7.

[365] Es herrschte in uralter Zeit ein mächtiger Khan über ein großes Land voller Marktplätze, in welchen viel Volks lebte. Das Land war sehr fruchtbar, wenn der Fluß übertrat, der durch das Land floß und die Felder durch Ueberschwemmungen fruchtbar machte. Der Fluß trat aber nicht alle Jahr über, und dann kam über das Land großes Elend und Hunger. Das machten aber zwei böse große Krokodilfrösche, die wohnten an den Quellen des Flußes, in einem großen Sumpfe.

Die Frösche fraßen gern Menschenfleisch. Da mußte man ihnen von Zeit zu Zeit einen Menschen in den Sumpf werfen, an welchem sie eine zeitlang zu zehren hatten, wenn aber das nicht geschahe, so verstopften sie die Quellen des Flußes und dann verdorrte das Land. Dann warf man einen Menschen, den das Loos traf, in den Sumpf, worauf sie das Waßer wieder frei ließen.

Einst traf nun das Loos den Khan selbst, den Fröschen zur Mahlzeit geliefert zu werden. Der Khan hätte nun gern ein Paar[365] Dutzend der Unterthanen den Fröschen zur Mahlzeit gegeben, aber das ging zur selben Zeit und in selbigem Lande gar nicht, denn die Unterthanen waren hochmüthig und keck und meinten: Gottes Wille und Fürstenwille seien zweierlei Ding, und sie brauchten sich nicht so allein freßen zu laßen, sondern die Großen seien so lange sterbliche Menschen, als der Todt sie noch fräße. Kurz es waren verzweifelte Leute.

Also sollte der Khan den Fröschen überliefert werden, und obwohl derselbe behauptete, das ganze Land und die ganze Welt ginge zu Grunde, wenn Er nicht mehr regiere, so wollten die Unterthanen doch kein Wort davon glauben, und half deshalben kein Weigern.

Der Khan wollte sich den Fröschen ausliefern laßen, aber sein Sohn, ein hochherziger Jüngling, gab es nicht zu. Jetzt gab es einen Wettstreit der Ehre, der Liebe, der Zärtlichkeit.

»Ich bin alt, mein Sohn, sagte der Vater; bleibe du und herrsche nach den Gesetzen! Ich aber will gehen, weil es anders nicht sein kann.«

»O Tängäri (Himmelsabkömmling), rief der Sohn, das geht nicht an. Du hast mich mit Sorgfalt gepflegt; jetzt muß ich dir danken! Wenn Khan und Khanin zurückbleiben, was bedarf es denn meiner, zumal da der Brüder noch drei sind!« So sprach er, und das Volk wandelte jammernd um ihn im Kreise herum1, und begab sich dann wieder zurück.

Der Sohn des Khans hatte von früher Kindheit an einen Gespielen gehabt, den Sohn eines armen Mannes, mit welchem[366] er aufgewachsen war und gelebt hatte. Er ging zu diesem und sprach: Lebe nach dem Willen der Aeltern und lebe vergnügt! »Ich gehe zum Besten des Reichs, mich von den Fröschen verzehren zu laßen.«

Der Sohn des armen Mannes sagte: du Khanssohn! Ich bin mit dir aufgewachsen; wir haben zusammen gespielt, wir haben zusammen gelebt; so laß uns, wenns sein muß, zusammen auch sterben.«

Beide machten sich auf und gingen zu den Fröschen und kamen an den Rand des Sumpfes. Da hörten sie die beiden Frösche, deren einer gelb und der andere blau war, über mancherlei Dinge sprechen. Da sagte der gelbe Frosch: »Der Khans Sohn und sein Begleiter werden kommen, die sollen uns eine köstliche Speise sein. Aber wüßten die Beiden es, wenn sie Jeden von uns den Kopf mit dem Schwerdte zerspalteten und der Khanssohn mich gelben Frosch verzehrte, und des armen Mannes Sohn dich blauen Frosch, daß sie dann Gold und Erz speien würden, so viel sie wollten, und würden hohe Männer werden, und würden die Quellen nicht mehr verstopft, das wäre für uns sehr übel.«

Der Khanssohn verstand die Sprache von allen Geschöpfen, und also begriff er die Rede der Frösche. Und als die Frösche Menschenfleisch witterten und die Köpfe an dem Rande des Sumpfes hervorsteckten, da zerspalteten sie die Köpfe der Frösche und aßen sie, und ging ihnen Gold und Erz aus dem Munde nach Herzenslust.

