Der Adler und der Papagey

[157] Ein naseweiser Papagey

Aus unsern aufgeklärten Zeiten,

Da stolzer Wahn und Spötterey

Pygmäisch das Verdienst bestreiten,

Sah einen Adler, den sein Flug

Aus dem Revier der Sonne trug,

Auf einem Baum sich niederlassen,

Und kriegte Lust mit ihm zu spassen.

Er flattert auf den Weisen zu,

Der die gesenkte Stirne kühlte

Und in dem Heiligthum der Ruh

Die Wonne seines Daseyns fühlte.

»Herr Vetter, sprach der Papagey,

Mich dünkt die Zeiten sind vorbey,

Da man dich als Monarch verehrte;

Die Zeiten, da des Dichters Witz

Dich mit dem schreckenvollen Blitz

Des wilden Donnergotts bewehrte;

Und gleichwohl bist du schlau genug,

Noch itzt den Pöbel zu bethören

Und lenkest deinen stolzen Flug

Nach mystischen erhabnen Sphären,[158]

Als wär es, wie der Gimpel glaubt

Nur deiner Majestät erlaubt

Auf des Olymps lazurnen Hügeln

Sich in dem Quell des Lichts zu spiegeln.«

Der lose Vogel schweigt und lacht,

So wie es jeder Spötter macht,

Wenn sein bescheidner Gegner gähnet.

»Dem Adler ist es einerley,

Sprach jener, was ein Papagey

Und was ein Gimpel von ihm wähnet.

Sein Wesen sagt ihm was er ist;

Der kühne Geist, der ihn belebet,

Das Auge, das die Sonne grüßt,

Sobald es nur die Wimper hebet,

Der ehrne Fittich, den er trägt,

Der kaum bekielt die Hüfte schlägt,

Um aus dem Nest sich aufzuraffen,

Verkündigt ihm das stolze Glück,

Er sey vom gütigen Geschick

Zum Bürger des Olymps erschaffen.«

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 157-159.
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