Geschwisterliebe, oder die drei Königskinder.


Geschwisterliebe, oder die drei Königskinder

[153] Ein König von Persien hatte, wie der Khalif Harun Alraschid, die Gewohnheit, des Abends in seiner Residenz verkleidet umher zu wandeln, und Alles zu beschleichen.

Da sah er einmal durch ein Schlüsselloch, und horchte an der Thür, – ob sich das schickte, weiß ich nicht, – und sahe drei Mädchen, drei Schwestern, die waren wunderschön, und die papelten und schwatzten mit einander, und die jüngste war die schönste.

Die Mädchen sprachen so darüber, wen Jedes von ihnen wohl am liebsten zum Manne haben möchte, und die Aelteste wünschte sich des Königs Koch, weil sie alsdann täglich die köstlichsten, niedlichsten Speisen hätte, von welchen sie eine Liebhaberin war. Die Mittlere wünschte sich den Becker des Königs, denn da hätte sie Kuchen und Torten, und der Koch würde den Becker wohl auch nöthig haben; beide brauchten einander, und also hätte sie auch Braten und Fisch. – Die Jüngste wünschte sich den König selbst.

»Ei ja! sagten die Schwestern, du bist nicht dumm, denn da hättest du Alles was wir haben, und noch viel mehr obendrein. Aber so hohe Gedanken haben wir nicht, wie du hast!«[154]

»O! wir wünschen ja auch nur, sagte die Jüngste, und Wünsche hat man umsonst. Wenn ich aber eine große und schöne Prinzessin wäre, da würde ich mir ihn im Ernste zum Gemahl wünschen, weil er so gut und liebenswürdig ist, und ein so schöner Mann obendrein.«

Dem König gefiel es sehr, was das hübsche Mädchen sagte, zumal da es aus treuem ehrlichen Herzen kam, denn es wußte ja nicht, daß es der König behorchte, und das Mädchen gefiel ihm aus der Maßen. Er ging fort, ohne zu irgend einem seiner beiden Begleiter, die weder etwas gesehen noch gehört, sondern in ehrerbietiger Entfernung hinter ihm gestanden hatten, nur Ein Wörtchen zu sagen. Er dachte sich aber das Seine, und hatte überhaupt in derlei Dingen gar viel und mancherlei Gedanken.

Am andern Tage, als der König auf seinem Throne saß, und die Fürsten und Herren demüthig um denselben herstanden, obwohl sie übrigens gar hohe gewaltige Herren waren, da wurden zum Erstaunen Aller drei schöne Mädchen vorgelassen.– Es waren die drei Schwestern.

Und als sie vor seinem Thron standen, sprach der König, der sonst immer sehr ernst war, sie gar holdselig und liebreich an.

»Ihr lieben hübschen Kinder, sagt mir doch, was Ihr gestern zu Abend mit einander geplaudert habt, und besonders was sich eine jede von Euch gewünscht hat?«

Da wurden die Mädchen recht verlegen und verwirrt, und blutroth. Sie merkten wohl, worauf es gemeint war, wollten es aber nur nicht gern sagen, zumal vor so vielen Ohren.

Was half es? Sie mußten es dennoch sagen!

Und die Aelteste, welche die dreisteste war, hub an und sprach: »Wir wußten eben in der Dämmerung nichts Besseres zu thun, als zu plaudern und zu wünschen, und ich wünschte mir – ach ich schäme mich aber – den Koch Eurer Majestät, denn da hält ich[155] immer etwas Gutes zu essen, und dürfte nicht sorgen. Aber es war nur ein Wunsch!«

Der König winkte. Der Koch trat herein, und der König sprach: »da habt einander, und lebt nur glücklich und vergnügt!«

Die zweite Schwester war durch das Beispiel der ältesten schon gar dreist geworden, zumal da sie nun absahe, wie es etwa ergehen könnte, und thät ihren schönen Mund auf und sprach:

»Großmächtiger Herr! ich wünschte mir Euren Becker, denn gute Torten, und schöne Kuchen mit Mandeln, Rosinen und Pistazien schmecken freilich sehr gut – und, setzte sie schalkhaft hinzu, wir Mädchen lieben ja süße Leckerbissen.«

Der König lächelte; der Hofbecker trat herein, und – Beide wurden ein Paar.

»Aber was hast Du dir denn gewünscht; du liebe holde Kleine?« fragte der König die Jüngste.

»Ach! sagte die, ich kann es nicht sagen,« und schlug die Augen so verschämt nieder, und glühte wie eine eben erst aufgebrochene Rose.

»Könntest du mich denn wohl lieb haben?« fragte der König sehr, sehr freundlich.

»Ach!« sagte das gute Kind! und konnte nichts mehr sagen; und schämte sich gar sehr.

Nun! Ihr seht schon, wie das gegangen sein mag. – Sie wurde die Gemahlin des Königs, wie denn das im Morgenlande sehr in Art und Ordnung war, und noch heutiges Tags ist, daß, wenn man König und Herr ist, man nicht gerade Prinzessinnen und Gräfinnen heirathet, welche es ohnedieß dort nicht viel giebt, sondern die, welche man recht lieb hat. Bei uns aber ist es doch etwas anders, und nur das Geld macht etwa eine Ausnahme, und Stand und Rang binden sich mit dem Vermögen oder mit dem Geld und Zahlwerth zusammen, oder vielmehr, vertauschen sich mit[156] einander, wo es denn so oft nach dem alten Sprüchwort geht, daß, wer tauschen will, will auch betrügen!

Hier aber war eine rechte und herzliche Liebe von beiden Seiten, und die lebten denn auch herzlich, innig und glücklich mitsammen, und das arme Mädchen war nun auch, ohne alle Mühe und Schwierigkeit, eine hohe Prinzessin, oder vielmehr Königin geworden. Denn, wenn es sein soll, kann man leicht etwas so Hohes und Großes werden. Aber sie blieb im Herzen demüthig, und achtete die Schwestern eben so wohl als zuvor. Aber die Schwestern waren nicht so.

Die Kochs- und die Beckersfrau waren reicher geworden, als sie sich jemals hätten träumen lassen, aber als nun ihre Schwester noch mehr als sie selbst geworden war, so nahmen sie ihr das ordentlich übel, und sannen neidisch auf böse Anschläge, indem sie dachten, einer von ihnen sei es wohl eher zuständig gewesen, Königin zu werden, und Jede dachte in ihrem Herzen, ihr selbst hätt es am meisten gebührt. Daß nun die Schwester glücklicher geworden war, als sie, wenn anders Hoheit, Glanz und Reichthum Glück zu nennen sind, hätte sie ja wohl sehr erfreuen sollen, aber sie betrachteten es gleichsam als ein Verbrechen, das gegen sie begangen wäre, und beschlossen sich zu rächen, sobald die Gelegenheit sich fände.

Die Gelegenheit fand sich denn bald. Die Königin wollte niederkommen, und die beiden Schwestern boten sich ihr als Wartefrauen an, welches Anerbieten von der Königin recht dankbar angenommen wurde; denn in den Händen der Schwestern dachte sie sich am besten bewahrt. – Ach, sie war grade in die schlechtesten Hände gefallen!

Sie war niedergekommen mit einem sehr hübschen Knaben – einem Prinzen muß ich sagen – aber die Schwestern hatten gräßliche Gesichter gemacht, und hatten gesagt, es sei ein Mondkalb, und hatten den kleinen Ankömmling mit List und Kunst um so verdachtloser[157] beiseit geschafft, weil sie die Schwestern waren, und hatten den Prinzen in einen Kasten auf einem der Kanäle des Gartens gesetzt, die den Königspalast umgaben.

Die Schwestern sagten dem Könige, das Mondkalb, welches ihre Schwester gebracht habe, sei recht häßlich und ungestaltet. Der König hatte auf einen schönen Prinzen gerechnet, zog ein sauer Gesicht, gab sich aber zufrieden.

Zum zweitenmale kam die Königin wieder mit einem schönen Prinzen in die Wochen, aber die Schwestern sagten, sie habe ein rauchhariges abscheuliches Seekalb gebracht, und das Gesicht des Königs wurde sehr finster. Der Prinz wurde wieder auf demselben Kanal in einem Kasten ausgesetzt, und schwamm auf dem Kanale fort, wie zuvor das ältere Brüderchen.

Und im dritten Jahre kam ein hübsches munteres Mädchen, welches aber die Schwestern als einen gar häßlichen schwarzen Kater beschrieben, und setzten es ebenfalls auf den Kanal – Den Muth, die armen Kinder verschmachten zu lassen, hatten sie schon, nur nicht den Muth, dieselben gleich abzuwürgen; darum setzten sie dieselben aus.

Aber der König, der niemals recht zugesehen und nachgefragt hatte – – denn sonst wäre das Mährchen ausgewesen – – wurde recht zürnig und grimmig auf die Gemahlin, die ihm lauter Ungeheuer gebar, und wollte solch eine Gemahlin nicht haben.

Wer das Unglück hat, hat die Schuld, und so wars auch hier. Der König ließ an einen der Tempel, die in seiner Stadt waren, ein enges Gitter, so etwa wie einen Käfig, bauen; er ließ die Königin in dieses Gitter einsperren, und er gab sogar den grausamen Befehl, daß Jeder, der in den Tempel ging, der Unglücklichen ins Gesicht speien sollte, weil sie ein Ungeheuer wäre, das nur Ungeheuer gebäre. Aber keiner gehorchte dem Befehl gern, denn Jeder wurde gerührt, von ihrer Schönheit und von ihrem Leid, und[158] Manche dachten auch, was kann denn die Unglückliche dafür, daß sie Ungeheuer zur Welt gebracht hat?

Aber was wurde denn aus den armen unschuldigen Kinderchen? die mußten denn doch wohl umkommen?

Nein die kamen nicht um; die schützte der Himmel.

Der Oberaufseher der königlichen Gärten und Anlagen, hatte sich schon seit mehrern Jahren vom Hofe unter irgend einem Vorwand zurück gezogen, denn das Treiben und Wirren, die Falschheit und Erbärmlichkeit des Hoflebens konnte ihm nicht gefallen, der ein ehrlich schlichter Mann war, und recht gebildet dazu. Er hatte sich in einiger Entfernung vom Königspalast ein herrliches Landhaus erbauet, lieblicher und anmuthiger als der Königspalast selbst, obwohl nicht ganz so geräumig. Viel herrliche große Gärten, viel Fluren, Auen und Pflanzungen gehörten zu dem Landhause, und ein großer Wald zog sich um die Besitzungen rings umher.

Hier lebte er in glücklicher Abgezogenheit, obwohl immer noch in Verbindung mit einigen gleich treuen und redlichen Seelen am Hofe, die gleicher Gesinnung mit ihm waren, aber nicht so reich als er, um sich vom Hofe zurückziehn zu können.

Von ihnen erfuhr er die Vermählung des Königs, die Gesinnungen der Schwestern der Königin, die Niederkunft der Letztern, und daß sie ein Mondkalb zur Welt gebracht hätte.

Er schüttelte, während er in seinem Garten hin und her wandelte, über dieß Alles den Kopf gar sehr, und indem er noch sinnt und noch wandelt, schau! da kommt auf dem Kanal daher geschwommen ein kleines Kästlein, und pipt und wimmert etwas darin.

Er zieht das Kästlein ans Land; er läßt es durch einen seiner Arbeiter in sein Zimmer tragen, öffnet es allein, und findet einen lieblichen Knaben darin, und dankt für die Bescheerung Gott, – denn er hatte sich wohl seit vielen Jahren Kinder gewünscht, aber der liebe Gott hatte ihm keins gegeben.[159]

Nun hatte er ein Kind; und ob er zwar ein recht braver Mann war, so war er doch auch am Hofe gewesen, und errieth schon, wessen Kind es eigentlich sein mochte.

Noch zweimal kamen Kästlein mit Kindern geschwommen, wurden aufgefischt, und mit Freude und Dank vom Oberaufseher der Gärten aufgenommen, zumal das kleine liebe Ding von Mädchen im letzten Kästlein, denn nun hatte er doch zu zwei Knäblein ein Mägdlein, und mehr begehrte er nicht.

Er wußte weß Abstammung sie waren, wie wir gesehen haben, aber er dachte es sei nicht Noth daß die Kinder selbst es wüßten! Sie wurden gesäugt durch Ammen; sie wurden belehrt durch Lehrer in aller Wissenschaft und Kunst, selbst im Reiten und Jagen, und die Prinzessin – ei, ich wollte sagen, das liebe Kind von Mädchen, lernte Alles mit, und der alte Oberaufseher hatte seine Freude daran, wie sie so lustig und fröhlich heran wuchsen, und konnte sie ohne Liebe nicht ansehen, denn sie waren seine eigenen Kinder geworden, und sie selbst hielten sich auch für nichts Höheres; und Besseres hätten sie ja ohnedieß nicht werden können, als sie mit einem Stück ehrlicher Bürgernatur, vereinigt mit einem Stück einer menschenfreundlichen Königsnatur vereinigt wurden. – Sie lernten Alles gemeinschaftlich, nur die Prinzessin lernte noch die Zither, – in unsern Zeiten hätte sie die Guitarre lernen müssen, wie sich von selbst versteht, eben weil man sie nur zu schlagen und eben nicht lange spielen zu lernen braucht, indem das Geklimpere meistens so von sich selbst schon geht. – Ein rothes Band an dem Saitenkasten wäre dann die Hauptsache gewesen.

