Hn. Hanns Ravensbergen vnd jungfr. Helenen Korcken auff jhren hochzeitlichen ehrentag gefangen übergeben:

[73] Der blinde Cupido


Eh wir noch die wilde jugend

Recht gezämet durch die tugend/

Weiset vns ein kinder-spiel

Amors weise/ griff vnd ziel.

Wenn ein gantzer hauffe läuffet/

Einem aber/ der da greiffet/

Bindet-man die augen zu;

Diß spiel heisst man blindekuh.

Eben also geht 's im fräwen/

Pfleget dennoch zu gedeyen/

Frisch vnd blind gegriffen drein/

Es wil blind gewaget seyn.

Ist Cupido gleich ein schütze/

Seind jhm doch kein' augen nütze/

Seine pfeile treffen wol/

Siht er schon nicht wie er soll.

Wer scharff siehet/ wil scharff wehlen

Wer viel wehlet/ dem muss 's fehlen.

Wer nun fehlet geb' es schuld

Seh'ns vnd wehlens vngeduld.[73]

Was ist doch in liebes hitze

Das verhasste wehlen nütze?

Wahl in lieb' hat offt gerewt/

Frisch gewagt hat offt erfrewt.

Besser alle wahl verachtet

Als den jungfrawn nachgeschlachtet/

Die da wehlen nacht vnd tag/

Eh' jhnn einer werden mag/

Einer/ der da ist gezieret

Vnd nach jhrem sinn stafieret

Wie sie wollen/ wie er sol

Nemlich also/ merckt es wol:

Nicht zu groß/ vnd nicht zu kleine/

Nicht zu still'/ auch nicht gemeine/

Nicht zu kurtz/ auch nicht zu lang/

Nicht zu dick/ vnd nicht zu schlang/

Nicht zu leibig/ nicht zu mager/

Nicht zu fett/ vnd nicht zu hager/

Nicht zu jung/ vnd nicht zu alt/

Nicht zu plump vnd vngestalt/

Nicht ein buhler/ nicht ein läuffer/

Nicht ein spieler/ nicht ein säuffer/

Nicht ein zärtling/ nicht ein schwein/

Nicht zu grob vnd nicht zu fein

Nicht zu fromm/ auch nicht zu sturrisch/

Nicht zu schmeichlich/ nicht zu murrisch/

Nicht ein schwätzer/ auch nicht stumm/

Nicht zu listig/ auch nicht tumm/

Nicht Calvinisch/ nicht Catholisch

Nicht zu wild nicht melancholisch/

Nicht zu herrisch/ nicht ein bawr

Nicht zu alber/ nicht ein laur.

Nicht zu eifrig/ nicht zu linde/

Nicht zu langsam/ nicht zu schwinde/

Nicht zu milde/ nicht zu karg/

Nicht zu gut/ auch nicht zu arg/

Nicht zu lässig/ nicht zu beissig/

Nicht zu faul/ auch nicht zufleissig/

Nicht ein jeck'/ auch nicht ein holtz/

Nicht zu schlecht/ auch nicht zu stoltz.

Wer kan/ was ein jed' erwehlen

Möcht'/ in solcher kürtz' erzehlen?

Ware liebe thut es nicht/

Vnd darff keiner augenliecht.

Wer will sehn in seiner jugend/

Seh' auff nichts/ als nur auff tugend.

Sonst achtt liebe kein gesicht'

Argus weiss von liebe nicht.

Quelle:
Deutsche Literatur, Reihe Barock, Erg.-Bd., Leipzig 1939, S. 73-74.
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