Poeta laureatus

[177] Zeitalter gab's, wo Lorbeer

Den Dichter hat gekrönt,

Den Prediger der Wahrheit,

Der heute wird verhöhnt,

Wer jetzt die Wahrheit singet,

Den steiniget man tot,

Sie bieten Gold dem armen Volke,

Man weigert ihnen Dach und Brot.


Wer schmeicheln nicht und kriechen

Und sich verleugnen kann,

Den morden die Federhelden,

Den liest kein Biedermann,

Nur himmelblaue Liedlein

Und Sittsamsimpelei

Ist Geistesbrot dem Volk der Denker,

Doch nicht der Wahrheit Hungerschrei.


Ich ruf' euch alle zusammen,

Ihr Sänger unsrer Zeit,

Zum Kampfe für der Wahrheit

Beschmutzte Heiligkeit,

Mit wilden Liedern rüttelt

Das taube Deutschland wach,

Und handelt wie ein strenger Vater,

Dem schlechten Kind frommt jeder Schlag!


Singt ewig nicht von Liebe,

Stimmt an das Lied vom Haß,

Fort Wein und Lust – besinget

Des Schweißes heilig Naß,

Legt bloß am deutschen Stamme

Was wurmfaul ist und krank,

Wenn man euch heut auch schmäht und lästert,

Schon morgen blüht euch heißer Dank.
[177]

Reißt der Gesellschaftslüge

Die Maske vom Gesicht,

Und spritzt auch Blut und Eiter,

Furcht kennt der Dichter nicht,

Und weigert sich der Kranke,

Zu nehmen die Arznei,

Mitleidig darf der Arzt nicht sein

Und achten nicht auf jeden Schrei.


Drückt selber euch die Kränze

Von Lorbeer auf das Haupt

Und schmettert den zu Boden,

Der euch die Krone raubt,

Die Leier in der Linken

Und rechts das scharfe Schwert,

Gewaffnet und zum Kampf gerüstet,

So seid ihr erst der Neuzeit wert.


Werft ab den grauen Mantel

Der stillen Bescheidenheit,

Lautklirrend muß erschallen

Das Lied im heißen Streit –

Sonst bleibt es bei den Spenden,

Die man euch früher gab:

Nur Hohn und Spott im Dichterleben,

Ein Kranz aufs frühe Dichtergrab!

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 177-178.
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