Der liebe herzige Vater, den sie mit Recht immer für ihren wahrhaftigen Vater gehalten hatten, starb, ohne daß er seinen Kindern ihre Abstammung entdeckt hatte. Er wollte daß sie zu ihrem eigenen Glück in ihrem jetzigen Stande bleiben sollten, das Schicksal aber wollte es anders.

[160] Bahman der älteste Prinz, und Perwis der zweite, waren auf die Jagd geritten, aber die Schwester, Parizade geheißen, war dießmal zu Hause geblieben, obwohl sie sonst öfter mit den Brüdern zu Wald geritten war, mit Jagdspieß und Jagdmesser, und auch ihr Wild erlegt hatte.

Es kam an ihren Palast eine sehr alte Frau, die grade sogleich die Prinzessin antraf, und sie um die Erlaubniß bat, ihr Gebet in demselben verrichten zu dürfen, indem die Stunde des Gebets gekommen sei. – Warum sie nicht draußen im Schatten der schönen Bäume beten wollte, die doch wohl einen bessern Tempel Gottes bildeten, als ein todter Palast des bloßen Weltlebens, weiß ich nicht. – Doch war in dem Palast eine kleine Berkapelle, in welche sie Parizade freundlich hinein wies.

Nachdem die fromme Alte gebetet hatte, ließ die Prinzessin ihr Alles auftragen, was dieselbe erquicken konnte, und sie hatte unter hundert Dingen das Aussuchen.

Sie hatte sich erquickt, und nun führte sie die gütige Parizade im Hause und in dem Garten und Anlagen herum. Darauf ruhten Beide aus.

»O! sagte die Alte, ich bin weit umher gewandert in der Welt, aber so etwas Wunderherrliches, so mit Sinn und Geist gedacht, und mit Kunst ausgeführt, hab ich noch nie gesehen!« – Man sieht, daß die alte Person eine Kunstkennerin war. »Aber, setzte sie hinzu, wären in diesen Anlagen noch drei Stücke, so würden sie wohl in der Welt nicht mehr zu übertreffen sein, wie ich glaube.«

»Welche Stücke wären denn das, gute Mutter? fragte die Parizade; – und sollten sie denn nicht zu erlangen stehn?«

»Wärens wohl, sagte die Alte, aber stehen schwer zu erlangen, und sind Viele die darnach ausgingen zu Grunde gegangen! – Ich habe sie übereilt erwähnt, und wünschte dieselben unerwähnt gelassen zu haben, denn ich sehe auf Eurem Gesichte, Ihr hättet diese drei[161] Stücke recht gern – und doch, sie sind ja entbehrlich, und wenn ich alte schwache Frau nichts davon gesagt hätte, hättet Ihr sie auch nicht vermißt, und wärt so glücklich gewesen als zuvor. – Thut so wohl und forschet nicht weiter, denn ich könnte es Euch, weil Ihr so gar gut seid, nicht abschlagen, Alles zu eröffnen, – aber laßt es gut sein. Ihr habt ja des Schönen genug, und mehr als Ihr bedürft, von allen herrlichen Sachen!«

Freilich! wenn Parizade kein Mädchen gewesen wäre! – Nein sie mußte die drei absonderlich seltsamen Stücke wissen, um, wo möglich, dieselben herbei zu schaffen.

»Sagts doch nur, gute, liebe Mutter, damit ich sie doch wenigstens kenne, sprach sie; denn wenn es zu gefährlich ist, begehr ich ihrer nicht weiter.«

»Nun, so habts denn, weil Ihr es wollt, sagte die Alte: – Was der Schönheit noch fehlt, ist der sprechende Vogel, der aber freilich gar anders spricht, als ein Staarmatz oder Papagei, nämlich, er spricht viel vernünftiger als mancher Mensch. – Dann kommt der singende Baum, in welchem alle Instrumente und Stimmen wohnen; und das goldgelbe Wasser, welches in einem Marmorbecken in einem großen dicken Strahl, wie eine Garbe in die Höhe steigt, und in das Becken wieder zurück fällt.«

»Mutter, herzliebgute Mutter, sagte die Prinzessin, von so wundersamen Dingen hab ich niemals nur etwas gehört; aber Ihr müßt auch so gut sein, und mir sagen, wo dieselben zu haben sind?«

»Das will ich denn Euch auch noch sagen, zum Dank für Eure gastlich freundliche Aufnahme, obwohl ich abermals wünschte, Ihr schlügt Euch diese Dinge ganz aus dem Sinn.«

»Nein, gute Mutter, nein! Es ist nur der Seltenheit wegen!« erwiderte Parizade.

Die Alte sagte ihr hiermit Alles, und ging dann weiter.[162]

Die Brüder kehrten am Abend von der Jagd zurück, und fanden die geliebte Schwester in tiefem seltsamen Nachsinnen, dessen Grund sie ihnen nicht wollte eröffnen, denn sie wußte, daß die Brüder, die keinen Wunsch ihr unbefriedigt ließen, um dieser seltsamen Dinge willen Alles, selbst das Leben dran setzen würden, und dann könnte sie die Brüder verlieren, ohne welche ihr die Welt nichts werth war.

Aber die Brüder drangen so lange und so bittend in sie, daß sie ihnen Alles gestand, was die alte Frau erzählt hatte, und sich eine thörichte Närrin schalt, daß sie über solche Dinge sich hätte beunruhigen können, die am Ende vielleicht in der Welt gar nicht vorhanden wären.

Bahman und Perwis, die sich heimlich berathschlagten, waren darüber einig, daß die Schwester diese Wunderdinge haben müsse, aber darüber konnten sie nicht einig werden wer sie suchen und holen sollte, denn jeder derselben wollte das Verdienst darum haben. Bahman, der Aeltere, behauptete das Vorrecht seiner Geburt. Er ging zu der Schwester hin, und berichtete ihr, daß er nach den drei Wunderdingen auszöge, und es schien ihn gar nicht zu rühren, daß die Schwester bat, flehte, weinte, und ihm vorstellte, daß sie vor Angst sterben müsse, und wenn Er umkäme, auch nicht am Leben bleiben könne. Genug, er ließ sich nicht bewegen, obwohl ihm sein Herz schwer war, sondern versicherte, er hoffe glücklich zu sein, denn er dachte er sei ja tapfer und kühn. Damit zog er fort. Zuvor hatte er der Schwester ein Messer gegeben, mit der Bitte, es von Zeit zu Zeit anzusehen und es zu betrachten, und gesagt, es gehe ihm gewiß recht wohl, so lange das Messer blank und rein bleibe, aber wenn ein Blutstropfen daran hinge, dann sei er todt aus Liebe zu Ihr.

