Prinzessin Schneeweißchen.


Prinzessin Schneeweißchen

[269] Die Prinzessin Schneeweißchen war die Tochter einer großen und vornehmen Königin, deren Gemahl wohl an hundert Hufen Land, oder gar noch mehr Land hatte, nämlich wohl an hundert und Eine Hufe. – Die Mutter war gar sehr schön, aber zweimal so eitel als sie schön war, und weil die Tochter täglich schöner wurde, so gefiel ihr das gar nicht, und sie dachte, es dürfe Niemand schöner sein als sie; denn die Eitelkeit verdirbt selbst das Mutterherz, sonst hätte sie ja an Schneeweißchens Schönheit große Freude gehabt.

Die Königin hatte einen Zauberspiegel, der ihr alle Morgen mußte ansagen, sie wäre die schönste Person in der Welt, und dabei ihr im Spiegel ihre Person zeigen, damit sie es selbst sähe. – Glauben mocht sie es ohnedieß gern, ohne daß sie es hätte zu sehen nöthig gehabt.

Auf einmal wird der Spiegel ganz einfältig und dumm, und sagt ihr: – sie sei zwar die schönste Person weit und breit umher, aber die allerschönste sei ihre Tochter, die Prinzessin Schneeweißchen, und vielleicht noch hundert oder tausendmal schöner als sie, und also die schönste in der Welt. – Das war ihr denn sehr entgegen, eben weil sie viel Eitelkeit, und grade darum wenig Mutterherz hatte, wie Ihr schon wißt.[270]

»Schneeweißchen die Schönste? sagte sie, und Ich nicht? – Nun das muß denn doch anders werden. – Schneeweißchen muß nieder!«

Da sollte ein Jäger, dem sie vertraute, Schneeweißchen in den Wald führen und todt machen, und zum Wahrzeichen Lunge und Leber zurück bringen, die sie selbst doch wohl aus lauter mütterlicher Liebe essen wollte, und zwar mit Pfeffer und Salz.

Der Jäger nimmt Schneeweißchen in den Wald – tief, tief hinein. Aber wenn Ihr denkt, er habe es abgewürgt, so irrt Ihr Euch sehr. Schneeweißchen sah ihn so traurig und bittend an, und er hatte ein mitleidig Herz. – Einen jungen Frischling fing und kehlte er ab, und brachte der Königin, was sie für ihren mütterlichen Appetit verlangte.

Lunge und Leber, vorgeblich von Schneeweißchen, aß die Mutter. – Aber sie waren vom abgefangenen Frischling.

Schneeweiß hatte der Jäger indessen im großen weiten Walde lassen gehen, denkend, sie käme nicht wieder, weil der Wald so groß und lang und breit war, mehr aber noch, weil Schneeweißchen so treuherzig versprochen, es wolle nimmer zurückkehren.

Das arme Mädchen lief und lief, weit weit in den Wald hinein bis es Abend war geworden. Da fand es ein kleines Häuschen, das gehörte sieben kleinen Zwergleins, die aber nicht zu Hause waren, sondern bei ihrer Arbeit im Berge. – Schneeweißchen ging ins Häuschen, denn es war so müde, so hungrig und durstig, und fand alles darin niedlich und klein, und sauber und rein. Da stand ein Tischlein mit sieben kleinen Tellern, und neben jedem Teller lag ein Löfflein, ein Messerlein, und ein Gäblein, und ein Becherlein stand auch dabei, und, wie es sich für kleine Leutchen paßt und schickt, so waren alle Geräthe, und also auch die kleinen Bettchen, die an der Wand standen.[271]

Weißchen, weil es so unschuldig und arglos war, und nicht dachte, es könne ihr Jemand das übel nehmen, und weil es auch so hungrig und durstig war, aß von jedem Tellerlein ein wenig Brot und Gemüß, trank aus jedem Becherlein einen oder zwei Tröpfchen Wein, und wollte nun gern schlafen, weil es gar zu sehr müde war, und legte sich in ein Bettchen, das ihm aber nicht paßte, und wollte ihm keins passen, als das letzte und siebente, worin es denn sanft einschlief.

