Das I. Capitel.

Von dem dreyfachen Zweck des Arminius.

[4] Man kan niemahls ein sinnreiches Buch mit grösserer Lust und Nutzen lesen / als wenn man desselben Abstehen wol inne hat. Ich zweiffele demnach nicht / es werde vor allẽ Dingen nachzudencken nöthig seyn /was das eigentliche Vorhaben des seligen Herrns von Lohenstein bey Verfertigung gegenwärtigen Werckes gewesen.

Daß es eine Liebes-Geschichte seyn soll / giebt die äußerliche Gestalt leichtlich zu erkennen; und weil in dergleichen Schrifften die Haupt-Person an Tugenden und Helden-Thaten / nicht weniger als treuer Liebe /vollkommen seyn muß / als hat der um unsere uralte Voreltern hochverdiente Arminius mit allem Rechte zum Grund der Lohensteinischen dienen können. Denn wer wolte demselben den Ruhm eines gantz ungemeinen Heldens streitig machen / nachdem die Warheit selbst den klugen Tacitus1 genöthiget hat /diesem Feldherrn der Teutschen und Ertzfeind der Römer den Preiß eines unüberwindlichen Erhalters seines Vaterlands zu geben. Solten wir das Glück gehabt haben / die Gesänge der alten Barden von ihm zu hören / oder gar seine Thaten zu sehen / würden wir diesen theuren Helden uns weit ansehnlicher in unsern Gedancken abbilden / als insgemein zu geschehen pfleget; indem dasjenige / was Griechen und Römer von ihm melden / ein unvollkommenes und viel ehe nach seinem Todten-Gerippe / als nach dem Leben entworffenes Bild zu nennen ist. Inzwischen muß dennoch der Fleiß des Georg Spalatinus /2 Ulrichs von Hütten /3 Johann Heinrich Hagelgansens4 und Conrad Samuel Schurtzfleischens5 gerühmet werden / so dasselbe zusammen gelesen und in gehöriger Ordnung ausgezeichnet / was Strabo / Florus / Paterculus / Tacitus / Dio und andere / von ihm uns zu wissen gemachet haben. Aus diesen wenigen Nachrichten aber erhellet gleichwohl so viel / daß / daferne auch eine und andere ruhmwürdige Dinge dem Arminius von unsern Lohenstein zugeschrieben worden /von denen man keinen Grund in denen Geschicht-Büchern der Alten findet / dieses weder dem Lohenstein zu verargen / noch dem Arminius mißzugönnen sey: nachdem die bekanten Thaten dieses letztern schon erhärten / er habe / wo nicht eben die in diesem Buch beschriebene / dennoch dergleichen und vielleicht noch grössere Thaten thun können / und sey nur zu beklagen / daß dessen Wissenschafft mit der Zeit /durch den Neid der Römer und die Nachläßigkeit unserer Vorfahren / untergegangen; massen man auch aus einer eintzigen Klaue eines Löwen dessen Grösse / und aus dem bemooßten Mauerwerck die Fürtreffligkeit eines zerstörten Triumphbogens ermässen kan.

Wiewohl nun aber Arminius der Mittelpunct ist /auf welchen alle Linien / so in dem Umkreiß dieses weitläufftigen Buchs befindlich seynd / sich beziehen; so wird man doch allenthalben gar vielerley merckwürdige Dinge eingemischt befinden / so Teutsche und von Teutschen entsprungene Völcker / vor und nach Arminius Zeiten in der Welt verrichtet / also gar / daß es scheinet / die Geschichte vom Arminius sey[4] sey bey nahe nur ein Vorwand / die allgemeine teutsche Geschichte aber der rechte Zweck unsers Lohensteins und habe sich dieser mit der Feder um die zu allerzeit lebende Teutschen ja so hoch / als Arminius mit dem Degen um die nur zu seiner Zeit lebenden verdient machen wollen. Zu dem Ende siehet man in diesem Ehren-Tempel der teutschen Helden nicht nur die vor dem Arminius berühmten6 Bellovesus /Lingo / Brennus / Bojorich / Catumand / Teutobach / Aembrich / oder auch die / so7 an des Arminius Begebnissen selbst Theil gehabt / unter welchen Ingviomer / Arpus / Flavius / Jubil / Marbod /Gottwald / Melo / Ganasch / die vornehmsten sind; sondern8 auch alle aus dem allerdurchläuchtigsten Oesterreichischen Hauß entsprossene Römische-Teutsche Käyser; Also daß man unsern Arminius nicht weniger aus seiner Gesellschafft / als aus seinen Thaten vor einen der grösten Helden erkennen muß. Eben diese Begierde / die Ehre seiner Lands-Leute zu befördern / hat unsern Lohenstein vermocht / denen alten ungenanten Verfechtern der teutschen Freyheit /aus denen noch heute zu Tage blühenden Hochfürstl. -Gräflich- Freyherrlich- und Adelichen Häusern Nahmen zu erborgen / ob schon manche unter diesen vor sechshundert / geschweige vor sechzehen-hundert Jahren / die Hoheit und Würde vermuthlich noch nicht gehabt / welche dero preißwürdige Ahnen nach der Zeit auf ihre ietzige Nachkommen mit dem Geblüt fortgepflantzet haben.