Diese Worte klangen Parizaden noch furchtbar in den Ohren nach, als der Bruder schon aus ihren Augen war.[163]

Täglich, ja stündlich beinahe zog sie das Messer hervor, und fand es wie sie wünschte, blank und rein, zu ihrem Entzücken.

Bahman hatte seine besten Waffen mit, mit welchen er Alles auszurichten gedachte, weil er sich einbildete, die Faust allein mache den tapfern Mann.

Er zog seines Weges, nach der Anweisung, welche die alte Frau der Schwester gegeben hatte, indem er weder zur Rechten noch Linken auswich. Er durchreisete auf diese Weise ganz Persien, wo er nach 20 Tagen in öder und unbekannter Gegend einen uralten Derwisch unter einem Baume fand, in der Nähe einer Strohhütte. Der Derwisch sonnte sich, und war höchst häßlich. Der Rücken war gekrümmt wie ein Sprenkel, die schneeweißen Augenbrahnen und Kopfhaare hüllten das ganze Gesicht ein, und der Lippenbart hing bis zum Bart des Kinns herab, und verschloß den Mund. Die Nägel an Händen und Füßen waren länger, als die eingetrockneten Finger jemals selbst gewesen sein konnten.

Es gehörte zu der Anweisung, die Parizade von der Alten empfangen hatte, diesen Derwisch nach dem Wege zu dem Berge zu befragen, auf welchem die gesuchten Seltenheiten sich fanden.

Obschon der Alte wie ein gräßliches Ungeheuer aussahe, hatte Bahman dennoch keine Furcht, und redete ihn an, und fragte nach dem Wege zum Berge, aber die Antwort war ein dumpfes Gemurmel, welches das dicke Gebüsch des Bartes nicht durchdringen konnte. Bahman sahe bald woran es lag, daß er kein Wort verstand. Da nahm er eine Scheere, schnitt dem Derwisch die Haare weg, wobei dieser ruhig still hielt, und brachte sein Anliegen vor.

Der Derwisch ermahnte ihn sehr, von seinem gefährlichen Wagstück abzustehen, in welchem viel Herren, Ritter und Helden untergegangen wären, die stärker und älter gewesen wären als er, und hätten mehr Erfahrung gehabt als er, indem sie weit und breit in der Welt wären umher gewesen, und hätten sich Viel versucht.[164]

»Sagt mir die Gefahren nur, ehrwürdiger Vater,« bat Bahman, mit vielen Schmeicheleien.

Mein Sohn sagte dieser, du sollst Alles getreulich wissen, weil du es so haben willst.

»Wenn du an den Berg der Wunderdinge kommst, so wirst du auf ihm eine Menge schwarzer Steine antreffen, fast von unten an bis oben hinauf. Siehe das sind die Fürsten und Ritter, welche dasselbe suchten was du suchst. Sie wurden nebst ihren Pferden in solche Steine verwandelt, indem, während sie hinauf stiegen, Stimmen hinter ihnen erschallten, spottend, drohend und donnernd. Da wurden sie furchtsam, wollten umkehren und sich mit der Flucht retten, aber indem sie sich nur umsahen, waren sie schon versteint. Ich hatte es ihnen eben sowohl zuvor gesagt, als dir, mein Sohn, aber sie glaubten mir eben so wenig als du, und darum sind sie untergegangen.«

»Hohoh! nein ehrwürdiger Vater, erwiederte Bahman! Vor bloßen Stimmen bin ich eben nicht gewohnt mich zu fürchten, wenn sich auch meine Vorgänger mögen gefürchtet haben. Solche kindische Furcht kenne ich gottlob nicht. Habt Dank für Eure Nachricht, und thut mir nur den Gefallen noch, mir Anweisungen über den Weg zu geben, den ich zu nehmen habe.«

»Du willst es also, sprach der Derwisch, und bedenkst nicht, daß der in der Gefahr umkommt, der sich muthwillens hineinbegibt.«

Mit diesen Worten zog derselbe eine Kugel aus seinem lumpigen Kittel, und gab sie dem kühnen Helden, mit dem Bedeuten, er solle dieselbe nur vor sich hinwerfen, so würde sie vor ihm sich hinrollen, und ihn des rechten Weges schon führen.

Bahman empfahl sich dankend, nahm die Kugel, setzte sich aufs Pferd, und warf die Kugel vor sich hin, und diese rollte so schnell, daß er mit seinem flüchtigen Araber kaum zu folgen im Stande war.[165]

Er kam glücklich an dem Fuß des Wunderberges an, an welchem die Kugel zu rollen aufhörte, stieg vom Pferde, welches fest auf seinem Platze blieb, obgleich er demselben den Zügel hatte auf den Hals gelegt; er besah sich den Berg von allen Seiten, und fand überall die schwarzen Steine. Der junge Fant dachte, ihm könne es nicht fehlen, und fing an den Berg zu besteigen.

Kaum war er vier Schritte den Berg hinan, so flüsterte es hinter ihm heimlich, mit leisen Stimmen, gleichsam als ob ers nicht hören solle:

»Seht doch den albernen Burschen! den närrischen Narren! – Laßt ihn nur laufen! – Wo der hin will, dahin kommt er nun und nimmermehr! – Er hätte immer können zu Hause bleiben.«

»Flüstert und spottet nur immer, dachte Bahman, ich werde mich nicht daran kehren.«

Aber je höher er stieg, desto stärker wurden die Stimmen. »Haltet den unvernünftigen Bengel auf, und gebt ihm Stockschläge. – Bewahre! riefen andere Stimmen, thut ihm nichts; Ihr sehet ja, daß er ein junger Dummhans ist, ein jämmerliches Wichtlein, ein Milchbart der noch nicht einmal Flaum (Dunen) auf der Lippe hat. – Es ist ja ein scharmantes Kerlchen, und ein gar zartes dazu, und wenn Ihr ihn unsanft anrührtet, so möchte er schreien; das klänge nicht gut; und er würde wohl gar zu Brei. – Schade ums junge Leben! – – Nicht Schade! Schlagt den Laffen immerhin todt.« So lauteten die Stimmen.

