Das Bauermädchen.

[121] Es war eine regierende Königin, die ein wenig alt geworden war, nämlich ein ganz klein Bischen nur über 90 Jahr. Die Paar zahnstummel im Munde wackelten, und sie konnte nur noch Brei essen; die trüben und triefenden Augen waren fast erblindet, der Kopf wackelte auch hin und her; der Rücken war krumm, der Athem stinkend, und sie konnte weder gehen, noch stehen, noch liegen.

Gleichwohl hatte die alte Närrin, eigensinnigerweise, gar keine Lust zu sterben, obwohl sie nicht mehr leben konnte, sondern wollte vielmehr wieder, nicht nur jung, sondern sogar auch schön werden.

Da bat sie denn ihre Frau Pathe, die eine Fee war, gar hoch und sehr, sie wieder jung und hübsch zu machen, wie die Frau Pathe oft zu sein schien, obwohl dieselbe etwa 500 oder wohl gar 1000 Jahr älter sein mochte, als das liebe Pathenkindchen.

»Der Wunsch kann schon erfüllt werden, sagte die Pathe, nur daß sich ein junges Mädchen finden, das sich gegen dein Alter, deine Gebrechen, deinen Stand und Rang, aber auch gegen deine kleinodien, Diamanten und Juwelen vertauschen will.«

»Nun ich will ihm gern Alles hingeben, was ich habe und besitze, wenn ich nur wieder jung und hübsch werde,« sagte die Königin.[122]

Nun suchte die Fee, und es fanden sich viele lumpige, aber junge und gar hübsche und gesunde Bettlerinnen, die gern wollten Königin sein, denn der Niedrigste will immer gern der Höchste sein, – aber als sie die Frau Königin sahen, waren sie doch ganz bedenklich und darum auch verständig geworden, und bedankten sich des Tausches. Sie meinten: was hilfts Essen und Trinken, Geld und Gut, Macht und Pracht und Herrlichkeit und Alles zu haben, wenn man davon keinen Gebrauch mehr kann machen! – Besser ein gesunder Zahn und ein Stück Brod darauf, als keine Zähne und keinen Magen zum Verdauen bei den herrlichsten Speisen.

Das waren gewiß keine dumme Leutchen! – So erbärmlich, so häßlich und ekelhaft, als die alte Frau Königin, begehrten sie ja gar nicht zu sein. – Ja doch! Rang und Stand, Geld und Gut, Herrlichkeit und Pracht, machen ja nicht für sich selbst und allein glücklich und froh!

Die Fee fand endlich ein lustig fröhliches und armes Ding von Bauermädchen auf, das in seiner leichtsinnigen Unbedachtsamkeit, gegen hohen Stand und Rang ihre Jugend und Schönheit wollte hingeben.

Das kleine dumme Ding dachte, nun müßte es gar überglücklich sein, wenn es so gar groß und gewaltig, und so sehr, sehr reich würde. – So denken denn freilich Viele, die eben nicht vom Dorfe her sind.

Der Tausch geschahe, und im Augenblick erbleichten die frischen rothen Wangen des Mädchens, die ganze Haut wurde voll Falten und Runzeln, Kopf und Zähne wackelten, die Haare waren eisgrau geworden, und es selbst höchst mürrisch und griesgramig.

Die Fee öffnete eine Schachtel, aus welcher im Umsehen eine große Menge Bedienten hervorsprangen, kaum so groß wie ein Goldkäfer,[123] die aber im Augenblick so groß wie andere Bedienten waren, und mit großer Ehrfurcht den Winken der neuen Königin zu Befehl standen.

Es wurde ein herrliches Mahl aufgetragen, und die neue Königin wurde von zwei Bedienten zu der Tafel geführt; denn allein zu gehen, dazu war sie ja viel zu schwach. Aber sie hat vor allen Speisen einen Ekel, und die Tafelmusik betäubt den alten angegriffenen Kopf; sie hustet daß sie zerspringen möchte, sie will auswerfen, und bespeit sich das Kinn, welches wie ein Knochen weit weit vor dem Munde hervorragte, und da sie sich in den großen Wandspiegeln ersieht, erschrickt sie vor sich selbst.

Ach sie fühlte sich sehr unglücklich!

Aber die vorige Königin fühlte sich auch nicht glücklicher. Sie war einmal an die Hoheit, Gewalt und den Glanz gewöhnt, welchen sie jetzt nur zusehen mußte. Denn, als sie jung geworden war, hatte sie auch die groben Kleider und Schuh, und die schmutzigen Strümpfe, und die lumpige zerrissene Schürze des Bauermädchens überkommen, und die Wache wollte die Bauerntrulle nicht einmal in dem Winkel leiden, in welchen sie sich hineingedrückt hatte.

Da wollte sie fast weinen!

Unser vormaliges Bauermädchen bemerkte das. »Frau Königin sagte es: ich sehe wohl, es gefällt Euch Euer neuer Stand sehr schlecht, und mir geht es in meinem jetzigen auch nicht besser. Wollt Ihr, so laßt uns unsern Tausch aufheben, und Jedes bei seinem Stande bleiben!«

Augenblicklichst war der Tausch von beiden Seiten aufgehoben; und Jedes war wieder geworden, was es zuvor gewesen war.