Der Gefährte sprach nun: »Die Frösche sind beide getödtet: der Lauf des Flußes wird nicht mehr gehemmt; laß uns also nach unserm Lande zurückkehren.«

Doch der Khanssohn verstattete dieß nicht und sprach: »Kehren wir nach unserm Lande zurück, dann wird es heißen: ›es[367] sind Gespenster gekommen, und alles Volk wird fliehen vor uns;‹ laß uns lieber noch weiter ziehen, es wird uns nichts fehlen, denn wir haben Gold und auch Erz.«

Als sie darnach wandelnd über einen Berg zu einer Brannteweinhütte gelangten, in welcher zwei Weiber von reizender Bildung wohnten, Mutter und Tochter, da sprachen sie also: »Wir wollen Branntewein kaufen!« Die Weiber fragten: »Was habt Ihr für Branntewein zu geben?« Da spien sie Gold und Erz, und die Weiber ließen die Wanderer in die Hütte, reichten ihnen Branntewein in Menge, machten sie trunken, warfen die Trunkenen aus der Hütte hinaus und behielten das Gold und das Erz.

Beide erwachten und zogen weiter bis an die Mündung eines Flußes, und wurden in einem Hain einen Haufen zankender Kinder gewahr. »Worüber, sprachen sie, zankt Ihr Euch wohl?«

»Wir haben, hieß es, im Walde hier eine Mütze gefunden und Jedes begehrt sie.«

»Wozu, fragten die Wanderer, dient denn die Mütze?«

Diese Mütze hat die Eigenschaft, versetzten die Kinder, daß, wer sie aufsetzt, weder von Tängäri, noch Menschen, noch Tschädkürn gesehen kann werden.«

»Nun, so begebt Euch denn bis an das Ende des Waldes und kommt laufend zurück. Ich verwahr indeßen die Mütze und reiche sie dem Ersten von Euch, der von dem Laufe zurückkommt.«

So sprach der Khanssohn, und die Kinder liefen, aber fanden die Mütze nicht, denn der Khanssohn hatte sie auf den Kopf des Begleiters gesetzt. »Eben war sie doch da, sprachen die Kinder, und jetzt ist sie weg.« Nachdem sie die Kinder, ohne sie zu finden, gesucht, gingen sie jammernd zurück.[368]

Jene zogen noch weiter und fanden in einem Walde einen Haufen zankender Tschädkürn und sprachen: »Worüber zankt Ihr Euch wohl?«

»Ich, riefen sie Alle, habe mich dieser Stiefel bemächtigt!« »Wozu dienen diese Stiefel?« fragten sie.

»Wer diese Stiefel anzieht, versetzten die Tschädkürn, erreicht das Land, das er wünscht.«

»Nun, hieß es, so begebt Euch an jenen Weg, und wer zuerst laufend hieher kommt, soll diese Stiefel bekommen.«

Auf diese Worte liefen die Tschädkürn, aber die Stiefel waren in den Busen des Begleiters gesteckt, der auf dem Kopfe die Mütze hatte. Die Tschädkürn sahen die Stiefel nicht mehr, suchten vergebens und gingen zurück.

Hierauf zogen der Fürst und sein Begleiter die Stiefel an, Jedweder Einen, und wünschten sich nach dem Wahlplatze eines khanischen Reichs. Sie wünschten und kamen an, und legten sich schlafen, und früh am Morgen erwachend, befanden sich Beide in der Höhlung eines großen Baumes, mitten auf dem Wahlplatze des Reichs, wo eben das Volk versammelt war, einen heiligen Baling zu werfen. »Auf weßen Kopf der Baling fällt, sagte das Volk, der sei unser Khan.«

So sprachen sie werfend, aber der Baling des Schicksals fiel auf den Baum.

»Was ist das? sprach das Volk verwundernd; erwählet zum Khan ist ein Baum?« – »Laßet uns sehen, hieß es von Andern, ob nicht der Baum etwas Fremdes verberge?«

Als sie nun nachsahen, traten der Khanssohn und der Begleiter hervor. Aber das Volk stand im Zweifel und fragte: »Wer soll denn nun Khan sein?«[369]

»Laßet es den sein,« sprach der Begleiter, »denn er ist schon eines Khans Sohn und speiet Gold, ich aber bin eines armen Mannes Sohn und speie nur Erz.«

Da sagte das Volk: »So soll er denn Khan sein, du aber sei sein Minister.«

In der Nähe des khanischen Palastes befand sich ein hohes Gebäude und jeden Tag begab sich die Khanin dahin. »Warum, dachte der Minister, geht wohl jeden Tag in diese Wohnung die Khanin?«

So denkend setzt er die Mütze auf und folgte der Khanin durch die geöffnete Thüre von einer Treppe zur andern, bis zu dem Dache hinauf. Sie legte Kißen und Polster aufeinander, bereitete mancherlei Getränke und Speisen und zündete zum Wohlgeruch Weihrauch und Kerzen an. Der Minister aber setzte sich mit der unsichtbar machenden Mütze in einen Winkel und blickte nach allen Seiten umher.