Bahman stieg noch einige Schritte höher, aber schwankend und zitternd, und die Stimmen folgten ihm gewaltiger und verworrener nach, wie das Rauschen und Brausen des Meers bei grimmigem Sturm, mit darunter hallendem Donner.

»Nun würgt ihn ab!« rief plötzlich eine donnernde, brüllende Stimme dicht hinter ihm, da er kaum bis auf die Mitte des Berges gekommen war.[166]

Da erbebte sein Herz; er vergaß des Derwisch Rath, er wendete sich um und wollte entfliehen, und ward zum Stein, und sein Pferd desgleichen.

Parizade hatte täglich mehrmals Bahmans Messer beschaut, welches sie an ihrem Gürtel mit goldnem Kettchen befestigt hatte, und hatte sich gefreut, daß ihr Bruder immer so gesund und wohlbehalten sei. – Aber da sie es wieder einmal zieht, o Himmel, da hängt an der Spitze ein Blutstropfen, und die Klinge ist mit Blutflecken angelaufen.

Parizade erhebt ein herzzerschneidendes Geschrei, klagt sich an als die Unglücksstifterin, jammert und weint, und läßt sich vom Perwis nicht trösten. Sie schilt die Alte, sie schilt sich selbst, sie schilt ihre verderbliche Neugier.

»Schwester, sagt Perwis, ich will den Bruder erlösen und die Wunderdinge holen; vielleicht bin ich glücklicher als er.«

Es ging mit Allem, wie es beim Bahman ging. Die Prinzessin fleht und stellt ihm vor, daß sie ja ganz und gar verwaist sei, wenn auch er fortzöge. – »Und Perwis, setzte sie hinzu, wenn du auch umkommst, wie soll ich denn noch leben? – Perwis, lieber Perwis, bleib bei mir!«

Perwis war gerührt, aber er blieb nicht. »Hoffe das Beste, geliebte Parizade, sagte er, ich will sehr behutsam sein. Nimm diesen Rosenkranz; laß täglich seine Kügelchen abrollen, und wenn sie einmal stocken und nicht mehr rollen wollen, so weißest du mein Schicksal. Gott schütze dich!«

Er entfloh ihren Thränen, indem er mit seinem Pferde schnell davon eilte. Er fand den Derwisch mit seinen Ermahnungen, und als diese nicht fruchteten, erzählte ihm derselbe des Bruders Schicksal, und da auch dieß fehlschlug, so gab er ihm alle Anweisung und auch die rollende Kugel, und Perwis kam an den Berg.[167]

Er erstieg den Berg, und die Stimmen waren eben so hinter ihm her, wie beim Bahman, aber er achtete ihrer wenig, so stark und gewaltig sie auch waren. Etwas war er über die Mitte der Berghöhe hinauf, da rief drohend eine starke Stimme: »Steh nur wenigstens du feiger ehrloser Hund, der du auf kein Schimpfen achtest, damit ich dich züchtige, wie du es verdienst! – Ist denn dein Degen von Marzipan?«

Da vergaß sich Perwis, weil es seiner Ehre zu nahe sei, solche Schmach zu ertragen. Er zog seinen Säbel, um den Gegner anzugreifen, als er sich aber umwendete, war er schon zum Stein geworden, und sein Pferd desgleichen.

Ach! und der armen Parizade Rosenkranz flockte, und kein Kügelchen wollte mehr rollen.

Sie schrie jetzt nicht, sie jammerte nicht. – Aber warum nicht? Sie hatte den traurigen Fall gefürchtet, und war schon lange einig mit sich selbst darüber, was sie thun wollte. – Entweder die Brüder von der Steingestalt erlösen, wenn es ihr anders beschieden sei, oder mit ihnen versteint zu werden.

Sie sagte eines Tags ihren Leuten, daß sie eine Reise vorhabe, und befahl was gethan werden sollte. Ihrem Haushofmeister gab sie die Aufsicht und den Befehl über Alles, und am nächsten Tage war sie am frühsten Morgen in bereit gehaltener Mannskleidung schon eine Strecke fort, ohne daß noch eine Seele im Hause erwacht war. Daß sie reiten konnte, wie unsere vornehmsten Damen und jagen dazu, und mit Jagdspieß und Lanze umgehen, was diese nicht können, wissen wir schon.

Sie gelangte ohne alle Gefahr bei dem Derwisch an, und kam, wie man zu sagen pflegt, ein wenig krumm herum, um zu erfahren, wo die drei Wunderdinge wären, von welchen man in aller Welt so viel Erhebens mache.[168]

»Liebes, hübsches Mädchen, sagte der Alte, ich erkenne dein Geschlecht, ungeachtet deiner Verkleidung; ich weiß was du zu wissen begehrst, und will es dir gern sagen, zumal da ich deine löbliche Absicht, die Brüder zu retten, auch weiß. Aber bedenke, daß deine beiden Brüder an diesem Unternehmen gescheitert sind, weil sie sich nicht wollten rathen lassen. Geh wieder nach Hause mein Kind, und vergiß dein Unglück, indem du Andere glücklich machst!«

»Lieber ehrwürdiger Vater, macht meinen Entschluß nicht wankend, erwiedert Parizade. Was soll mir denn ein Leben ohne meine Brüder?«

Was ihr der Derwisch auch von Gefahren, und insonderheit von der Furchtbarkeit der Stimmen sagte, sie blieb unerschütterlich. Sie empfing die Kugel und nochmals die Warnung, sich nicht umzusehen, und kam am Fuße des Berges an. Aber die Stimmen, welche hinter ihr drein sein sollten, machten sie doch ein wenig bedenklich, obwohl sie Herzhaftigkeit genug besaß. Jedoch, sie war ja ein Mädchen, und also klug und listig, und fand bald den rechten Rath, nachdem sie sich ein wenig bedacht hatte.

Sie nahm Baumwolle, die sie mit sich führte, und stopfte sie in die Ohren, so dicht als nur möglich; dann nahm sie Wachs, wovon sie auch etwas in ihrem Reisekästchen hatte, und klebte es fest und dick über die Baumwolle. So, dachte sie, kannst du doch die Stimmen so furchtbar und donnernd nicht hören, daß sie dich erschrecken und deine Sinne verwirren sollten. Und nachdem sie sich noch einmal gesammelt und Alles gehörig überlegt hatte, fing sie den Berg zu ersteigen an.