Da kamen zur Mitternacht die Zwerglein von ihrer Arbeit nach Haus, und steckten sich sieben Lichtlein an, und sahen dann, daß Jemand im Häuslein gewesen war.

Da sprach das Erste: »Wer hat auf meinem Stühlchen gesetzt?«

Da sprach das Andere: »Wer hat von meinem Tellerlein geeßt?«

Das Dritte sprach: »Wer hat von meinem Müschen pappt?«

Das Vierte: »Wer hat mit meinem Gäblein zutappt?«

Das Fünfte: »Wer hat mit meinem Messerlein schnitten?«

Das Sechste: »Wer mein Brötlein zertheilt in der Mitten?«

Das Siebente: »Wer hat aus meinem Becherlein nippt?«

So sprachen die kleinen Männlein.

Da sahen sie sich um und suchten. Das Eine sagte: »da hat was in meinem Bettchen gelegen,« und die andern, nachdem sie zusahen, sagten allesammt: »in meinem Bettchen hat auch was gelegen.« – Und im siebenten Bettchen fanden sie denn das liebe Schneeweißchen, das sie mit allen sieben Lichtchen besahen, und das ihnen allen gefiel, weil es so sanft und so unschuldig da lag und schlief, aber auch wohl, weil sie allzumal so herzliebe und gute Leutchen waren.

Sie weckten das liebe Kind nicht etwa auf, sondern ließen es schlafen im Bettchen, und gingen recht leise und sacht, damit es nicht möchte erwachen. Und der siebente Zwerg, in dessen Bettchen das liebe schöne Kind lag, legte sich zu den übrigen Zwergen – in jedes seinem Bettlein ein Stündlein.[272]

Da war denn die Nacht herum, und Weißchen wacht auf, und nun fragten es die kleinen Männer, wer sie denn sei, und wie sie daher komme?

Und da sagte sie ihnen Alles, wie es ergangen, und wie die Mutter so schlimm sei gewesen. – Nun aber wisse sie gar nicht wohin?

»Sollst bei uns bleiben, lieb Weißchen, sagten die Zwerge allzumal; – bei uns bleiben und unser Schwesterlein sein, aber auch unsern Haushalt verwalten, und wenn wir im Berge arbeiten, Alles versehen, kochen und nähen, betten und waschen, reinlich und ordentlich halten Alles im Hause, und Abends das Essen zurecht halten, wenn wir aus den Bergwerken kommen, weil wir da hungrig sind, und dafür wollen wir dich lieb, recht grundlieb haben, und du sollst gewiß und fürwahr unser liebes Schwesterlein sein, wenn du das willst.«

Das wollte sie denn recht gern, und die Zwerglein ermahnten und baten sie nur noch, keinen ins Haus zu lassen, denn die böse und garstige Mutter würde nicht ruhen, zumal da sie den Zauberspiegel habe, und so eitel, so recht sehr eitel sei.

Ja! die liebguten Zwerglein wußten recht wohl, was sie sagten, aber das arglose Schneeweißchen wußte es ja nicht, und verstands nicht so recht, denn sie war so unschuldig.

Die Mutter trat wieder vor den Spiegel und fragte – denn die Eitelkeit ruht nicht, selbst wenn sie eine Tochter glaubt umgebracht zu haben – fragte den Spiegel wieder, und erfragte sich nichts Angenehmes, denn der Spiegel sagte aus: sie sei die Schönste rings umher, nur die Tochter Schneeweißchen, jenseits der Berge, sei viel, viel schöner.[273]

Da erbleichte sie. Aber sie wußte auch gleich, die Tochter müsse bei den Zwergen sein, denn sie wohnten ja jenseits der Berge, und Niemand sonst weiter.

Da verkleidete sich die Königin, und färbte ihr Gesicht ganz gelb, und ging wie eine alte Krämerin vor das Haus der Zwerge, und bot ihre Waare feil, welche aus Schnürriemen bestand, die der Weißchen gar wohl gefielen. Und weil die alte Frau so ehrlich und treuherzig that, ließ sie dieselbe ins Haus, erhandelte sich einen Schnürriemen. Die alte Krämerin aber sagte: »du bist gar übel geschnürt, du liebes Kind, so schleppig und lose; ich will dich einmal schnüren, wie es ordentlich sein muß.« Und da schnürte sie das arme Kind so fest, daß es todt hinfiel.

