Sechste Scene.

[180] Annen's Zimmer.


ANNE. Gar nicht mehr schlafen. Die Sterne sehn mich die lange Nacht über wachen, am Tage schlummre ich mit offnen Augen und habe des doch keinen Genuß. Zeit ist's, daß ich für meine Gesundheit und Ruhe sorge. Kloster Disibodenberg, du sollst mich bald aufnehmen in deine liebliche Stille, werde vielleicht dort genesen, wenn ich dann gar nichts weiters von Pfälzel höre. Zerschlagnes Herz, ergib dich einmahl.


Christine von aussen.


CHRISTINE. Fräulein Anne!

ANNE. Wer ruft draus? So früh? Geht an's Fenster.

CHRISTINE am Fenster. Schon auf, Fräulein? Herr Jesu! Wißt ihr's auch schon, was sich heut Nacht zugetragen?[181]

ANNE. Was ist's?

CHRISTINE. Dacht' ich's doch, daß ihr's nicht wißt. Was ein Geweine die Stiege hinauf und hinunter, hört 'mahl; hört ihr's jetzt?

ANNE. Gott, wer weint?

CHRISTINE. Die arme, hochbetrübte, schwangre Frau, Gräfin Genovefa, die sitzt in ihrem Zimmer jetzt verwacht.

ANNE. Himmel, warum?

CHRISTINE. Du lieber Gott! Gestern Nacht im Garten soll sich was zugetragen haben ... ich weiß nicht ... Dragones sitzt gar gefänglich auf dem Thurm droben, der gute Mann für den wollt' ich nun sicher schwören, gewiß und wahrhaftig. Thut doch Alles Adolf gleich[182] zu wissen, Fräulein, daß der Hand anschlägt. Ah, da läuft schon Fräulein Julie in's Schloß hinauf, muß vermuthlich schon davon wissen; der Tag bricht hell an. Adjes, daß mich Niemand erblickt, bin nur auf'n Augenblickchen weggeloffen, konnt's länger nicht mehr über'm Herzen behalten. Kein Auge heunt geschlossen, immer herum. Weiß Gott, was meine Gräfin Nachts treibt. Wenn ich nur 'mahl des Dienstes los wäre. Adjes. Ab.

ANNE. Genovefa verwacht! Gott, was soll's bedeuten?


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 180-183.
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