Zweites Kapitel

[534] Jungfer Adelheid stand am Fenster und schaute sehnsüchtigen Blickes hinüber nach dem Laden, hinter dessen Glasscheiben zuweilen ein hageres, gelbbleiches Gesicht vorüberhuschte, momentan und eilfertig, als hätte es nicht Zeit, einen raschen oder auch nur halben Blick hinauszuwerfen auf die Straße.

Lange, lange Jahre hatte sie an derselben Stelle, an demselben Fenster gestanden und hinübergesehen nach denselben Glasscheiben, erst mit heißem Verlangen, dann mit ängstlicher Ungeduld und endlich mit stillem, tiefem, unheilbarem Weh im Herzen, denn niemals hatte sich das Gesicht ihr zugewendet, niemals war eine kleine Aufmerksamkeit, ein freundliches Lächeln, ein grüßendes Kopfnicken ihr zu Theil geworden.

Und wenn der Abend sich mit seinem geheimnißvollen, verschwiegenen Dunkel über die Erde neigte und Alles, Alles sich fand, was sich liebte und suchte, dann verließ auch der Herr Spezereikrämer Hiller seine Wohnung, aber nicht, um die Pfade der Liebe zu wandeln, sondern er ging entweder zum alten Pappermann spielen, oder unternahm einen einsamen Spaziergang vor das Thor, um sich die neuen Waarenpreise zu berechnen und ungestört den Gedanken an Gewinn und Profit nachhängen zu können.

Kein einziger Blick war jemals hinauf zu ihr gefallen. Trotzdem hatte sie stets gewartet, bis er zurückkehrte, und wenn dann seine Gestalt im Schatten der Thür verschwunden und das grausame Klirren des Hausschlüssels verklungen war, so zog auch sie sich zurück und begab sich zur Ruhe, um am nächsten Morgen ihre ewig erfolglosen Beobachtungen von Neuem zu beginnen.

»Ach, was haben doch die Männer für harte, verständnißlose und unbedürftige Herzen,« seufzte sie. »Er ist so einsam und allein, und ich hätte ihn gewiß sehr glücklich gemacht. Er ist zwar nicht mehr so jung und schmuck, wie früher, nicht den zehnten Theil so drall und reizend, wie zum Beispiel mein Herr von Blücher, aber ich liebe ihn doch, ich habe ihn geliebt heiß und innig, ich werde ihn lieben jetzt und in alle Ewigkeit.«[534]

Da ertönte die Klingel des Vorsaales. Sie ging hinaus und öffnete. Draußen stand der Diener des Lieutenants.

»Darf ich um den Kellerschlüssel bitten, gnädiges Fräulein?«

»Mit Vergnügen darf Er das!« antwortete sie.

Im Stillen dachte sie:

»Was doch die Leute vom Militär für charmante, liebenswürdige und höfliche Menschen sind. Seit ich den Herrn von Blücher bei mir wohnen habe, bin ich ein gnädiges Fräulein geworden und werde von Jedermann mit Respect und Ehrerbietung behandelt. Ach, wenn doch der Herr Kaufmann Hiller auch Husar geworden wäre; er würde gewiß nicht so gleichgültig sein!«

Und laut fügte sie hinzu:

»Er will gewiß wieder Wein aus dem Keller holen?«

»Ja.«

»Zu so früher Tageszeit schon?«

»Es ist Besuch da, und die Herren Offiziere lassen sich nichts Anderes vorsetzen.«

»Besuch? Ich sah doch Niemanden kommen, trotzdem ich mich schon ziemlich lange am Fenster befinde.«

»Hm, das glaube ich wohl,« lachte er. »Die Herren sind nicht durch die Straße, sondern hinter der Stadt hergekommen und über den Zaun gesprungen.«

»Gesprungen?« frug sie erstaunt. »Warum gingen sie denn nicht durch die Pforte? Sie steht ja am Tage stets offen.«

»Weil sie zu Pferde waren.«

»Zu Pferde? Mein Gott, so sind sie wohl gar über den Zaun geritten, über meinen schönen Zaun hinweggesprengt?«

»Freilich.«

»Und ihre Pferde haben mir die Blumen vernichtet und das Gras niedergestampft?«

»Ich weiß das nicht, denn ich habe mich nicht darnach umgesehen. Die Thiere stehen jetzt unten im Vorrathsgewölbe.«

Sie schlug erschreckt die Hände über dem Kopfe zusammen.

»In meinem Vorrathsgewölbe?« jammerte sie. »Wo ich die Eier, die Butter, das Gemüse und tausend andere nothwendige und zerbrechliche Dinge aufbewahre! Sind die Herren denn von Sinnen?«

»Auch das weiß ich nicht. Ich werde sie aber gleich einmal darnach fragen und Euch dann Bescheid sagen, gnädiges Fräulein.«

»Um Gotteswillen, thue Er das nicht! Sie würden mir bös darüber sein und ich wäre dann wahrhaftig ganz untröstlich. Aber ist es denn möglich, über einen so hohen Zaun hinwegzureiten? Wenn nun Einer gestürzt wäre und Etwas gebrochen hätte!«

»Ja, gnädiges Fräulein, wir Leute von den Belling-Husaren brechen niemals den Hals! Jetzt aber muß ich fort. Soll ich einmal nachsehen, ob sich die Pferde über die Eier und das Gemüse hergemacht haben?«

»Ja, mein Lieber, ich bitte ihn um diese Gefälligkeit. Ich würde es gern selbst thun, aber ich wäre ja gleich des Todes, wenn ich öffnete und so ein Thier blickte mich mit den großen, fürchterlichen Augen an. Ist der Herr Lieutenant auch schon zu Hause?«

»Nein. Er befindet sich noch auf dem Exerzierplatze, wird aber wohl bald heimkehren.«

Es war so, wie er sagte: Blücher hielt mit seiner Fuchsstute – damals das anerkannt beste Pferd im ganzen Regimente, wie sein Herr auch als der geschickteste und kühnste Reiter bekannt war – auf dem freien Raume vor der Stadt, wo die täglichen Uebungen stattzufinden pflegten, und drängte sein muthiges, tänzelndes Roß in die glänzende Colonne, welche sich unter dem Kommande des Obersten zum Heimritte anschickte.

Unter den schmetternden Klängen der Trompeten hielten die schmucken Cavalleristen ihren Einzug in die Stadt. Gar manches schöne Auge folgte ihnen und gar mancher bewundernde Blick ruhte besonders auf dem Lieutenant, dessen schlanke, kräftige Figur, von der knappen Husarenuniform noch mehr hervorgehoben, so leicht und sorglos im Sattel saß und dessen hell und kühn über die wohlgebogene Adlernase blitzendes Auge wohl hier und da empor nach einem Fenster flog, niemals aber mit einem Blicke, der zur leisen Hoffnung hätte ermuthigen können.

Blücher war einer der tüchtigsten, flottesten und – hübschesten Offiziere, das wußten nicht nur seine Vorgesetzten, sondern besonders von seiner letztgenannten Eigenschaft waren auch die Schönen der Stadt überzeugt, doch ebenso gut wußte man auch, daß sein Herz noch frei und gar nicht geneigt sei, sich in süße Fesseln schlingen zu lassen.

Nach Auflösung der Truppe stand er im Begriffe, sich nach seiner Wohnung zu begeben, als der Unteroffizier Wildebrandt, den Hut mit Kolpak auf dem Kopfe und den Säbel dicht herangezogen, in dienstlicher Haltung an ihn heranritt.

»Mit Erlaubniß, Herr Lieutenant; darf ich heut' vielleicht eine Bitte aussprechen?«

»Ist es etwas den Dienst Betreffendes?«

»Nein, sondern eine Privatangelegenheit.«

»So kommen Sie zu mir, sobald Sie Ihr Pferd versorgt haben. Ich werde zu Hause sein.«

Als er an dem Hause des Stadtkassirers vorbeitrabte, klirrte ein sich öffnendes Fenster und eine Stimme rief in devotem Tone:

»Herr Lieutenant, ich bitte um ein Wort!«

Er zog das Pferd herum und antwortete:

»Ah, guten Morgen, Herr Wachtmeister! Was haben Sie auf dem Herzen?«

»Eine Frage ist's, die ich Ihnen vorlegen möchte.«

Der alte Herr hatte trotz seiner Bärbeißigkeit einen ganz gehörigen Respect vor dem überall beliebten und angesehenen, wackeren, jungen Manne und pflegte ihn daher[535] niemals mit dem altgebräuchlichen »Ihr«, sondern mit dem damals eben in die Mode kommen den »Sie« anzureden, eine Ausnahme, deren sich nur Wenige zu rühmen wußten.

»So fragen Sie nur zu.«

»Ich stehe im Begriffe, mir ein Reitpferd zu kaufen.«

»Ein Reitpferd?« frug Blücher verwundert. »Wozu denn?«

»Nun, wozu anders, als zum Reiten!« antwortete Pappermann etwas pickirt.

»Natürlich, natürlich,« lachte der Offizier, »denn zum Schlachten wird es doch wohl nicht sein. Aber wer soll es reiten?«

»Wer sonst, als ich! Oder glauben der Herr Lieutenant vielleicht, daß ich nicht mehr im Stande sei, mich im Sattel zu halten?«

»Ich traue Ihnen alles Mögliche zu, Herr Wachtmeister! Aber was habe ich mit Ihrem Pferdehandel zu schaffen?«

»Sie sind der gewiegteste Pferdekenner und in den Ställen der ganzen Umgegend zu Hause; darum möchte ich gern eine Frage aussprechen. Wissen Sie nicht etwas Passendes für mich? Auf alle Fälle muß es ein Apfelschimmel sein und abgeleiert möchte ich ihn auch nicht haben. Ich kaufe mir ein Pferd zum Vergnügen, also einen Spazierschimmel, mit dem man sich nicht zu schämen braucht.«

»So, so! Hm, für den Augenblick fällt mir grad' nichts Convenables ein, obgleich ich so ziemlich Alles weiß, was hier zu haben ist. Aber warten Sie, ich werde mich besinnen und Ihnen dann Nachricht geben.«

»Schön, Herr Lieutenant. Danke, und bin Ihnen gern zu jedem Gegendienst bereit!«

Mit einem militärischen Gruße zog er sich von dem Fenster zurück und Blücher ritt kopfschüttelnd davon. Er konnte den Luxus eines Spazierpferdes mit dem Einkommen des verabschiedeten Wachtmeisters nicht in Einklang bringen. Zu Hause angekommen, übergab er die Fuchsstute dem Diener und trat in das Zimmer, wo er die anwesenden Kameraden mit einer Miene bewillkommnete, welche verrieth, daß er gewohnt sei, sie auch während seiner Abwesenheit hier nach Belieben schalten und walten zu lassen.

Der einfach möblirte Raum war nicht sehr groß und seine ganze Einrichtung ließ erkennen, daß der Bewohner desselben nicht gerade sonderlich viel auf häusliche Bequemlichkeit und übermäßigen Comfort zu geben geneigt sei. Mehrere große, schon sehr mitgenommene Polsterstühle, ein derber Eichentisch, von dem die Decke entfernt war, um einem halbgeleerten Flaschenkorbe Platz zu machen, ein großer, massiver Schrank, durch dessen geöffnete Thür verschiedene Uniformstücke neugierig schauten, ein alter Schreibtisch mit unendlich vielen Fächern bildeten nebst den verräucherten und in sorglose Falten verzogenen Gardinen die Ausstattung der Stube, welche der später so berühmte Mann damals bewohnte.

Doch ein Hauptschmuck muß noch erwähnt werden. Die ganze den Fenstern gegenüberliegende Wand war mit allerlei merkwürdigem Reitzeug, mit älteren und neuen kostbaren Sätteln und mit Waffen aller Art behangen und bedeckt. Neben dem Dienstpallasch hing der schön verzierte Damascener eines türkischen Paschas; zwischen zwei stark mit Silber beschlagenen Reiterpistolen aus der berühmten Werkstatt des Meister Erneste in Paris funkelte die graue, schneidige Klinge eines seltenen malayischen Yatagans, und wenn man die gegenwärtigen Insassen des Zimmers betrachtete, so mußte man wohl die Ueberzeugung gewinnen, daß sie in jenen Sätteln zu Hause waren und es auch gar wohl verstanden, die prächtigen Waffen mit Erfolg zu gebrauchen.

»Ihr benutzt Euern Urlaub auf eine sehr ausgiebige Weise,« meinte er, auf die geleerten Flaschen deutend. »Doch laßt Euch nicht stören, ich thue mit.«

Er ergriff einen der ziemlich umfangreichen Humpen, in welchen der dunkelglühende Burgunder blinkte und trank ihn mit einem kräftigen Zuge aus.

»Was treibt Euch denn so früh schon in meine Kasematte? Der Durst nach meinem Rothen pflegt sich doch gewöhnlich erst des Nachmittags bei Euch ein zustellen.«

»Wir kommen, um Deine Meinung zu hören,« antwortete Einer, welcher die Abzeichen eines Oberlieutenants trug.

»Worüber?«

»Wir saßen bei unserm Rudorf hier, tranken unschuldigen Kaffee und bissen neubackene Hörnchen dazu, kurz und gut, wir waren die unbefangensten Menschen von der Welt und freuten uns unsers Daseins in bester Weise. Da plötzlich fiel es unserm Teufel, dem langen Venske ein, das Kraut der Zwietracht in unsre paradiesische –«

»Schweig, Treskow, mit Deinen malcontenten Gleichnissen,« fiel ihm der Genannte in die Rede.

Er war eine lange, hagere Gestalt, mit schwarzem, weit herabhängendem Schnurrbart.