Aus eben der Ursache sind die vornehmsten Gaben / womit die Natur und Kunst unser Vaterland begabet / so weitläufftig ausgeführet. Denn weil dasselbe mit seinen unerschöpfflichen Bergwercken / Fisch- und Schiff-reichen Flüssen / gesunden Brunnen /Gehöltze / Jagten / Weinwachs / Schlesischer Leinwad / Agtstein und dergleichen vor andern Landschafften sich berühmt und beliebt macht; als wird iederman unserm Lohenstein recht geben / daß er alle diese zum Ruhm seines Vaterlandes dienende Sachen nicht obenhin berühren wollen. Ja dieses gute Absehen wird gar leichtlich vor dem Richterstuhl der Billigkeit entschuldigen können / daß die Teutschen fast in alle bekante Welt-Händel eingemenget worden / so daß / daferne man diese Helden-Ge schicht vor die Richtschnur der Historischen Warheit halten müste / niemand zweiffeln dürffte / daß die Römer / insonderheit aber Cäsar / Pompejus / Antonius / Augustus / nicht weniger die Griechen / vornemlich Alexander der Grosse / ingleichen der sieghaffte Hannibal mit seinen Mohren / die Amazonen / Samniter / Lusitanier und fast die gantze Welt nichts wichtiges ohne der Teutschen Rath und Hülffe ausgeführet hätten / und also die Dienste der tapfferen Teutschen gleichsam allenthalben das Postement gewesen wären / auf welchen die berühmtesten Europäer / Asiaten und Africaner ihre Siege gegründet hätten und darauf aus mittelmäßigen Zwärgen zu ungeheuren Riesen erwachsen wären. Um deß willen muß die Urheberin der Amazonen9 des Teutschen Königes Alemans Tochter seyn: Annibal10 bekömmt Clotilden aus Gallien zur Ehe / und damit Gelegenheit / die Teutschen zu seinen vornehmsten Hülffs-Völckern und Werckzeugen aller seiner Siege zu machen. Der berühmte Heerführer der Lusitanier Viriath wäre wohl von rechtswegen nichts mehr als eines ehrlichen Spanischen Viehhirtens Sohn. Allein / damit sein wunders-würdiger Heldenmuth und Kriegs-Erfahrenheit denen Teutschen zum Ruhm gereichte / hat unser[5] Lohenstein11 Wege und Mittel ausgesonnen / ihn vor einen Teutschen und zwar des Celtischen Fürsten Olonichs Sohn / wahrscheinlich auszugeben. Des Arminius Bruder Flavius12 muß dem König Juba in Numidien mit der Römischen Flotte zu Hülffe ziehen / und derjenige Segimer /13 der mit einigen Volck dem Crassus wider die Parthen in Asien beygestanden / ein Teutscher Feldherr und der Vater des Arminius seyn; damit Africa und Asia / nicht weniger als Europa / den klugen Rath und tapffere Faust der Teutschen zu bewundern Anlaß bekäme. Ja unser Verfasser hat denen Römern ihr Kunststück wohl abgelernet /14 da sie nemlich ihrer Widersacher Siege und ihre eigene Niederlagen zu verkleinern oder also zu beschreiben gewust / daß die Uberwundenen mehr Ehre aus der Niederlage / als die Sieger aus ihrem Triumph haben möchten. Deñ eben also ist der Rabe / so dem Marcus Valerius Corvinus15 den Sieg im Zweykampff zuwege bringt / lauter Zauberey und macht demnach die Uberwindung des Teutschen Udalrich mehr schimpf- als rühmlich; Und Titus Manlius Torqvatus hat von seinem Obsieg wenig Ehre /16 weil sein Widerpart eine verkleidete ungewaffnete Weibs-Person ist. Da hingegen des Rühmens von denen Siegen des Corvinus und Torqvatus bey denen Römischen Geschicht-Schreibern kein Ziel noch Ende ist.