Die Stimmen erhoben sich. »Einfältiges Mädchen; du eben! – – Seht doch die kleine Närrin! Setzt sie an die Spindel, denn sie will den Knaben spielen!« – Je höher hinauf, desto donnernder die Stimmen. Aber die schwächern hatte sie kaum gehört, und die stärksten machten nur einen geringen Eindruck auf sie, obwohl mehrere[169] Schimpf- und Spottreden darunter waren, die besonders ihr Geschlecht angingen. Sie stieg um so muthiger weiter, da sie sahe, daß sie den Gipfel des Berges bald würde erreicht haben.

Sie war eben hinauf gekommen, als der kleine Vogel, mit dem Brüllen eines Löwen, welches sich doch für einen sprechenden Vogel gar nicht schickte, ihr entgegen donnerte: »Bleib Närrin wo du bist, und nahe dich nicht zu deinem Verderben!«

Aber sie nahete sich dennoch mit schnellen Schritten, legte die Hand auf den goldnen Käfig des Vogels, riß mit der andern Hand die Baumwolle und das Wachs aus beiden Ohren, und sprach:

»Vogel du bist nun mein, und sollst mir nun und nimmermehr wieder entkommen!«

»Schöne und kühne Dame, antwortete der nun höfliche Vogel, das ist auch nun und nimmermehr möglich, nachdem Ihr mich mit so viel Klugheit und Muth gewonnen habt. Ihr seid von nun an meine recht liebe Herrin, der ich allezeit ergeben und treu zugethan sein werde. Das will ich Euch einsmals beweisen, indem Ihr durch mich erfahren sollt, wer Ihr seid, denn das wißt Ihr selbst noch nicht!«

Der Parizade gefielen die artigen Worte, obwohl sie die letztern gar nicht verstand, und ihren Vogel für einen närrischen Kauz hielt, der mit unter denn auch eben nicht klüger spreche, als andere Vögel zu sprechen pflegen.

»Vogel! du gefällst mir, sagte sie; aber es gibt noch Mancherlei was ich fordere. Du mußt mir das gelbe Wasser verschaffen, was sich auf diesem Berge findet, und dann auch den singenden Baum.«

Der Vogel machte Ausflüchte mancherlei Art, und wollt' es nicht gern thun. Aber Parizade sprach: »Vogel du bist mein Sklav' und mußt mir gehorchen;« denn der Sklav hat keinen eignen Willen,[170] sondern der Wille seines Herrn muß der seinige sein, und unser kluge Vogel begriff das wohl, und zeigte ihr demnach Alles an.

Das gelbe Wasser fand sich nicht weit in einem großen Marmorbecken, aus dem es in hohen Garben aufstieg, und wieder herab fiel, welches einen herrlichen Anblick gab. – Aber sie wußte nun freilich nicht, wie sie das Wasser in ihr Schloß bringen sollte. Der Vogel aber wußte es, und zeigte ihr einen Krug am Rande des Beckens. »Nimm den, sprach er, und fülle ihn mit Wasser, und führe ihn mit heim; gieß sein Wasser in ein Marmorbecken, und es wird sich Alles begeben, wie hier.«

Parizade that also.

Der singende Baum stand in einem Gebüsch unsern des Beckens, mitten unter mehrern Bäumen, und war kenntlich an den schönen, sanftlieblichen Stimmen allerlei Art, die aus ihm hervor kamen, und war sehr hoch und stark, aber sie brach nur einen Zweig davon ab, und nahm ihn mit. Das hatte sie der Vogel gelehrt.

»Vogel, sagte sie, ich danke dir sehr schön; es ist aber noch Eins übrig zu thun. Du mußt mich lehren meine Brüder aus den Steinen wieder zu erwecken, und auch den übrigen Steinen wieder zu ihrer Gestalt zu verhelfen.«

Das ging dem Vogel viel schwerer ein als das Vorige, und er suchte sich mit allem Fleiß und Kunst davon los zu winden. Es half ihm aber nichts, denn die Prinzessin sagte: »Weißt du, daß du mein Sklav bist, Vogel?« das wußte er denn freilich und sprach: »Im Hinabsteigen vom Berge gießet auf jeden Stein einen oder zwei Tropfen aus dem Kruge.«

Parizade that also, und es kamen die Menschen allzumal, die Herren und Knechte, und auch die Pferde aus den Steinen hervor, und die Brüder umarmten die Schwester, und sagten, sie hätten allhier nur ein wenig ausgeruht.[171]

Als sie nun aber hörten, wie sich Alles hatte begeben, da fielen sie der Schwester um den Hals, und die andern Erweckten waren vor Entzücken und Dankbarkeit ebenfalls ganz außer sich.

Der ganze Zug setzte sich in Bewegung – es versteht sich, nachdem sie einander erzählt hatten, wie es ihnen ergangen sei, und dann auch, wie sichs gebührt, tausend Lobeserhebungen für die kühne und edle Retterin beigefügt hatten. So wie der Zug fortging wurde er immer kleiner, indem hier ein Theil zur Rechten oder Linken sich in seine Heimath begab, der andere Theil dorthin sich wendete, bis zuletzt die Geschwister allein auf ihrem Landhause ankamen, wo sie froh und glücklich in herzlicher Eintracht und Liebe beisammen lebten, und wieder ihre alte Lust trieben, nämlich die Jagd.

Die Prinzessin hatte ihren Wundervogel, in einen großen und herrlichen Gartensaal gehängt, und alle Singvögel kamen aus den Wäldern und Fluren, und wenn der Wundervogel erst angestimmt hatte, sangen sie alle lustig und lieblich mit. Den Zweig vom singenden Baum hatte sie unter andere schöne Bäume nahe beim Wohnhause hinpflanzen lassen. Er wuchs nicht etwa, sondern schoß hoch und schnell auf, und wurde eben so groß als der Baum, von dem er genommen war, und sang auch sogleich wieder wunderherrlich. Mitten im Garten war ein großes weites Marmorbecken. Da hinein goß Parizade das goldgelbe Wasser, und flugs fing es an zu wallen, und stieg in hohen Garben empor, in welchen die Sonnenstrahlen blitzten und spielten, worauf denn die Garben in das Becken zurück fielen, und wieder empor stiegen.

Die ganze Nachbarschaft war voll von diesen unerhörten Dingen, und kamen dieselben zu schauen, was Jedem erlaubt war.[172]


Während die Brüder auf die Jagd gingen, war meistens die Schwester zu Hause, und besorgte die Hausangelegenheiten. Zuweilen jedoch begleitete sie dieselben, obwohl seltener als sonst.

Einsmals hatten die Brüder weit ab von ihrem Parke gejagt, als sie auf den König von Persien trafen, der in derselben Gegend des Waldes Jagd hielt. Sie wären ihm gern ausgewichen, allein das war unmöglich. Sie stiegen vom Pferde und fielen vor ihm nieder, mit der Stirn zur Erde.