Aber wie es denn mit vielen Menschen so geht! – wenn sie nicht recht wissen was sie wollen, und was ihnen heilsam ist, so sind[124] sie nimmer zufrieden. Kaum war der Tausch geschehen, als er auch beiden Theilen gereute, und sie die Fee angingen, noch einmal sie zu verwandeln. Die Königin wollte wieder Bauermädchen, und diese wieder Königin sein, die Fee aber sagte, sie wüßten nicht was sie wollten, und solche Kunststücke würden von ihr nur einmal gemacht.

Die alte Königin heulte und schrie. Da sie so eben erst ganz frisch erfahren hatte, wie jung die Jugend, und wie schön die Schönheit sei, und wie gesund die Gesundheit, so kam ihr ihr Zustand ganz unerträglich vor. Nichts war, was sie zufrieden machen konnte, und Niemand am Hofe hatte eine gute Stunde bei ihr. Nachdem sie noch einige Monate geklagt, gejammert, gekeicht, gezankt, gekiffen, gescholten und geschmält hatte, so arg sie nur immer noch konnte, so starb sie.

Und das war gut, für sie und für ihren Hof.

Unser Bauerkäthchen aber war wieder lustig und guter Dinge geworden, seitdem sie zu ihren heimischen Fluren zurückgekehrt war, und aß ihr schwarz Brod mit Milch, mit größerm Vergnügen, als damals an der Tafel im Schlosse die herrlichsten Gerichte.

Eben tanzte sie singend an einem Festtage mit ihrem Gespielen einen Ringeltanz, (ich denke es war: Ringel, Ringel Rosenkranz u.s.w.) am Ufer eines klaren Bachs, auf einer Wiese voll von schönen Blumen, als sie erfuhr, daß die alte Königin todt sei. Da ward sie noch munterer und fröhlicher, und sagte: »O wie gut, daß die Fee nicht meine albernen Wünsche erhört hat! Ich war eine dumme Käthe! die Alte ist todt, ich aber lebe noch; kann essen und trinken, kann arbeiten und schlafen, kann singen und springen, mir wackelt kein Zahn, und kein Finger thut mir weh, und der Hans wird mein Mann, wenn wir nur erst noch ein Paar Thaler zum Anfang unserer Wirthschaft werden erspart haben.«[125]

Da stand plötzlich die Fee vor ihr, und sprach: »Es freut mich Käthe, daß du zur rechten Vernunft gekommen bist. Was indessen deine Heirath betrift, so will ich dir, wenn du magst, einen mächtigen und reichen Mann schaffen, bei dem du täglich Fisch, Braten und Wein, Bedienten und Kutsche und Pferde und alle Herrlichkeiten haben sollst.«

Käthchen besann sich gar nicht, sondern sagte stracks: »dank Euch gar schön, meine gütige hochgnädige Fee; bin nun auch ein Bischen klug geworden, und weiß daß Zufriedenheit und Glück, bei Arbeit und Gesundheit, oftmals eher in der kleinsten Hütte versteckt sind, als sie in den großen Palästen herumrasaunen. Ich behalte den Hans, der mich gar herzlich lieb hat, und ich hab ihn wieder lieb, und wenn wir nur erst noch ein Paar Thaler« – – –

»Halt meine Tochter, sagte die Fee, du sprichst, wie ich es gewünscht und auch erwartet habe. Stand und Macht gewähren selten das echte Glück, und Gleich und Gleich soll sich zusammengesellen. – Du wirst, wie ich hoffe, mit deinem Hans, bei Arbeit und Ehrlichkeit, zufrieden leben, und für den ersten Anfang in deiner Wirthschaft geb ich dir hier hundert Goldstücke, und nicht mehr, wie ich leicht es wohl könnte, denn es möchte dir nicht gut sein. Wende sie gut an, und richtet Euch ein. – Was man selbst erwirbt, macht mehr Freude, und wird besser zu Rath gehalten, als was so vom Himmel herabfällt.«

Die Fee gab ihr das Gold in die Hand, und als Käthe ihr danken wollte, war sie fort.

Käthe lief zu ihrem lieben Hans, und die beiden beratheten sich den ganzen Abend, wie sie ordentlich und verständig das erschrecklich viele Gold anwenden wollten.[126]

Und sie kauften sich ein artiges Häuschen mit einem hübschen Garten, und wohl an sechs Acker Feld dafür, arbeiteten und wurden wohlhabend, und konnten noch Vielen im Dorfe wohlthun, und waren zufrieden, und an den Festtagen froh. Sie hatten einander recht lieb, und Käthe dankte dem Himmel, daß sie keinen reichgewaltigen Herrn zum Mann bekommen hatte, sondern den guten, treuen und fleißigen Hans, und mußte lachen, daß sie einmal, so auf ein Paar Stunden eine halbtodte Königin gewesen war.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 1, Leipzig [ca. 1819/20], S. 121-127.
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