»Die Sache ist sehr kurz: Treskow behauptete, Keiner von uns vermöge mit seinem Pferde fünf Fuß feste Barrière zu überspringen; ich hielt ihm Widerpart; wir stritten uns noch hin und her und wären jetzt noch im selben Zanke, wenn nicht Rudorf auf den Gedanken gekommen wäre, Dich als Schiedsrichter vorzuschlagen. Wir saßen sofort auf, machten einen Probesprung über Deinen viereinhalbfüßigen Zaun und – tout voilà, da sind wir. Nun aber sag' uns auch, wer Recht hat.«

»Natürlich Du, Venske. Dein Schwarzer hat gute Knochen und wenn Du ihn gut in die Zügel nimmst, so brauchst Du Dich vor den fünf Fuß gar nicht zu fürchten.«

»Das bestreite ich!« rief Treskow. »Wenn es nicht feste Barrière wäre, so wollte ich es eher für möglich halten.«

»So glaubst Du wohl auch nicht,« entgegnete Blücher, »daß ich mit meiner Stute fünfeinhalb Fuß überflogen habe?«[536]

Auf die Frage Blüchers antwortete Treskow: »Nein! Du reitest besser als wir Alle, und ich habe auch ganz gehörigen Respect vor Deinem Thiere, aber ich meine doch, daß Du Dich in dieser Höhe ein Wenig irrst!«

»Willst Du es vielleicht bewiesen haben?«

»Du vermagst den Beweis nicht zu führen!«

»Was gilt die Wette?« frug Bücher. Spiel und Wette liebte er fast leidenschaftlich, und wo sich eine Gelegenheit zur Letzteren bot, versäumte er sie gewiß niemals.

»Was setzest Du?«

»Fünfzig Dukaten!«

»Angenommen. Schlag ein!«

Die Hände der beiden Offiziere fielen bekräftigend ineinander, als der Diener die Thür öffnete.

»Was giebts?« forschte Blücher, sich zu ihm wendend.

»Der Unteroffizier Wildebrandt ist draußen. Er sagt, er sei bestellt.«

»Laß ihn eintreten!«

Als der Bezeichnete bemerkte, daß der Lieutenant nicht allein sei, konnte er trotz der straffen Stellung, in welcher er grüßte, eine kleine Verlegenheit nicht bemeistern.

»Da mich keine dienstliche Meldung herführt, erlauben mir vielleicht der Herr Lieutenant, wieder zu kommen!« meinte er.

»Warum das? Tragen Sie immerhin Ihr Anliegen vor; wir sind hier ganz unter uns.«

»Ich darf die Herren doch unmöglich mit einer Sache belästigen, welche nur allein für mich von Interesse ist.«

»Sie wollten doch mir die Mittheilung davon machen! Setzen Sie bei den Herren Kameraden nicht die gleiche Theilnahme für einen braven Husaren, der Sie doch sind, voraus?«

»Ich befürchte, ein Wenig ausgelacht zu werden, wie ich offen gestehen muß!«

»So! Ich versichere Ihnen, daß dies nicht geschehen wird. Sie sind nicht der Mann, der eine Lächerlichkeit begeht!«

»Und doch werden grad' der Herr Lieutenant das, was ich von mir zu sagen habe, für ungeheuerlich lächerlich halten!«

»Meinen Sie? Da bin ich doch neugierig, es zu hören. Also heraus damit, Wildebrandt!«

»Ich bin – ich bin nämlich – ich habe – ich habe mich nämlich – –«

»Nun, was sind Sie denn nämlich, oder was haben Sie nämlich?«

»Verliebt,« platzte er heraus. »Verliebt bin ich, verliebt habe ich mich!«

»Verliebt? Das ist allerdings kein grad' sehr bewundernswerther Husarenstreich, den Sie da begangen haben. Wer ist denn die tapfre Amazone, die es wagt, einen Belling-Husaren so über's Ohr zu hauen?«

»Es ist die Tochter des Stadtkassirer Pappermann.«

»Ah, mein lieber Wildebrandt, da haben Sie keinen ganz schlechten Geschmack! Ich sah das Mädchen einige Male am Fenster sitzen, und glaube, sie ist nicht ganz übel.«

»Der Herr Lieutenant haben Recht,« antwortete der Unteroffizier, erfreut sowohl über dieses Urtheil als auch darüber, daß er nicht ausgelacht wurde, wie er vorher wirklich sehr befürchtet hatte. »Die Anna ist nicht nur ein hübsches Mädchen, sondern steckt auch voller Tugenden wie mein voriger Apfelschimmel voller Mucken. Nur einen einzigen Fehler hat sie, und wegen ihm wollte ich Sie um einen guten Rath bitten.«

»Mich wegen eines Fehlers Ihrer Geliebten um einen guten Rath bitten? Wollen Sie vielleicht ein Mittel hören, ihr diesen Fehler auszutreiben?«

»Ja; das war's, was ich wollte!«

»Hören Sie, mein Lieber, Ihrem vorigen Apfelschimmel – ach,« unterbrach er sich plötzlich lachend, »erinnern Sie mich nachher einmal an die liebe, alte, gute Liese, die Ihnen so viel Mühe und Aerger bereitet hat! – also Ihrem vorigen Apfelschimmel hätte ich vielleicht von seinen Mucken helfen können, ob mir das aber auch bei Ihrem Mädchen gelingen würde, das bezweifle ich sehr. Meine Erfahrungen reichen da gar nicht sehr weit!«

»Und doch vermögen Sie es, Herr Lieutenant, das weiß ich. Wenn Sie sich einmal Etwas vorgenommen haben, so gelingt es Ihnen auch, denn Sie gehen nie wieder zurück.«

»Ja, ›Vorwärts,‹ das habe ich mir zur Losung gemacht, aber vor Frauenmucken fühle ich doch einen ganz gewaltigen Respect. Welches ist denn der Fehler, den das Mädchen hat?«

»Ich soll sie nicht bekommen!«

»Ach so!« rief Blücher. »Das scheint mir allerdings der größte Fehler, den ein Mädchen haben kann. Ist sie Ihnen denn gut?«

»Von Herzen.«

»Also ist der Vater gegen Sie?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil ich einmal behauptet habe, daß es Leute giebt, die besser reiten können als er.«

»Da haben Sie wohl auch die Wahrheit gesagt.«

»Und weil ihr der Alte schon einen Bräutigam ausgesucht hat.«

»Das sieht ihm ganz ähnlich! Wer ist denn der Erwählte?«

»Der Spezereikrämer Hiller da drüben.«

»Der – – –?« frug der Lieutenant gedehnt. »Der will Ihnen das hübsche, frische Mädchen wegschnappen? Der[549] Kerl ist ja trockener als seine Düten und dürrer als seine Nudeln! Wollen Sie sich denn das so ruhig gefallen lassen?«

»Fällt mir gar nicht ein, und der Anna auch nicht! Wir haben uns gestern Abend besprochen, fanden aber das rechte Mittel nicht. Vielleicht wäre noch Etwas zu machen, aber der Pappermann ist ein eingefleischter Kavallerist, und der Krämer hat ihm einen Apfelschimmel versprochen, wenn er das Mädchen bekommt.«

»Ah, ah, ah, – – jetzt geht mir ein Licht auf!« rief Blücher, von seinem Stuhle, auf welchem er Platz genommen hatte, emporspringend und mit hastigen Schritten in der Stube auf und niederschreitend. »Warten Sie einmal, warten Sie; ich merke, daß mir ein Gedanke kommen will!« Dann blieb er vor dem Unteroffizier stehen, blickte ihn mit lustig blitzenden Augen an und frug:

»Wissen Sie, wer Ihren früheren Apfelschimmel damals beim Ausrangiren erstanden hat?«

»Ja. Er steht noch heut draußen bei dem Schulzen von Fahrenkow in guter Kost und Pflege. Ich habe ihn erst kürzlich gesehen und mich über ihn gefreut.«

»So ist er wohl gut erhalten.«

»Ja; man sieht ihm seine alten Tage gar nicht an, und seine Launen hat er auch alle noch. Der Schulze hat ihn verkaufen wollen und darum die Bohnen aus den Zähnen fortgebrannt.«

»Das paßt ganz prächtig! Hören Sie, Wildebrandt, Sie sollen das Mädchen bekommen!«

»Wirklich, Herr Lieutenant?« frug der Unteroffizier hoch erfreut.

»Wirklich! Ich will Ihnen nicht nur einen guten Rath geben, sondern Ihnen auch mit der That beistehen. Ich halte Etwas auf Sie, das wissen Sie ja; Ihr Mädchen wird es ja auch werth sein, daß man Etwas für sie thut; der Krämer ist ein abscheulicher Kerl, obgleich er den besten Burgunder führt, und was den alten Pappermann betrifft, so ist es sicher kein Unrecht, ihn darüber zu belehren, daß ein hübscher Husarenunteroffizier einem alten, ausgetrockneten Pfefferhändler allemal vorzuziehen ist. Hören Sie, was ich Ihnen sage: Sie nehmen sofort in Angelegenheiten des Lieutenants von Blücher einen kurzen Urlaub – die Bescheinigung werde ich Ihnen gleich schreiben – reiten hinaus nach Fahrenkow und sagen dem Schulzen, er solle mir einmal unverweilt den Schimmel schicken, ich hätte einen Käufer für denselben.«

»Zu Befehl Herr Lieutenant!«

»Sie bringen die alte Liese so schleunig wie möglich zu mir, reiten aber nicht durch die Straße, sondern ziehen sie durch den Garten in den Hof.«

»Zu Befehl Herr Lieutenant!«

»Das Uebrige werden Sie seiner Zeit erfahren. Jetzt sind Sie entlassen, und hier ist das Papier mit der Bescheinigung! Reiten Sie schnell. In einer Stunde können Sie wieder eingetroffen sein!«

Der Entlassene verließ mit freudigem Herzen das Haus. Er kannte seinen Lieutenant und wußte, daß er sich auf ihn verlassen könne.

Die anwesenden Offiziere hatten dem Gespräche zugehört, ohne an demselben Theil zu nehmen; jetzt aber brachen sie ihr bisher behauptetes Schweigen.

»Sag' einmal, Blücher, was für ein Plan Dir durch den Kopf gefahren ist!« meinte der lange Venske. »Du machst ja ein ganz erstaunlich unternehmendes Gesicht!«

»Ein Plan ist es allerdings, der mir durch den Kopf geht, nur muß er erst die gehörige Reife erlangen. Der brave Wildebrandt muß unterstützt werden, das versteht sich ganz von selbst, und wenn es dabei dem alten Bramarbas, dem Pappermann, ein Wenig an den Kragen geht, so kann es ihm gar Nichts schaden. Vielleicht wird er dann für einige Zeit von seinem Aufschneiden kurirt.«

»Was für eine Absicht hast Du denn eigentlich mit dem Schimmel?«

»Das ist mir selbst noch nicht recht klar. Der Wachtmeister hat mich vorhin gefragt, ob ich kein Spazierpferd für ihn weiß; es muß aber partout ein Apfelschimmel sein, weil er früher einen solchen geritten hat. Da kommt mir nun unsre ausrangirte Liese zu Statten. Sie geht für's Leben gern in's Wasser, und ich weiß sehr genau, daß Pappermann halb todt ist, wenn er nur die geringste Pfütze zu sehen bekommt. Er ist vor einigen Jahren einmal in einen Teich gerathen und hat seit dieser Zeit eine unüberwindliche Idiosynkrasie gegen Alles, was naß ist. Außerdem besitzt die Liese eine solche Zuneigung für mich und meine Fuchsstute, daß sie trotz Sporen und Zügel und des besten Reiters mit uns Beiden durch Dick und Dünn geht, sobald ich ihr nur die Hand entgegenhalte. Es ist das eine Folge der verschiedenen Parforcetouren, welche ich mit Wildebrandt früher zu meinem Privatvergnügen unternommen habe. Damals hat sie der Unteroffizier dressirt, daß sie einen fremden Reiter nicht eher absitzen läßt, als bis sie den betreffenden Wink dazu erhält, und rechne ich zu Alledem noch, daß sie als ehemaliges Militärpferd unsern Signalen unmöglich widerstehen wird, so scheint mir genug Stoff zu einen lustigen Streiche vorhanden, der den alten Stadtkassirer zu Verstande bringen und ihn darüber belehren wird, ob er wirklich besser reitet als sämmtliche Angehörigen der hiesigen Garnison. Ich meine – –«

Er wurde durch eine neue Meldung des Burschen unterbrochen. Auf sein zustimmendes Kopfnicken trat ein kleines, verwachsenes Bürschchen in das Zimmer und überreichte ihm ein zusammengefaltetes Papier. Als er es geöffnet hatte und mit dem Auge überflog, zuckte es wie Zorn über sein kräftig gebräuntes, männlich schönes Angesicht, bald jedoch machte sich auf demselben ein Zug geltend, welcher für Jemanden, der den Lieutenant nicht kannte, schwer zu enträthseln gewesen wäre.

»Wer bist Du eigentlich, Kleiner?« frug er.