Als die Zwerge zu Mitternacht heim kamen, da erschracken sie sehr, denn ihr liebes Schneeweißchen lag todt auf dem Boden. Aber sie merkten denn bald, daß die böse Mutter müsse dagewesen sein, und daß das Mädchen zu fest geschnürt sei, und schnitten den Riemen entzwei. Da ward es wieder lebendig, und die herzguten Zwerglein freuten sich sehr, und ermahnten und baten gar sehr, keins wieder ins Häuschen zu lassen.

Die Königin fragte den Spiegel bald abermal, und der sagte wiederum aus, Schneeweißchen sei dennoch am schönsten, so schön sie auch selbst sei.

So sann sie denn Tag und Nacht darauf, wie sie dennoch das arme Mädchen wollte verderben, und ersann sich einen sehr giftigen Kamm, verkleidet sich anders, und kommt zu Schneeweißchen und klopfet an die Thür. Aber das Mädchen sagt, es dürfe Niemand hinein lassen, denn die Zwerglein hättens verboten. Da aber zog die böse Mutter den blinkenden, glitzernden Kamm hervor, und sagte, der sei so wohlfeil und wunderschön, und weil Schneeweißchen[274] denn doch ein Mädchen war, gefiel ihr derselbe gar sehr, und es macht auf und kauft ihr den Kamm ab; und die Krämerin ging fort. Als aber Schneeweißchen den Kamm in die Haare hatte gesteckt, fiel es todt nieder.

Das wußte die Königin wohl, und dachte: »Nun bist du gewiß todt, und wirst nicht wieder erwachen.« – Als aber die Zwerge nach Hause kamen, sahen sie gleich wieder was geschehen war, und weil sie viel Mittel wußten, brachten sie das angenommene Schwesterlein wieder ins Leben, und als die grundböse Mutter den Spiegel aufs neue befragte, hatte ihr Giftkamm ihr doch nicht geholfen, und Schneeweißchen war dennoch die schönste.

Da ergrimmte die Königin zornig und sprach: »das häßliche Ding soll sein Leben hergeben, oder ich wollt lieber mein eigenes Leben hingeben.«

Da machte sie heimlich in ihrer heimlichsten Stube, wohin Niemand kommen durfte, weil sie ihre bösesten Giftkünste darin trieb, einen schönen rothbackigen Apfel zurecht, so schön, daß, wer ihn sahe, Lust dazu bekam. Aber die eine Hälfte war recht giftig vergiftet. Nun hatte sie sich als Bauersfrau verkleidet, und ging ans Haus der Zwerglein und klopfte an, und wollt den Giftapfel verkaufen. Aber Schneeweißchen sagte, es lasse nun und nimmermehr Niemand wieder ins Häuschen hinein, denn sie dürfe es nicht, und sei ihm gar sehr hart verboten.

»Oho! sagte die Bäuerin – weiß es wohl, daß es böse Leute giebt, die man nicht muß ins Haus lassen; aber so bin ich nicht, und meine Aepfel will ich wohl los werden, denn die machen munter und frisch, und recht heiter und gesund.« Somit schnitt sie denn den einen Apfel entzwei, den nämlich, der so stark zur Hälfte vergiftet[275] war, aß davon die unvergiftete Hälfte, und bot die schönste, aber vergiftete Hälfte Schneeweißchen durchs Fenster als ein Geschenk an – und die Aepfelhälfte war so gar lockend, daß Schneeweißchen sie nahm, davon ein Stücklein abbiß, aß, und todt nieder fiel.

»Nun bist du gewiß und wahrhaftig todt,« die Königin sprach, und ihres Weges davon ging. – Und als sie den Spiegel fort und fort befragte, so hieß es denn immer, daß sie die Schönste sei im Lande und gar in der Welt.

»Nun! sprach sie, so wird sie wohl nicht wieder erwachen.« – Lange blieb sie nach dem Zeugniß des Spiegels nun die Schönste.

