Die Bekehrung

[29] Ein Wolf, ein wahrer Ariman,

Der so viel Schaafe niedermachte,

Als kaum der Fleischer Tamerlan

Dem Kriegsgott Menschenopfer brachte,

Lag auf den Tod am Magenkrampf

In seiner Kluft. Sein treuer Vetter

Und Spießgesell, ein frecher Spötter,

Besucht ihn, um im letzten Kampf

Ihm beyzustehen: Alle Wetter!

Rief er, was machst du armer Gauch,

Zwickt dich vielleicht ein Lamm im Bauch?

Steh auf; laß uns ein Schmalthier jagen;

Ein Teufel treibt den andern aus. –

Was sagst du? Zittre vor dem Rächer

Der Unschuld, sprach der kranke Schächer

Mit schwacher Stimme: keine Maus

Will ich mehr tödten: gleich den Bißen

Der Viper nagt mich mein Gewißen;

Aleckto, mit dem Höllenpfuhl

Im Blicke, stürmet meine Höhle,

Und reißet meine schwarze Seele

Vor Minos ernsten Richterstuhl.[30]

Ha, Freund! Itzt floßen seine Zähren:

Wird Jupiter mein Flehn erhören,

Macht seine Gnade mich gesund;

So will ich meine Sünden büßen,

Nur Wurzeln und nur Gras genießen,

Und mit dem frommen Schäferhund

Die Heerde vor den Wölfen schützen,

Ja, selbst mein Blut für sie verspritzen.

Der Vetter schüttelte den Kopf,

Und sprach bey sich, der arme Tropf!

Das Fieber macht ihn phantasieren:

Hier würden Luftklystier, Magnet,

Und selbst Apoll den Ruhm verlieren.

Er küßt den Freund und seufzt und geht.

Kaum bleicht der zackigte Planet

Zum andernmal die braunen Schatten,

So kehrt er in den Hain zurück,

Um ihn zur Erde zu bestatten,

Und sieht ihn mit erstauntem Blick

Vor einem fetten Widder sitzen,

Aus dem er Herz und Nieren fraß.

Ey, ey, Herr Bruder, was ist das?

Rief er, heißt das die Heerde schützen,

Und selbst sein Blut für sie verspritzen?

Hier zog der graue Bösewicht[31]

Sein finster blutiges Gesicht

Ins Lächeln, wie beym Sturm und Blitzen

Das Seegespenst im Tafelgolf:1

Je nun, sprach er, und strich den Magen,

Ich war ein Lamm in kranken Tagen;

Gesund bin ich nun wieder Wolf.

Fußnoten

1 Man s. Lusiade Ges. 5.


Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 3, Tübingen 1802, S. 29-32.
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