»Ich bin der neue Ladendiener des Herrn Spezereihändlers Hiller.«

»Der mir hier die Rechnung über den von ihm bezogenen[550] Burgunder nun zum zweiten Male schickt und mich zur – Zahlung mahnt! Sage doch einmal Deinem Herrn, er solle sofort zu mir herüberkommen, wenn er bezahlt sein will, aber sofort, hörst Du?«

»Ja, Herr Lieutenant. Sie sagen es ja laut und deutlich genug!«

»Gut; so troll Dich von dannen!«

Der Ladenjüngling ließ sich das nicht zweimal heißen. Es wurde ihm fast unheimlich unter dem Blicke, welchen die großen, hellblauen Augen auf ihn blitzten, und so machte er sich mit der größten Beschleunigung aus dem Staube und brachte seinem Herrn und Meister die Kunde, welche ihm übergeben worden war. Dieser äußerte nicht die geringste Verwunderung über dieselbe; er nahm an, daß Blücher dem ihm unbekannten Diener die Summe nicht haben anvertrauen wollen, warf sich in den großschößigen, blauen Staatsrock und schritt in gravitätischer Haltung über die Straße hinüber.

Jungfer Adelheid saß wie gewöhnlich am Fenster und sah den Einziggeliebten ihres Herzens direct auf ihre Thür lossteuern. Ein heiliger Schreck bemächtigte sich ihres zarten, schamglühenden Herzens. Sollte sie doch nicht so ganz unbeobachtet gewesen sein, als sie immer gemeint hatte? War ihre unendliche und unveränderliche Liebe bemerkt worden? Kam er vielleicht, um – – – Ach, wie schlug doch ihr Puls auf einmal so fieberhaft selig, wie zitterten ihr die Hände und Füße so wonnig wie – ach, ach, ach! Sie huschte trotz ihrer freudebebenden Glieder zur Thür, öffnete dieselbe leise und horchte hinab. Die Thür zu dem Vorzimmer des Lieutenants wurde geöffnet; also nicht ihr, sondern ihm galt der Besuch! Aber was wollte Hiller bei dem Offizier? Sie war vorhin einige Augenblicke vom Fenster fortgewesen und hatte in Folge dessen das Kommen und Gehen des Ladendieners nicht bemerkt. War es nicht vielleicht möglich, daß der Spezereihändler, der ja mit ihr noch niemals zusammengetroffen war und noch kein einziges Wort mit ihr gewechselt hatte, den Herrn von Blücher um seine gütige Vermittelung in dieser discreten Angelegenheit bitten wollte? Sie mußte Gewißheit haben und beschloß daher, auf jeden Fall den Burschen auszufragen.

Während sie, oben an der Treppe stehend, auf jeden Laut, der sich unten vernehmen ließ, mit gespannter Anstrengung lauschte, trat Hiller in die Stube, in welcher ihn die Offiziere mit Blicken empfingen, unter denen es ihm ganz eigenthümlich zu Muthe werden wollte. Ganz besonders aber fiel ihm Blücher auf, welcher in kerzengrader Haltung und mit über die Brust verschränkten Armen am Tische lehnte und dabei ein Gesicht machte, als wolle er ihn sammt dem blauen Staatsrocke mit einem einzigen Bisse verschlingen.

Er grüßte, vollständig eingeschüchtert unter der Vorahnung eines Unheiles, welches im Begriffe stand, über ihn herein zu brechen.

»Lasse Er Seine Höflichkeiten!« bedeutete ihm Blücher in barschem Tone. »Nach dem, was Er sich gegen mich erlaubt hat, sind sie am unrechten Platze!«

»Erlaubt, Herr Lieutenant?« frug er ängstlich. »Das klingt ja fast, als hätte ich etwas Böses gethan, und ich bin mir etwas Derartiges gar nicht bewußt!«

»Er soll darüber sofort die rechte Aufklärung erhalten und hat hier weiter Nichts zu thun, als kurz und bündig die Fragen zu beantworten, welche ich an Ihn stellen werde.«

Die Gestalt des Krämers wurde unter dem Eindrucke dieser streng gesprochenen Worte wo möglich noch kleiner und dünner als sie so schon war.

»Ich werde mich bemühen, so kurz und bündig wie möglich zu sein!« versicherte er, fast athemlos vor banger Befürchtung.

»Das ist Ihm auch sehr anzurathen! – Also: Wer bin ich?!«

»Der Herr Lieutenant von Blücher.«

»Gut. Kennt Er meine Verhältnisse?«

»Ja.«

»Sind dieselben etwa derangirt?«

»Ich verstehe dieses Wort nicht.«

»Das heißt auf gut Deutsch: ob ich mit meinen Geldbeutel auf den Hund gekommen bin!«

»Das wird Niemand zu behaupten wagen! Ich meine vielmehr grad das Gegentheil.«

»Mache Er keine Flaußen. Er hat es ja doch behauptet!«

»Ich?!!!« frug Hiller auf das Heftigste erschrocken.

»Ja, Er!«

»Herr Lieutenant ich versichre – –«

»Ruhig! Er hat diese Behauptung nicht durch das Wort, sondern durch die That ausgesprochen. Wer einen Offizier um die Bezahlung von einigen lumpigen Weinflaschen mahnt, der erklärt natürlich durch dieses beleidigende Verhalten nichts Andres, als daß er ihn für insolvent, für bankerott halte!«

»Aber ich versichere – –«

»Still soll Er sein, habe ich Ihm gesagt! Er hat hier gar Nichts zu versichern, sondern nur einfach mit Ruhe und Ehrerbietung das zu vernehmen, was ich Ihm sagen will. Seine erste Rechnung habe ich vorige Woche erhalten; sie wurde nicht berichtigt, weil ich an die Bagatelle wirklich nicht wieder gedacht habe. Heut nun schickt Er mir ein Duplucat in's Haus. Ist das nicht eine Unverschämtheit, die gradezu ihres Gleichen sucht?«

»Aber, Herr Lieutenant, ich versichre – –«

»Nichts hat Er zu versichern, gar Nichts, denn hier giebt es nicht den mindesten Grund zu irgend einer Entschuldigung!«

»Und doch giebt es einen solchen, wenn nur der Herr Lieutenant die Gnade haben wollen, mich anzuhören!«

»Da wäre ich doch wirklich neugierig!«

»Ich will Ihnen offen gestehen: Ich habe meinem Schwiegervater – –«

»Seinem Schwiegervater? Er ist ja unverheirathet!«

»Das wohl, aber ich werde baldigst heirathen. Also[551] ich habe meinem Schwiegervater, dem Herrn Stadtkassirer und Rittmei – und Wachtmeister Pappermann – –«

»Dem Stadtkassirer und Wachtmeister Pappermann? Der soll Sein Schwiegervater werden, dem seine Tochter will Er heirathen? Na, darüber sprechen wir uns noch weiter! Was hat Er denn Seinem Schwiegervater, he?«

»Ein Reitpferd, einen Apfelschimmel versprochen.«

»So! Alle Wetter, da hat Er sich doch ganz gewaltig auf die splendite Seite gelegt! Aber was hat denn der Apfelschimmel mit meinem Burgunder zu schaffen?«

»Der Herr Wachtmeister will sich noch heut Vormittag das Geld zu dem Pferde holen, und da – –«

»Das Geld zu dem Pferde holen? Hat Er ihm denn eine bestimmte Summe dafür ausgeworfen, oder ist der Handel bereits abgeschlossen?«

»Keins von Beiden; er will wohl nur sehen, ob ich Wort halte. Da nun meine Kasse grad heut auf eine solche Ausgabe nicht eingerichtet ist, so – –«

»So schlug Er dem Lieutenant von Blücher die größte Beleidigung in's Gesicht, die es für jeden Ehrenmann und insbesondere für jeden Offizier nur geben kann. Wenn Er meint, daß mein Beitrag dem alten Wachtmeister zu dem versprochenen Apfelschimmel verhelfen solle, so mag Er meinetwegen Seinen Willen haben, aber die Folgen muß Er natürlich auf sich nehmen!«

»Die Folgen? Welche meinen der Herr Lieutenant?«

»Das wird Er gleich hören!«

Er trat an den Schreibtisch, öffnete eines der zahlreichen Fächer und entnahm demselben die verlangte Summe.