Die lieben Zwerglein waren ganz und gar untröstlich, als sie Mitternacht von der Arbeit im Berge nach Hause kamen, und sahen das liebe Schwesterlein todt, und konnten ihm nicht mehr helfen, mit all' ihrer Weisheit und Kunst. Sie saßen und weinten drei Tage lang bitterlich und kläglich an ihrem Sarge, den sie vom köstlichsten Holze hatten gezimmert. Aber als sie es wollten begraben, sahen sie, daß es noch so gar frisch und lebendig aussahe, und die schön weißen und rothen Backen noch hatte. Da machten sie einen gläsernen Sarg, zu welchem die Luft zukonnte, legte es hinein, setzten es bei, und ein Zwerglein nach dem andern wachte jedes einen Tag und eine Nacht lang bei ihm. Sie hofften ja, es müsse wieder aufleben, weil sie es wünschten; wachten eins nach dem andern lange beim Sarge, denn Schneeweißchen blieb wie es war, weiß und roth, und verwesete gar nicht, und hätt es die schön blauen Aeuglein können aufthun, so hätt es fürwahr gelebt.

Da kam einmal ein Prinz, der kam weit her, und war viel gereist, und hatte auf den Reisen viel gesehen und erfahren und gelernt. Der ging zu dem gläsernen Sarge, und sahe Schneeweißchen;[276] und als ers gesehen hatte, wars ihm, als könne er nun und nimmermehr wieder von ihm ablassen, so wunderschön schien es in seinen Augen, und er sagte den Zwerglein, sie möchten ihm das liebliche Kind geben. Aber die wollten nicht, obwohl er ihnen sein halbes Königreich abtreten wollte; denn, sagten sie, wie können wir es denn geben, da es uns lieb, so lieb ist, als obs unser Schwesterlein wäre?

»Aber wenn ichs nun wieder lebendig mache, wollt Ihr mir es auch dann nicht geben?« fragte der Prinz.

»Ja! ja! gern, von Herzen gern, sagten die Zwerge, wenn wir sie lebendig sehen, so ist ja Alles recht gut.«

Und der Prinz, der wohl gemerkt hatte, daß Weißchen noch leise athmete, und daß ihr von einem giftigen Apfel etwas war im Halse stecken geblieben, und der ein Mittel gegen solche Dinge wußte, machte, daß das Stück Apfel heraus ging, und Schneeweißchen ward wieder lebendig.

Und der Prinz heirathete Schneeweißchen. Aber die böse Königin sahe in ihren Spiegel, der ihr seit langer Zeit immer hatte gesagt, sie sei die Schönste in der Welt. Und jetzt wieder sagte der Spiegel, Schneeweißchen sei tausend Mal schöner. Da wurde sie grimmig und wüthend, und hätte die Tochter gern mit dem Brotmesser erstochen, nur wußte sie nicht, wo diese war, indem der Spiegel davon nichts hatte gesagt, und wovon er das erste Mal nichts sagte, sagte er zum zweiten Male kein Wort, man mochte ihn fragen so viel man wollte, denn er war ein kurzköpfiges, protziges Ding.

Aber die Königin wurde zur Vermählung einer Prinzessin geladen; da fuhr sie denn hin, um ihre Schönheit recht glänzen zu[277] lassen, und die Prinzessin und den ganzen Hof zu beschämen. Wer die Prinzessin war, hatte sie gar nicht gewußt, denn es hatte es ihr Niemand gesagt. – Und als sie hinkam, war es Schneeweißchen, die tausend Mal schöner war als sie – da erschrack und erblaßte die Königin. Aber die Zwerglein waren auch auf der Hochzeit des lieben Schwesterleins, und weil sie dachten, daß Strafe sein müßte, hatten sie Pantoffeln von Eisen geschmiedet, und hatten sie glühend gemacht. Die Königin mußte in den glühenden Pantoffeln tanzen, kam mit abgebrannten Füßen nach Hause, und wurde von Allen verabscheut; Schneeweißchen aber hatte alle Welt lieb.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 1, Leipzig [ca. 1819/20], S. 269-278.
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