122. Die Kirchbergszwerge bei Osterwieck.

[45] Im Kirchberge bei Osterwieck haben sich vor alten Zeiten Zwerge aufgehalten, welche gar freundlich gegen die Osterwiecker gesinnt waren. Sie haben dieselben bei Kindtaufen, Hochzeiten und sonstigen Ehrengelagen mit schönen Speisen allerlei Art versehen. Die Osterwiecker pflegten, wenn sie solche Feste vor hatten, ihre Wünsche auf einen Zettel zu schreiben und diesen vermittelst eines Stockes in ein bestimmtes Loch des Berges zu stecken. Bald darnach fanden sie dann vor der Oeffnung die erbetenen Speisen auf silbernem Geschirre, das sie nach dem Gebrauche wieder da hinstellen mußten, wo sie es gefunden hatten. Da hütet denn einst ein Schäfer in der Nähe die Schafe, findet die von den Zwergen hingesetzten Speisen, verzehrt sie und verunreinigt das Geschirre mit eigenem Kothe. Das aber hat die Zwerge so sehr verdrossen, daß sie von der Zeit ab allen freundschaftlichen Verkehr mit den Osterwieckern abgebrochen und ihn noch jetzt nicht wieder angeknüpft haben.

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Heinrich Pröhle: Unterharzische Sagen. Aschersleben 1856, S. 45-46.
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