Bald darauf entschwebte dem Himmel ein großer reitzender Vogel. Die Khanin empfing ihn mit duftenden Kerzen. Der Vogel setzte sich erst auf das Dach und sang lieblich, dann kam er zur Khanin und lagerte sich auf die seidenen Polster und genoß von den Speisen und Getränken.

Der Vogel sprach mit der Khanin und sagte: »Nun bist du Gemahlin des Khans, den dir das Schicksal beschied; doch was hältst du von ihm?« Die Khanin antwortete: »Ich kenne den Fürsten zu wenig, um von seinen Vorzügen und Mängeln zu sprechen.«

Die Zeit war vorübergegangen; die Khanin hüllte sich in ihre Kleider und ging in den Palast zurück.

Am folgenden Tage folgte der Minister der Khanin wie das vorigemal und vernahm diese Worte: »Morgen will ich als Wundervogel,[370] deinen Gemahl besuchen.« Die Khanin aber sprach: »Es sei also.«

Als die Zeit vorüber war, kehrte die Khanin zurück, aber der Minister erzählte seinem Herrn Alles, und sie hielten Rath, den Vogel zu tödten. Als nun am andern Morgen der Vogel kam, fing ihn der Minister, der die Mütze aufhatte, und der Khan hieb ihm mit dem Schwerdte den Kopf ab. Dann wurde der Vogel ins Feuer geworfen, und als er anfing zu brennen, verwandelte er sich und wurde zum Jüngling von unvergleichlicher Bildung. Als der Jüngling erkannt ward, war er der Bruder der Khanin.

Unsichtbar in der Mütze ging oft der Minister umher und sahe, was sich begab. Sich nahend einem Hause erblickte er durch eine Spalte der Thür einen Menschen, der ein Eselsbild ausbreitete und sich auf dem Bilde umherwälzend, erhielt er die Gestalt eines großen Esels und lief als Esel umher und schrie wie ein Esel. Dann wälzte er sich von neuem und erschien wieder in Menschengestalt. Zuletzt nahm er das Papier, rollte es zusammen und steckte es in die Hand eines Burchans (Götzenbild).

Der Mann kam heraus; der Minister aber ging unsichtbar hinein und eingedenk der schlechten That in der Branntweinshütte, geht er zu der Branntwein verkaufenden Mutter und ihrer Tochter und sprach mit verschlagenen Worten: »Euch für Eure Wohlthat zu lohnen bin ich zu Euch gekommen.« Mit diesen Worten reichte er den Weibern drei Goldstücke, und die Weiber sprachen: »Du bist wirklich ein guter Mensch, aber wie bist du wohl zu dem Golde gekommen?«

Der Minister antwortete: »Hin und her mich wälzend auf diesem Papiere, habe das Gold ich erlangt.«[371]

Nach diesen Worten sagten die Weiber: »So vergönne uns doch, daß wir uns ebenfalls wälzen.« Beide wälzten sich und wurden in Esel verwandelt.

Der Minister führte die Esel zum Khan und der Khan sprach: »Gib sie hin, daß sie Erde und Steine tragen, so sind sie bestraft.« So sprach er, und die Esel mußten drei Jahre Erde und Steine tragen und ihr Rücken ward wund und mit Blut und Eiter bedeckt. Da sahe der Khan ihre Augen voll Thränen und sprach zu dem Minister: »Quäle die Thiere nicht mehr, sie sind nun genug gestraft.«

Hierauf holte der Minister das Papier, und als sie sich darauf herumgewälzt hatten, waren sie zu zwei zusammengeschrumpften Weibern geworden. Aber der Khan ließ sie ernähren.

1

Nach der Sitte der Lama Religion, wo ein Fürstensohn, der sich fürs Volk aufopfert, wie ein göttliches Wesen angesehen wird; ich denke mit großem Recht.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 2, Leipzig [ca. 1819/20], S. 365-372.
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