|
[67] 1.
Liebe jugend/ die die liebe
Hat zu lieben ausersehen/
Auff vnd dich im lieben übe/
Liebe lässet nicht geschehen/
Wer sich lässt in liebe finden/
Daß jhn was solt' überwinden.
2.
Trawren/ wo das eingekeeret
Speiset müh- vnd thränen-brodt/
Endlich/ wird jhm nicht gewehret/
Bringet es gewiss den tod.
Wer sich lässt in liebe finden/
Der wird trawren überwinden.
3.
Arbeit/ wird sie mit belieben
Auff jhr vorgesetztes ziel/
Vnd mit wachem fleiss getrieben/
Vberwindet endlich viel.
Wer sich lässt in liebe finden/
Wird all' arbeit überwinden.
4.
Eyfer kürtzt des menschen leben/
Vnd bringt endlich todes pein/
Dem recht lieben ist gegeben/
Wird für eyfer sicher seyn.
Wer sich lässt in liebe finden/
Der wird eyfer vberwinden.
5.
Kriegen/ wenn es ist gelungen
Vnd auff guten zweck gericht/
Hat wol manches land bezwungen/
Aber dennoch liebe nicht.
Wer sich lässt in liebe finden/
Wird im frieden überwinden.
6.
Wollust ist ein scharffer sporen/
Wo der nicht bey zeite bricht/
Der hat leib vnd sinn verlohren/
Den er lange treibt vnd sticht.
Wer sich lässt in liebe finden/
Der wird wollust vberwinden.
7.
Geld/ wenn 's seine schlaven findet/
Nimmet hertz' vnd vestung' ein.
Wen recht starcke liebe bindet/
Wird befinden war zu seyn:
Wer sich lässt in liebe finden/
Den wird geld nicht überwinden.
8.
Trawren/ arbeit/ zorn vnd kriegen
Schnöde wollust/ gut vnd geld
Wird die liebe nicht entsiegen.
Ist nun jemandt in der welt/
Der die liebe selbst kan binden/
Der wird alles überwinden.
Buchempfehlung
Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«
242 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro