(4)[264] 94

Hierauff folget (4.) Kurland95 / davon redet der Author der wunderlichen Historien von Gespensten also; In Preussen96 / Lieffland und Littau ist eine grosse Menge und Anzahl solcher Zauberer / welche in der Christnacht an einem gewissen Ort ihre Menschliche Gestalt ablegen / und eines Wolffs Gestalt an sich nehmen / da sie dann in den Wiltnissen auf[264] den Dörffern den Bauren in die Häusser fallen / dieselbigen einnehmen / das Bier und den Wein in den Kellern auß den Fässern außsauffen / und das Vieh erwürgen / und denselbigen Ort achten und halten hernachmals die Einwohner für einen Göttlichen und heiligen Ort / daß wann einem an demselbigen Ort ein Unfal begegnete / und er gleich wie ein Wagen umgestürtzt / und auff den Schnee geworffen würde / halten sie es gäntzlich dafür / er würde in demselbigen Jahr sterben / wie sie dann in solchem Aberglauben von langer Zeit her durch die Erfahrung bestetiget worden. Zwischen Littau / Samogetia und Kurland ist eine Mauer / welche noch von einem alten Castel ist stehen blieben. Bey derselbigen kommen auff eine und gewisse bestimte Zeit im Jahr etliche tausent Wölffe zusammē / da sich dann ein jeder versucht / wie behende und hurtig er im springen sey / und welcher über diese Mauer nit springen kan / wie dann gemeinlich den feisten begegnet / der würde von ihrem Obersten gepeitschet / entlich saget man auch für eine gewisse Warheit / daß unter demselbigen Hauffen viel grosse Hansen / und fürnehme von Adel sollen gefunden werden / und solches beweiset und erkläret Olaus lib. 18. cap. 45. mit vielen Exempeln / und meldet / daß der Hertzog in Preussen / welcher sonsten solcher Zauberey wenig glauben gegeben / einen solchen Schwartzkünstler[265] habe gefangen gehalten / und denselben gezwungen / daß er sich hat müssen in einen Wolff verwandeln / hat ihn auch hernach mit Feuer verbrennen lassen.