Dergleichen Freyheit könte man nun zwar einem Historien-Schreiber übel sprechen / nicht aber dem Verfasser eines so genanten Romans / als welcher /eben so wohl als Mahler und Poeten / Macht hat / aus schwartz weiß / und aus weiß schwartz zu machen /nach dem ein- oder andere Farbe erfordert wird / seinem Werck das rechte Liecht und Schatten zu ertheilen. Man hat daher niemahls gnug sich wundern können über den unvergleichlichen Verstand des Durchläuchtigsten Verfassers der Römischen Octavia /indem er aus der ehrlosen Messalina die keuscheste Dame / aus der Zauberin und Gifftmischerin Locusta die unschuldigste Person / aus der liederlichen Acte eine gottfürchtige Christin mit überaus-grosser Wahrscheinlichkeit macht; auf welchen Schlag denn auch der Herr von Lohenstein bemüht gewesen / denen wahren Geschichten derer alten Teutschen durch sinnreich erdichtete Umstände eine andere und bessere Gestalt und Ansehn zu geben; so daß wenn Ariovist /Arminius / Thußnelda / Arpus / Marbod / Jubil und andere von ihm beschriebene / ihre eigene Geschichte in diesem Buche suchen solten / würden sie sich vielleicht mit grosser Mühe daselbst finden und in höchliche Verwunderung gerathen / daß ihre dicke Barbarey zu einen Muster aller nach heutiger Welt-Art eingerichteten Sitten / und sie / durch den Ovidius unserer Zeiten / nicht aus Menschen in Vieh / sondern aus halben Vieh in vollkommene Menschen verwandelt worden.

Daß nun alles bißher gesagte nicht ungereimet sey /wird niemand leicht in Zweiffel ziehen; doch ist noch viel in diesem Buch begriffen / das weder zur Liebes-Geschichte vom Arminius / noch Lobe der Teutschen nöthig ist / und dahero noch ein ander Absehen haben muß / welches denn der selige Herr Verfasser die klügliche Anwendung seiner so weitläuftigen Gelehrsamkeit seyn lassen. Denn bloß-erdichtete Dinge zu schreiben war vor ihn eine allzu schlechte Bemühung. Vielmehr musten diese Gedichte ein Blendwerck nothwendiger und ernsthaffter Wissenschafften seyn / um die jenigen auch wider ihren Vorsatz gelehrt / klug und tugendhafft zu machen / welche daselbst[6] nichts / als verliebte Eitelkeiten / suchen würden. Dannenhero schweifft er in seinen Unterredungen aus / bald auf den Ursprung / Glauben und Gebräuche aller frembder Völcker / bald auf die Geschichte unterschiedener beschriehener Weltweisen /bald auf die Beschreibung aller Tugenden / Laster und Gemüths-Regungen des Menschen / bald auf wichtige Staats-Händel und die hierüber entstandenne Streit-Fragen / bald auf die grösten Wunder der Naturkündiger und neuen Aertzte; so gar / daß der jenige sehr verwöhnten Geschmackes seyn muß / den eine so grosse Veränderung und Vermischung lustiger und ernsthaffter Dinge zu vergnügen unfähig wäre. Gewiß ists / daß gleich wie der grundgelehrte Lohenstein eine lebendige Bibliothec gewesen / also dieses Buch ein rechter Kern und Auszug seiner gantzen leblosen Bibliothec mit allem Rechte heissen kan.

1

Annal. II. 88.

2

Bey dem Schardio T.l. Rerum German p. 259. – 298.

3

Bey eben demselben p. 214.

4

Gedruckt zu Nürnberg 1640. in 12.

5

Seine Disputation hiervon ist gehalten zu Wittenberg 1670.

6

I. Theils VI. und VII. Buch.

7

Arminius hin und wieder.

8

I. Theils II. und VII. Buch.

9

I. Theil / V. Buch.

10

I. Theil / VI. Buch p. 820

11

I. Theil p. 888

12

I. Theil IV. Buch.

13

I. Theil VII. Buch.

14

I Theil p. 753. b. 754. a

15

I Theil p. 758 b. 759. a.

16

I. Theil p. 755.

Quelle:
Daniel Caspar von Lohenstein: Großmütiger Feldherr Arminius, Zweyter Theil, Leipzig 1690, S. IV4-VII7.
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