»Hier hat Er Sein Geld! Wäre Er nur der Pfefferkrämer Hiller, so würde ich Ihn jetzt, da Er die Bezahlung hat, durch meinen Burschen auf die Straße werfen lassen; da Er aber zufälliger Weise Offizier der hiesigen Schützencompagnie ist, so will ich das unterlassen und in anderer Weise mit Ihm sprechen. Er hat mich gemahnt, Herr Oberlieutenant, Er ist ein Flegel, hört Ers, Herr Oberlieutenant, ein Erzflegel, den man eigentlich beohrfeigen sollte! Als Offizier von der Schützengilde wird Er wissen, was Er jetzt zu thun hat. Und sollte Er in Beziehung auf den Flegel wirklich ohne alle Kenntniß davon sein, was die Ehre fordert, so darf Er nur Seinen zukünftigen Schwiegervater fragen und ihm sagen, daß der Herr von Blücher Jedem zu Diensten stehe, der ein solches Wort nicht leiden will. Jetzt aber mache Er nun, daß Er hinaus kommt!«

Ganz steif vor Schreck und Entsetzen wandte sich Hiller nach der Thür. Es war ihm ganz so, als habe ihn Jemand mit einer Keule auf den Kopf geschlagen. Halb bewußtlos schritt er über die Straße hinüber, und wie im Traume betrat er seinen Laden, in welchem er sich gar nicht aufhielt. Er begab sich vielmehr sofort in die Wohnstube und warf sich dort, ohne den Staatsrock abzulegen, schachmatt in allen Gliedern, auf das prasselnde Kanapee und stierte gedanken- und bewegungslos empor zur Decke.

So fand ihn Pappermann, welcher bei dem Anblicke des halb Erstarrten, der weder sein Erscheinen noch seinen Gruß beachtete, besorgt auf ihn zutrat.

»Was fehlt Ihm denn, Er Himmel-Mohren-Elementer, daß Er sich hier auf die Pritsche legt und Augen macht wie Einer, den der Blitz erschlagen hat?«

Es erfolgte keine Antwort.

»Kann Er nicht reden, oder will Er nicht reden und spielt Komödie mit mir?«

Er faßte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn so kräftig, daß sein Auge sich nothwendiger Weise von der Decke wenden mußte.

»Nun, wie wirds? Mache Er den Mund auf, damit man hört, was es mit Ihm gegeben hat!«

»Gegeben? Mit mir?« frug Hiller, wie aus einem tiefen Schlafe erwachend. »Ach ja, Herr Stadtkass – Herr Wachtmeister, es hat Etwas gegeben, und zwar etwas Schreckliches, etwas Fürchterliches, etwas Ungeheuerliches!«

»Das klingt ja wahrhaftig als hätte Ihn der leibhaftige Gottseibeiuns überfallen und Ihm den Kopf auf den Rücken drehen wollen!«

»Das ist's ja auch, grad das ist's und nichts Anderes!«

»Mache Er keine Flausen! Vor dem braucht man sich nicht zu fürchten, wenigstens ein alter Kavallerist nicht. Bei Euch vom Civil freilich ist es anders; Euch holt er ohne vorher viel zu fragen und zu parlamentiren. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, lag ich einmal in einer Mühle in Quartier. Nachts punkt zwölf Uhr ging meine Kammerthür auf, obgleich ich sie von innen und von außen verschlossen hatte, und wer trat herein? Nun, Er kann sich's ja denken, wer es war. Ich sollte mit ihm gehen, weil im Garten ein ungeheuer großer Schatz vergraben lag; aber ich packte den Kerl bei den Parabel, trug ihn hinaus und hinunter in die Mühle, schüttete ihn auf wie einen Sack voll Getreide und ließ ihn zu Pulver mahlen. Es war ein ganzer Scheffel voll, und ich hab es mir mitgenommen und die größten Wunderkuren damit gemacht. Er wird wohl einsehen, daß es seit jener Zeit unmöglich mehr einen Teufel geben kann; meine Patienten haben das Pulver verschluckt, und er ist so vollständig verdaut worden, daß er ganz und gar alle geworden ist. Wenn Er sagt, daß der Böse bei Ihm gewesen ist, so ist das gar nicht wahr, sondern Er hat es nur geträumt.«

»Geträumt habe ich es nicht, sondern es ist gewiß und wahrhaftig geschehen.«

»So! Wie sah er denn aus?«

»Jung und hübsch, und eine Belling-Husaren Uniform hatte er an.«

»Höre Er, Er will mich wohl zum Narren halten? Wer soll denn dem Teufel eine Husarenuniform borgen!«

»Ja der Teufel war es eigentlich nicht, aber es ist trotzdem nicht weniger schlimm, denn aus ist's doch nun mit mir!«[552]

»Es ist aus mit Ihm?« fragte Pappermann. »Der Teufel war's nicht? Er redet irre! Wer war es denn?«

»Der Lieutenant von Blücher,« antwortete Hiller.

»Nun hört mir aber Verschiedenes und Alles auf! Den Herrn von Blücher mit dem Satan zu vergleichen! Was hat Er denn mit dem gehabt, daß es nun aus mit Ihm ist?«

»Ich habe ihn gemahnt wegen dem Burgunder, den er noch nicht bezahlt hatte. Das hat er mir übel genommen und mich hinüber kommen lassen.«

»Nun?!«

»Da hat er mich vor den Offizieren, welche bei ihm saßen, angeschnauzt, daß mir die Haare zu Berge standen, von Ohrfeigen und vom Hinauswerfen gesprochen und –«

»Donnerwetter! Und das hat Er gelitten? Das hat Er ruhig und geduldig hingenommen?«

»Was konnte ich denn machen? Nicht einmal reden durfte ich! Und zuletzt brachte er endlich gar einen Brocken, an dem ich mich sicher todtkauen werde.«

»Welchen denn?«

»Ich habe die Worte und den Sinn eigentlich nicht so recht verstanden, aber es ahnt mir, was es zu bedeuten hat.«

»Wie sagte er denn?«

»Er meinte: ›Wäre Er nur der Pfefferkrämer Hiller, so würde ich Ihn auf die Straße werfen lassen, da Er aber zufälliger Weise Offizier der hiesigen Schützengilde ist, so will ich in einer andern Weise mit Ihm sprechen. Er ist ein Flegel, Herr Oberlieutenant, ein Erzflegel, den man eigentlich beohrfeigen sollte! Als Offizier von der Schützengilde wird Er wissen, was Er nun zu thun hat, und sollte Er es wirklich nicht wissen, so darf Er nur Seinen zukünftigen Schwiegervater fragen!‹ Das ist ja das reine Duell, das ist der fürchterlichste, hinterlistigste Mord und Todtschlag, den er an mir begehen will!«

»Das ist nun freilich eine schlimme Geschichte! Was hat Er denn geantwortet?«

»Was soll ich denn auf so eine tigerhafte Blutdürstigkeit antworten? Nichts habe ich gesagt, gar Nichts, sondern gegangen bin ich!«

»So, gegangen ist Er und vor Furcht und Angst hier auf das Kanapee gefallen. Was wird Er denn nun thun?«

»Thun? Ich? Nicht das Geringste! Ich bin ein guter, seelensguter Kerl und thue Niemandem Etwas!«

»So hab ich's nicht gemeint. Er muß doch Etwas unternehmen auf die Beleidigung hin, die Ihm da drüben geworden ist!«

»Fällt mir gar nicht ein! Ich bin nicht rachsüchtig; ich werde dem Lieutenant Alles verzeihen!«

»Da wäre Er ja ein ganz ehrloser, miserabler Hallunke! Glaubt Er denn, daß der Herr von Blücher Seine Verzeihung annehmen wird?«

»Es ist mir ganz gleichgültig, ob er sie annimmt oder nicht! Ich bin ein Christ; ich räche mich nicht; ich vergelte lieber Böses mit Gutem; ich sammle glühende Kohlen auf seinem Haupte!«

»Das ist ja Alles recht schön, denn es steht so in der heiligen Schrift zu lesen; aber bei dieser Sache ist es doch wohl anders. Die Drohung mit der Ohrfeige und dem Hinauswerfen und nun gar noch den Flegel, den Erzflegel, den darf Er bei Leibe nicht auf sich sitzen lassen. Er ist Offizier bei der Schützengilde, wie der Lieutenant ganz richtig bemerkt hat, und will mein Schwiegersohn werden. Das sind zwei sehr triftige Gründe, Seine Ehre zu wahren und lieber mit Händen und Füßen drein zu schlagen, als dieselbe ungestraft beleidigen lassen!«

»Ich schlage aber nicht darein, weder mit den Händen noch mit den Füßen. Ich weiß, was mir gut ist und was ich vertragen kann; ein Duell aber ist für meine Gesundheit schädlich, und wer gegen die Gesundheit wüthet, der ist sein eigener Selbstmörder!«

»Da ist Er sehr auf dem Holzwege! Das Duell ist der Gesundheit nur zuträglich. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, hatte ich wöchentlich fünf bis sechs Duelle zu bestehen, entweder mit den Lieutenants oder mit dem Rittmeister und Major, die zuweilen etwas anderer Meinung waren als ich und sich dann stets mit dem Pallasch vertheidigen mußten; zweimal habe ich mich sogar mit dem Obersten geschlagen, wobei mir der Generalmajor seèundirte. Ich bin gesund und munter dabei geblieben und ein alter Kerl geworden. Er sieht also wohl, daß so ein Duell für den guten Schützen oder einen wohlgeschulten Fechter weiter Nichts ist als eine angenehme und kräftigende Leibesbewegung!«

»Ich danke schön für diese Art von Leibesbewegung! Wenn ich mich angenehm bewegen will, so krabbele ich mir mit den Fingern hinter den Ohren, und will ich mich durch Bewegung kräftigen, so schiebe ich mir ein gutes Frühstück in den Mund. Dabei werde ich wenigstens ebenso alt wie Ihr bei Eurem Säbelgeklirr und Pistolengeknalle und brauche auch keinen Generalmajor, der mir bei meiner Krabbelei oder bei dem Frühstücke secundirt!«

»So! Da hat Er allerdings Ansichten, welche das Schützencommando bei einem seiner Offiziere und ich bei meinem Schwiegersohn unmöglich billigen kann. Wenn die Sache ruchbar wird – und das wird sie sicher, denn dafür wird der Herr von Blücher Sorge tragen – so wird man Ihm die Epauletten nehmen, und aus der Verbindung mit meiner Tochter kann trotz des Apfelschimmels natürlich auch Nichts werden. Ich brauche keinen Schwiegersohn, der sich selbst für ehrlos erklärt!«

»Was Ihr da sagt!« rief Hiller erschrocken, indem er von den Kanapee emporschnellte. Die letzten Worte des[565] Wachtmeisters gaben ihm seine ganze Spannkraft wieder. Er war enragirter Gildenschütze und unendlich stolz auf seine Charge. Der Gedanke, dieselbe einzubüßen, war ihm vollständig unerträglich. Ebenso verhielt es sich mit dem zweiten Punkte. Er war bisher einsam und allein durch das Leben gegangen und hatte den Gewinn, den Reichthum als einzigen Zweck, als einziges Ziel all seiner Arbeit und Anstrengung gekannt. Die Liebe war ihm fremd geblieben, bis er eines Abends ganz plötzlich bemerkt hatte, daß Anna, die Tochter seines Spielkollegen, die er doch seit ihren frühsten Jahren kannte, nie aber groß beachtet hatte, ein allerliebstes, wunderhübsches Mädchen geworden sei. Von diesem Abende an war sein enges, hartes Herz groß und weich geworden, und die süße Neigung, die ihren Einzug in dasselbe hielt, wuchs höher und höher, ließ ihm keine Ruhe bei Tag und Nacht und veranlaßte ihn endlich, um die Hand des Mädchens anzuhalten. Er mußte dabei seiner Sparsamkeit durch das Versprechen eines Apfelschimmels einen harten Stoß geben, aber einestheils wußte er, daß nur auf einem solchen Wege zum Ziele zu gelangen sei, und anderntheils blieb das Pferd ja sein Eigenthum und konnte zu jeder beliebigen Zeit, sobald Anna seine Frau geworden war, wieder verkauft werden.

»Die Wahrheit sage ich, die reine Wahrheit! Das Offiziercorps von der Schützengilde kann und darf einen Menschen, der sich ungestraft einen Flegel nennen läßt, nicht unter sich leiden, und ich mag erst recht Nichts mehr von Ihm wissen. Thue Er, was Ihm beliebt; ich habe meine Pflicht gethan und Ihn gewarnt!«

»Nein, aus der Schützengilde werden sie mich nicht streichen; ich leide es nicht. Und Ihr dürft das Wort nicht brechen, welches Ihr mir gegeben habt!«

»Sie werden es thun, darauf verlasse Er sich, das ist so Ehre und Gesetz. Und mein Wort kann ich zurücknehmen so oft es mir beliebt und sobald ich sehe, daß Er keine Ambition im Leibe hat. Mein Mädchen bekommt allemal einen Mann, und wenn ich sie dem Unteroffizier Wildebrandt geben sollte!«

Das war dem Spezereikrämer denn doch zu viel. Der Wildebrandt? Nein, der durfte sie nicht bekommen; lieber wollte er sich von einem ganzen Dutzend spitziger Degen aufspießen lassen!

»Ja, so sagt mir doch, was ich in dieser Angelegenheit eigentlich zu thun habe, um Euch zufrieden zu stellen! Ihr redet von meiner Ehre, die beleidigt worden ist; ich fühle aber doch gar nicht, daß sie mir wehe thut!«

»Desto schlimmer für Ihn, wenn Er eine Ehre besitzt, die so steinhart ist, daß sie sogar einen Erzflegel, der ihr an den Kopf geworfen wird, nicht fühlt! Er hat weiter Nichts zu thun, als den Lieutenant von Blücher einfach zu fordern.«

»Wenn's weiter Nichts ist! Das kann ich schon thun, zehnmal für einmal!«

»Gut! Endlich kommt Er zu Verstande! Dazu ist es nothwendig, daß Er sich einen unbescholtenen Mann als Cartellträger engagirt.«

»Was ist das?«

»Der dem Lieutenant die Forderung bringt.«

»Der ist bald gefunden! Wollt Ihr es thun, Herr Ritt – Herr Wachtmeister?«

»Mit Vergnügen! Es giebt für mich keine größere Lust, als Säbel blitzen zu sehen und Kanonen donnern zu hören.«

»Säbel blitzen?! Kanonen donnern?! Habe ich denn so Fürchterliches auszustehen?«

»Na, Kanonen werden grad nicht dabei donnern, denn der König wird Ihm zum ordnen Seiner Ehrensachen nicht die ganze tapfere preußische Artillerie zur Verfügung stellen. Aber mir ist es doch einmal ganz eigenthümlich passirt. Als ich noch bei den Belling-Husaren stand, forderte ich einmal einen Hauptmann von der Artillerie; ich kam mit einem Säbel und er mit einem Vierundzwanzigpfünder. Er hatte den ersten Schuß; ich wartete, bis die Kugel kam und hieb sie mitten auseinander, dann drang ich auf den Kerl ein und machte es mit Ihm g'rad' wie mit der Kugel: ich theilte ihn mit einem einzigen Hiebe in zwei Hälften, die rechts und links zur Erde fielen. Solche Abenteuer wird Er freilich nicht zu bestehen haben.«

»Das ist mir lieb zu hören. Welcher Art werden denn die meinigen sein?«

»Das wird ganz auf den Herrn von Blücher ankommen.«

»Inwiefern auf diesen?«

»Weil er die Waffen bestimmen wird, das heißt, ob Ihr Euch mit Degen oder mit Schießwaffen schlagt.«

»Da thue ich nicht mit! Ihr habt doch vorhin gesagt, ich hätte weiter nichts zu thun, als den Lieutenant einfach zu fordern.«

»Allerdings!«

»Gut! Ich habe Euch beauftragt, ihn zu fordern; weiter habe ich nichts zu thun; stechen oder schießen werde ich auf keinen Fall!«

»Da hat Er mich falsch verstanden. Wenn Er den Offizier fordern läßt, so versteht es sich ja ganz von selbst, daß Er Seine verletzte Ehre durch die Waffen wieder herstellen will.«

»Nein, das versteht sich nicht ganz von selbst! Giebt es denn nichts Anderes, wodurch ich sie wieder herstellen kann, wenn sie wirklich verletzt ist, wovon ich aber gar nichts merke?«

»Nichts, gar nichts giebt es, als das Duell.«

»Aber ich kann ja gar nicht fechten und wenn ich einen Schuß höre, so falle ich um! Meine Nerven sind so gefühlsam, daß ich in meinem Laden kein Pulver führe, viel weniger aber gar noch schießen darf.«

»Das denkt er nur! Ich habe nun genug mit ihm verhandelt und bin des Redens müde. Er hat ja die Wahl. Soll ich Sein Secundant sein oder will Er die Forderung bleiben lassen? Seine Epauletten stehen auf dem Spiele und[566] Seine Braut dazu. Entscheide Er sich rasch, sonst gehe ich meiner Wege!«

»Giebt es wirklich nichts Anderes?«

»Nein!«

»So mögen mir die sechsunddreißig heiligen Nothhelfer, oder wie viel es ihrer sind, ich weiß es nicht genau, gnädig und barmherzig sein! Geht hinüber und fordert ihn. Ich mache heute Nachmittag mein Testament.«

»Zu dieser Vorsicht will ich Ihm allerdings gerathen haben. Der Blücher ist ein Schütze, wie kein zweiter, und den Säbel versteht er erst recht zu führen. Denke Er aber bei dem Testiren auch an mich und Seine Braut! Wie steht es denn von wegen dem Pferde? Hat er das Geld parat gelegt?«

»Ich hätte es wohl; aber wenn ich todtgeschossen werde, so wird ja auch aus der Heirath nichts und ich hätte Euch den Apfelschimmel umsonst gekauft.«

»Dann werden Ihm die paar Thaler, welche er kostet, auch gleichgültig sein und Er hätte wenigstens die Genugthuung, daß ich alle Tage hinaus auf den Gottesacker geritten käme und den Schimmel über Seiner letzten Ruhestätte dreimal wiehern ließe. Aber mit dem Todtschießen geht es nicht so schnell. Vielleicht kostet es Ihm blos die Hand, oder den Fuß, oder das Ohr, und das läßt sich schon ertragen.«

»Die Hand – den Fuß – das Ohr! Und blos! Giebt es wirklich kein anderes Mittel, den Flegel von meiner Ehre wieder herunter zu bringen?«

»Keins!«

»Gut, Ihr sollt das Geld haben! Es mag immerhin zum Fenster hinausgeworfen sein; mit mir ist's doch nun auf alle Fälle aus. Kauft Euch dafür, was Ihr wollt, einen Apfelschimmel, einen Rappen, einen Fuchs, meinetwegen auch einen Orang-Utang oder eine Seeschlange. Aber das Wiehern auf meinem Grabe könnt Ihr bleiben lassen. Wenn mir hier oben auch auf eine so schauderhafte Weise mitgespielt wird, so will ich wenigstens dann da unten meine Ruhe haben!«

Quelle:
Husarenstreiche. Ein Schwank aus dem Jugendleben des alten »Feldmarschall Vorwärts« von Karl May. In: Frohe Stunden. 2. Jg. Dresden, Leipzig (1878). Nr. 36, S. 565-567.
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