Kalter Frühling

[171] Am Haselnußstrauche in gelbgrüner Flut

Gold stäubende Kätzchen hangen,

Dazwischen sind mit roter Glut

Blutsternchen aufgegangen.

Es übt auf bereiftem Giebel

Die Amsel ihren Sang,

Ob sie im neuen Frühling

Noch treffe den alten Klang;

Sie sucht, sie übt, sie stümpert,

Denkt wieder sich hinein –

Noch ist's die alte Weise nicht,

Doch wird's ihr Lied bald sein.


Ich sehe dich wieder nach langer Zeit.

Kaum färben sich deine Wangen,

Verlegen in meinem Herzen mait

Ein ängstliches Verlangen;

Der Rauhreif der Entfremdung

Macht meine Seele bang,

Kalt bleibt des Herzens Tiefe

Bei deiner Stimme Klang.

Mein Herz sucht seine Liebe –

Träumt mühsam sich hinein,

Doch ist's die alte Liebe nicht

Und wird es nie mehr sein.

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 171.
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