30. Los des Lyrikers

[483] Stets am Stoff klebt unsere Seele, Handlung

Ist der Welt allmächtiger Puls, und deshalb

Flötet oftmals tauberem Ohr der hohe

Lyrische Dichter.


Gerne zeigt Jedwedem bequem Homer sich,

Breitet aus buntfarbigen Fabelteppich;

Leicht das Volk hinreißend erhöht des Dramas

Schöpfer den Schauplatz:


Aber Pindars Flug und die Kunst des Flaccus,

Aber dein schwerwiegendes Wort, Petrarca,

Prägt sich uns langsamer ins Herz, der Menge

Bleibt's ein Geheimnis.


Jenen ward bloß geistiger Reiz, des Liedchens

Leichter Takt nicht, der den umschwärmten Putztisch

Ziert. Es dringt kein flüchtiger Blick in ihre

Mächtige Seele.


Ewig bleibt ihr Name genannt und tönt im

Ohr der Menschheit; doch es gesellt sich ihnen

Selten freundschaftsvoll ein Gemüt und huldigt

Körnigem Tiefsinn.

Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 483.
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