Der Sultan sahe, daß sie eben so gut gekleidet waren als die Herren seines Hofes, und befahl ihnen aufzustehen. Er besahe sich dieselben vom Kopfe bis zur Fußzehe, ohne ein Wort. Sie gefielen ihm sehr an Gesichtsbildung, Gestalt und Manieren.

»Wer seid ihr denn?« fragte der König.

»Herr, antwortete Bahman, wir sind die Söhne des verstorbenen Oberaufsehers der Gärten Ew. Majestät, und leben hier in der Nähe in dem Landhause, das er uns hinterließ. Er hat uns befohlen darin zu verweilen, bis wir im Stande sind, Ewer Majestät Dienste zu leisten, und alsdann eine Anstellung in Unterthänigkeit von Ewer Majestät Gnade zu erflehen.«

»Wie ich sehe, sprach der König, seid ihr Liebhaber von der Jagd?«

»Herr, erwiederte Bahman, darin üben wir uns fleißig, um einst desto glücklicher die Feinde Sr. Majestät jagen zu können, wie es die alte Gewohnheit unseres Volks ist.«

Dem König gefielen die Antworten der jungen Leute eben so wohl, als ihre Personen ihm gefallen hatten, und er sagte, es werde ihm Vergnügen machen, wenn er selbst sie jagen sähe; sie möchten sich das Wild, welches sie jagen wollten, selber erlesen.

Damit gings fort, und Bahman erlegte einen großen Löwen, und Perwis einen starken Bären, mit solcher Furchtlosigkeit und Gewandtheit, daß darüber der König erstaunte. Hierauf erlegte der[173] ältere Bruder einen mächtigen Bären, und der jüngere einen grimmigen Löwen.

»Halt! sagte der König, wir wollen zu jagen aufhören, denn Ihr möchtet mich sonst um alle meine Jagd bringen.«

Er ladete sie ein, ihm sogleich an seinen Hof mit zu folgen, sie aber entschuldigten sich damit, daß sie eine Schwester hätten, die über ihr Außenbleiben in Todesangst sein würde, weil sie alle drei in höchster Eintracht lebten, und eins ohne die beiden andern nichts thäte.

»Das gefällt mir, sprach der König; aber morgen wollen wir wieder hier jagen, sagt Eurer Schwester, was ich wünsche, und bringt mir Antwort.« Aber sie vergaßen aus Müdigkeit der Schwester zu sagen, was sich zugetragen hatte, und legten sich zur Ruhe.

»Nun? was hat die Schwester gesagt? fragte der Sultan am andern Morgen. Hat sie ihre Einwilligung gegeben, Euch bei mir zu haben?«

Bahman und Perwis waren in großer Verlegenheit, und mußten gestehen, daß sie es aus Ermüdung vergessen hätten.

Ohne unfreundlich zu sein, empfahl ihnen der König, sie möchten es denn heute Abend nicht vergessen. Das versprachen sie auch, vergaßen es aber eben auch wieder, wie das erstemal.

Der Sultan zürnte wiederum nicht, denn die Jünglinge gefielen ihm gar zu sehr. Er zog drei kleine goldene Kugeln aus seinem Busen hervor, die er Bahman gab, indem er lächelnd sagte: »Wenn diese Kugeln heute Abend aus Eurem Gürtel fallen, werden sie Euch an meinen Wunsch erinnern.«

Wie man aber den Wunsch eines Königs so unverzeihlich vergessen kann, weiß ich freilich nicht; wenn Ihr es aber wißt, so sagt mir es auch. – Der leiseste Wunsch eines Königs ist ja, wie wir Alle wissen, sonst ein gewaltiger Befehl.[174]

Es wurde nun wieder gejagt, und da der Abend kam, hätten sie ohne die drei Goldkugeln, die auf dem Boden hinrasselten, gewiß wieder Alles vergessen und verschlafen. – Seltsam, daß sie es nicht vergessen hatten, mit dem König die beiden Tage zu jagen, sondern nur der Schwester von des Königs Wunsch zu sagen. Aber weil es in einem Mährchen steht, so müssen wir es glauben, wenn wir auch eben nicht wollen.

Die Brüder eröffneten nun der Parizade, wie sie mit dem König gejagt hätten, und was derselbe wünsche. Das machten die drei Kugeln, welche das Gedächtniß ersetzt hatten.

Parizade kam in große Unruhe. »Euch, sagte sie, ist des Königs Wunsch ehrenvoll, aber für mich ist er sehr betrübend. Einem Sultan darf man nicht leicht etwas abschlagen, denn wenn man ihren Wünschen nicht folgt, so wird man gezwungen ihren Befehlen zu gehorchen. – Doch wir wollen nichts beschließen, sondern ich will erst den Vogel befragen.«

Dieser Vogel war, wie ihr wißt, kein lustiger Vogel, aber ein kluger. Man legte ihm die Sache vor, und nach einigem Besinnen, wobei er ganz ernsthaft aussahe, sagte er: »dem Wunsche des Sultans könnt Ihr nicht ausweichen, und Ihr müßt ihn sogar hernach zu Euch, durch Bahman und Perwis, zu Gaste bitten!«

»Ach! so soll ich denn ohne die Brüder leben?« seufzte Parizade.

»Keineswegs, sprach der Vogel, sondern Ihr sollt immer beisammen bleiben!«

Am andern Morgen eröffneten die Brüder dem Sultan, sie hätten mit der Schwester gesprochen, und ständen Ewer Majestät allerunterthänigst zu Befehl.

Der König antwortete ihnen mit unbeschreiblicher Güte, brach bald die Jagd ab, und sie mußten ihn zu seinem Palast hin begleiten,[175] indem er ihnen hieß, ihm zur Rechten und Linken zu reiten, eine Ehre, über welche selbst der Großweßir neidisch wurde.

Die Hauptstadt erstaunte über die Schönheit und über das geistvolle Gesicht der Jünglinge, und die meisten wünschten, der Himmel möchte dem Könige und dem Lande zwei solche Prinzen gegeben haben.

Sie mußten mit dem Könige essen – wieder eine Ehre, die im Morgenlande höchst ungewöhnlich ist. Hierauf führte der König sie überall im Palast umher, und sprach über Mancherlei, und hatte allenthalben Gelegenheit, ihre Kenntnisse und Geschicklichkeiten, und ihre tiefen Einsichten zu bewundern, und wünschte, sie möchten seine Kinder sein.