Noch ferner kan auch von vorigem Kurland wol angehöret werden / was in diesem Fal davon außführlich erzehlet Raue mit folgenden Worten.97 Es hat mich für gut angesehen / hie auch mit Warheit zubeweisen / wie sich die Menschen in Wölffe verwandeln / welches Plinius vermessentlich für eine Lügen und Fabel hält; Nun werden solche Leute noch heute bey Tag in grosser Menge gefunden / in den Landen / so an dem Theil Mitternacht stossen. In Preussen / Lieffland / und in der Littau thun die Wölffe das gantze Jahr grossen Schaden / dann sie viel Viehs niederreissen und fressen / wann es nur ein wenig von der Herd hindan gehet. Aber sie hielten das noch für einen schlechten Schaden / wann sie nur nit grössern leiden müsten / von den Menschen selber / die sich in Wölffe verkehren. Dann es versamlet sich alleweg eine grosse Schaar der Menschen / die zu Wölffen werden in der heiligen Christnacht / welche dieselbe Nacht grausamlich wüten / nicht allein wider das Vieh / sondern auch wider das Menschliche Geschlecht selber / also daß die Einwohner desselben Landes viel verderblichen Schaden empfahen / von den[266] verwechselten Menschen / dann von den Wölffen selber. Dann die Erfahrung Zeugniß giebet / daß sie stürmen der Menschen Häusser und Wohnungen in den Wäldern / mit grausamer Gestalt / unterstehen sich Thür und Thor einzustossen / damit sie Vieh und Leut erwürgen: Sie lauffen in die Bier-Keller / sauffen gantze Fässer mit Bier und Meth auß / nachmals legen sie die lehrē Fässer mittē in den Keller auff einander / indem sie Unterscheid haben zwischen den andern Wölffen. Das Volck hält den Ort für tödlich / da sie über Nacht ruhen / dann so daselbst einem etwas widerwertiges zustehet / als wann einer den Schlitten umwirfft / und er in den Schnee fält / halten sie gäntzlich dafür / er sterbe dasselbige Jahr / welches sie nun viel Zeit her durch Erfahrnuß sind innen worden. Zwischen der Littau / Samogetia und Kurland stehet eine Mauer oder Wand / von einem zerrissenen Castel / daselbst kommen alle Jahr etliche tausent zusammen / und versucht sich ein jedweder / wie geschwind er mit springen sey: welcher nun über diese Mauer nicht springen mag (als gemeiniglich den feisten widerfähret) der wird von den Vorgängern mit Geisseln geschlagen. Man saget auch für eine Warheit / daß unter solchem Hauffen die grösten Herrn von Adel deß Landes gesunden werden / wie sie aber zu solcher Unsinnigkeit und schrecklichen Verwandelung kommen / bey der[267] sie allewege zu seiner Zeit sich müssen finden lassen / wird in folgenden angezeiget. Plinius der fürnemste Schreiber unter allen denen / so jemals von natürlichen Historien geschrieben / zeiget an / wie Evantes ein trefflicher Scribent der Grichen fürgebe / daß die Arcadier98 schreiben / daß auß dem Geschlecht eines Antei, also genent / einer mit Loß erwehlet / zu einem See desselbigen Landes geführt wurde / der seine Kleider an einen Eichbaum hencke / schwimme über den See / gehe in die Wüsten / werde verwandelt in einen Wolff / und wohne daselbst mit andern dergleichen Wölffen neun gantzer Jahr lang; Nach verschienener Zeit / indem er sich der Menschen entschlagen / käme er wiederumb zu dem See / und so er herüber geschwummen / empfahe er wiederumb seine alte Gestalt / mit zugethanem Alter der neun Jahr / wiewohl solches Plinium Fabelwerck zu seyn düncket / so wil ich doch mit etlichen Exempeln erklären und darthun / daß solches noch heutiges Tages geschicht an obbemelten Orten / damit die Meinung Evantis / Agrippe und anderer Scribenten wahr gemacht werde.99 Wenn einen der Fürwitz sticht / der da begehrt ausserhalb der Göttlichen Lehre neue Ding zu erkundigen / er sey ein Teutscher oder Landmann / und wil in die Versamlung solcher vermaledeyten Menschen (die sich in Wölffe machen / wann sie wollen) auffgenommen werden / auff daß[268] er zu bestimten Orten und Termin im Jahr sein lebenlang zu ihm käme / Vieh und Leuten Schaden / ja auch den Todt selber anzulegen / so mag er solchen Gewalt sich zu verwandeln wider die Natur von einem andern solcher Zauberey erfahrnen zuwege bringen / der ihm einen Becher mit Bier reicht / welchen er außtrincken / und etliche teuffelische Wort darzu sprechen muß. Darnach wann es ihm gut bedüncket / gehet er in den Keller / oder in den Wald / und verkehret die Menschliche Gestalt in einen wilden Wolff / welche Wolffs Gestalt er hernach / wann es ihm gefält / wiederumb verläst / und in die alte Menschen-Haut schleufft / wie auß folgenden Exempeln zuvernehmen. Es hatte sich begeben / daß ein Edelmann durch einen langen Wald zu reisen hatte / und etliche Bauren die auch Zauberer waren / (wie es dann an selbigen Orten derer viel hat) mit sich geführet; Als nun der Abend daher striche / und sie in dem Wald über Nacht bleiben musten / dann in der Nähe keine Herberg verhanden war / es wurde sie auch anfangen zu hungern / und hatten nichts zu essen; Indem schlägt einer deren unversehens einen Rath für / die andern sollen stil seyn und keinen Tumult oder Geschrey anfangen / wo sie etwas sehen / er sehe dort von ferne eine Herde Schaaf auff der Weide gehen / wolle sehen / daß er eines auß ihnen zu wege bringen / und sie ein Gebratens[269] zum Abentessen haben möchten. Er seumete sich nicht lang / gehet von stund an in das dicke Holtz hinein / da ihn kein Mensch sehen mochte / verwandelte sich in einen Wolff / laufft ungestüm unter die Schaaf / reisset eines hinweg / und schleiffts mit ihm in das Holtz / bringt auch endlich solch Schaaf in Wolffs Gestalt biß zu den Wagen / seine Gesellen verstunden wohl /wie es zuging / nahmen das Schaaf mit Danck an / und verborgen es heimlich auff dem Wagen / der Wolff lieff in das Holtz hinein / nahm seine Gestalt wieder an sich / und kombt ein Mensch wiederumb zu seinen Gesellen. Dergleichen hat sich auch in Liffland begeben / daß eines Edelmanns Weib mit ihrem Knecht zancket / es were nicht müglich / daß ein Mensch zu einem Wolff werden könte. Nach langem streiten wischt er herfür / er wolle solches von stund an beweisen / wo ihm Gelegenheit gegeben werde / gehet allein in einen Keller / kombt über eine weile wiederumb herauß in eines Wolffs Gestalt / er wurde von Hunden ersehen / angefallen / und über das Feld dem Holtz zugejaget / und wie fast er sich gegen den Hunden wehrete / wurde ihm dennoch ein Aug außgebissen / deß andern tages kam er wieder zu seiner Frauen / einäugigt. Derhalben obgemelter Evantes nit auß der Weiß geredet / daß die Menschen zum Wolff werden / und wieder zu ihrer Gestalt kommen. Das ist auch gewiß / so ein Mensch[270] in einen Wolff verwandelt / in Wolffs Gestalt ein Glied verleuret / so mangelt er desselbigen / so bald er wieder zu ihm selber kombt. Wird aber ein solcher Wolff von Hunden oder Jägern umbracht / so wird derselbige Mensch nimmermehr gesehen. Zum Beschluß / so ist noch in frischer Gedächtnüß / daß auch der Hertzog in Preussen solcher Zauberey einen kleinen Glauben geben / und die Warheit zuerfahren einen solchen Gesellen in die Gefängnuß geworffen / auch gezwungen / daß er sich zu einem Wolff muste machen / welches er auch gethan / damit aber solche Abgötterey gestrafft würde / hat ihn der Hertzog verbrennen lassen / hat ihm auch recht gethan.

Quelle:
Praetorius, Johannes: Blockes-Berges Verrichtung. Leipzig, Frankfurt 1669, S. 264-271.
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