119. Die Füllenbeißer.

[96] Daß die Zeiten immer besser und die Menschen Tag für Tag vernünftiger werden, will mancher nicht glauben; es ist aber doch so. Nirgend im Lande passieren noch solche Geschichten, wie man sie von den ehemaligen Böelern und Struxdorfern, von den Jaglern oder den Gablern, den Kisdorfern, Bishorstern, Büsumern oder noch andern erzählt. Die Leute sind jetzt alle vernünftig geworden, und man tut unrecht, wollte man selbst noch die Böeler und die Struxdorfer, die Jagler und die Gabler, die Kisdorfer, die Bishorster und die Büsumer für dumm und unvernünftig halten.

Es ist schon lange her, daß einmal auf der Grenze der Kirchspiele Böel und Struxdorf in Angeln ein Füllen gefunden ward, dem ein großer Streifen Haut vom Rücken geschunden war. Wer war der Schinder? Die Böeler sagten, die Struxdorfer hättens getan; die Struxdorfer aber gaben den Böelern die Schuld, aber keiner glaubte es dem andern. Es entstand großer Streit und jede Nacht wurden Leute ausgestellt, Böeler, um das Füllen auf das Struxdorfer Feld, Struxdorfer, um es auf das Böeler Gebiet zu treiben. Dieser Zustand dauerte eine Weile, bis man[96] doch besser fand, Schiedsmänner zu wählen, um die Sache zu schlichten. Es war ein schwieriger Punkt und das Gericht traf endlich diese Entscheidung. Auf der Grenze, wo das Füllen gefunden war, stand eine junge Eiche; den Streitenden ward nun auferlegt, diese wie eine Weide zu drehen und in einen Knoten zu schlagen, ohne sie zu zerbrechen; die Struxdorfer sollten nämlich drehen und die Böeler den Knoten machen. Eines Abends machten sich die Struxdorfer an die Arbeit, schlugen die Eiche nieder, brachten sie über ein Glutfeuer und drehten sie nun, da sie schmeidig geworden war, ohne Mühe mit Radwinden. Die Böeler waren unterdes völlig überzeugt, daß die Struxdorfer mit ihrer Arbeit nicht zustande kommen würden, und hatten sich um nichts bekümmert. Da hörten sie, das Werk sei getan, und machten sich also auf. Doch über Nacht war die Eiche kalt und steif geworden und zerbrach ihnen unter den Händen. Also hießen die Böeler von nun an de Falenbiters und man sang ein Spottlied in Angeln von ihnen, das man jetzt aber bis auf diesen Vers vergessen hat:


Nu daagt et achter Düttebüll,

Nu belln de Kappler Hünn':

Staat op, Strustrupper Herreslüd,

Un węhrt ju, wenn ji könnt.

Böeler Faalbiders kamet mi her,

Mit Faalfleesch in ju Mund.


Wie die Böeler Falenbiter heißen, so heißen die Söruper die Honiglickers wegen einer Geschichte, die sich aber nicht erzählen läßt.


Durch Herrn Marquardsen in Schleswig. – Et daagt achter Düttebüll ist eine Angler Redensart, auch auf Alsen gebräuchlich, von einem, dem ein Licht aufgeht. Das Gut Düttebüll, Düppel, bildete früher fast den ganzen Distrikt zwischen Schleimünde und dem Geltinger Noor, lag also ganz im Osten von Angeln.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 96-97.
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