Die Jünglinge beurlaubten sich. Aber vorher hatten sie dem Sultan den Wunsch ihrer Schwester in Unterthänigkeit dargelegt, morgen nach der Jagd in ihrem Landhause ein wenig auszuruhen. Sie unterständen sich, sagten sie, diese Bitte zu wagen, obwohl sie alle drei und ihr Landhaus nicht würdig wären, durch den Glanz Sr. Majestät so hoch beglückt zu werden.

Der Sultan versprach zu kommen, und hielt am andern Tage Wort.

Parizade mußte nun denselben Abend noch mit großem Fleiß daran denken, wie man den Herrscher empfangen und bewirthen sollte, und da sie selbst keinen Rath wußte, wie das Alles anzufangen sei, so mußte wieder der Vogel deshalb den Schnabel aufsperren, und ordnete Alles so herrlich an, als ob er seit 40 Jahren Hofmarschall und Koch gewesen sei. Vor allen Dingen bestand er auf eine Schüssel Gurken, gefüllt mit Perlen.

»Was? rief Parizade, Perlen zum Füllsel für Gurken? Wer hat jemals etwas so Thörichtes gehört? ich denke fast, du seist zu Zeiten ein wenig verwirrt. Was soll der Sultan mit einem Gericht, das nicht zum Essen ist. Er möchte vielleicht den Werth eines solchen[176] Gerichts bewundern, aber er würde es uns auch wohl als Hochmuth auslegen. – Zudem würden alle meine Perlen zu einem so wunderlichen Gericht schwerlich zureichen.«

»Thut nur, Herrin, was ich sage, antwortete der Vogel. Ihr werdet schon sehen, wozu es dienen wird. Was die Perlen betrifft, so werdet Ihr deren am Fuß des ersten Baums in Eurem Park, zur rechten Hand, mehr finden als Ihr braucht. Ihr dürft nur ein wenig in der Erde nachwühlen lassen.«

Es geschah also, und man fand einen hübschen kleinen Koffer, mit Perlen gefüllt, die von mittler Größe waren, und mit welchen der Koch Gurken füllen mußte.

Der Sultan kam, und Parizade warf sich ihm zu Füßen. Aber der Sultan hob sie auf und bewunderte ihre glänzende Schönheit, und sagte, die Brüder und die Schwester wären einander würdig.

Der Sultan ließ sich Gebäude und Garten zeigen, und wunderte sich, daß Alles so schön und richtig angelegt sei, denn er verstand sich auf diese und auf alle andere Sachen in der ganzen Welt, wie alle Sultane. Aber er war höchst betroffen, mehr als es Jemand sagen kann, als er das in Garben steigende und fallende goldgelbe Wasser sahe, und wollte wissen, durch welche unbekannte Kunst das Wasser so hoch getrieben werde, und so goldgelbe Farbe habe, wie der edelste Wein. Und als er dem singenden Baum nahe kam, suchte er die Musiker, die das herrliche Konzert aufführten, und war erstaunt als er keinen fand, und wollt es nicht glauben, daß der Baum den Konzertmeister und das Musikantenchor ganz allein mache. Und als er in die Nähe des Saales kam, sahe er, daß auf den Bäumen ein großer Chor von Vögeln allerlei Art saß, welche lustig drein sangen, schlugen, pfiffen und trillerten, jeder Vogel nach seiner Weise.

Es versteht sich, daß von allen diesen Wunderdingen der Sultan Auskunft haben mußte, und er erfuhr denn auch Alles, und[177] konnte vor Verwunderung nicht zu sich kommen, und diese Verwunderung wuchs, als der Vogel den Sultan anredete:

»Willkommen hier, gewaltiger Herr, sprach er; Ihr bringt große Ehre in dieses Haus, aber Ihr sollt auch große Freude daraus mit zurück nehmen. Der Himmel segne Eure Regierung und verlängere Euer Leben.«

»Vogel! ich danke dir schön, war die Antwort; du bist ein ganz kluger Bursche, obwohl ich nicht Alles verstehe, was du meinst.«

Bei dem Mahle, welches nun aufgetragen wurde, hatte die Majestät einen unvergleichlichen Appetit, und sprach von Dem und Jenem, am meisten aber freilich von den drei Wunderdingen.

Jetzt kamen die Gurken mit Perlen. »Wie? sagte er, hat man denn jemals gehört, daß Gurken mit Perlen gefüllt werden? Seit wenn ißt man denn Perlen?« – Und dabei sahe er die Geschwister fragend an. Die kamen in große Unruhe und Verlegenheit, denn sie wußten kein Wort zu antworten; aber der Vogel half ihnen heraus.

»Sultan, sagte der Vogel sehr ernst, du wunderst dich über Gurken mit Perlen, und du hast dich nicht gewundert, daß deine Gemahlin Mond- und Seekälber und Kater gebracht hat, und hast nicht einmal darnach gefragt?«

Der Sultan ward betroffen. »Ich habe den Hebammen geglaubt,« antwortete er verlegen.

»Und diese Hebammen waren die Schwestern deiner Gemahlin, antwortete der Vogel, und waren neidisch auf das Glück derselben, und du, o Sultan! warst zu leichtgläubig!«

Hierauf erzählte der Vogel Alles, was sich zugetragen hatte, und daß diese Gärtnerskinder allhier, die Kinder des Sultans seien, wie er sich leicht überzeugen werde, wenn er des Kochs und des Bäckers Frauen scharf wolle befragen lassen.[178]

»O ich bin schon völlig überzeugt, sagte der Sultan; denn mein Herz hat mich ja immer zu ihnen hingezogen!« Und damit lagen Vater und Kinder einander in den Armen, und jubelten und weinten, und drückten sich ans Herz.

Wie es nun weiter kam, das kann sich Jeder leicht auslegen. Die Königskinder mußten mit an des Vaters Hof, und der Vogel, der singende Baum und das goldgelbe Wasser, wurden auf eben dieselbe Weise mitgenommen, wie damals vom Berge. Die Königin holte der König aus dem Käfig, bat sie tausendmal um Vergebung, küßte sie schön, und führte sie mit großer Pracht an den Hof. Da fand sie ihre schönen Kinder, und vergaß alles Leid im Augenblick.

Aber die bösen Schwestern, die nicht leugnen konnten, mußten das Leben hergeben.

Vierzehn Tage war in der Königsstadt Alles erleuchtet, und auf Königs Kosten lebte Jedermann herrlich und in Freuden.

Und die königliche Familie liebte sich von Herzen; und als der Sultan starb, da war er todt, und der Prinz Bahman ward König an seiner Statt.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 1, Leipzig [ca. 1819/20], S. 153-179.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon