

VERNUNFT.

Dein Himmel kan nicht höher wärden

Als wo ich mit den Püffen steh. l

Mein tiffter Zihl-Zwek ist der Himmel /

Dein böchster Gipffei Erd und Koth:

Dein jauchtzen ist ein traur-getimmel / i

Geld / Ehre / Wollust ist dein Gott.

Mein trauren Lust; mein Armuth Fülle /

Dein Wohl-stand kränke trauer-sucht /

Dein Will ist leer und blosser Wille /

Dein Wunsch hekkt Wünsch und meiner Frucht.


Der Mensch.


Wenn der Erde Schatten-Kugel körnt gerade zwischen ein

Wird der Monde blaß und machet schwartz der Sonne Gegenschein:

Wie vihl finsterer erscheinet des vernünftgen Menschen Hertze /

Wenn Ihm die begihrd umb-nebelt / der Vernunft erleuchtungs-Kertze.

Wer der begihrde folgt / verbrennt in ihrer Glut,

Verschmältzt in ihrer Flamm / erläufft in ihrer Flut.

Wer sich mit der Vernunfft gedrangen Zügeln zäumet /

Der Fakkel der Vernunfft sein dunkkel Hertz einräumet /

Und ihren Anker fänkt in der Gedancken Hauß

Mit Strömen der Vernunfft läscht die begihrden aus;

An dem wird die Begihrd mit ihrem Pfeil nichts enden /

Den wird nicht die Begihrd mit ihrem Dunst verbländen /

Ihr Sturm-Wind wird ihn auch in Schiff-bruch nicht gefährn

Den wird nicht die Begihrd in ihrer Glut verzehrn.

Quelle:
Daniel Casper von Lohenstein: Türkische Trauerspiele. Stuttgart 1953, S. 33-43.
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