178. Der Teufel holt einen armen Sünder vom Galgen.

[71] Vor Jahren wohnte ein Mann in Wernigerode, der war sehr reich, aber dabei ein rechter Geizhals, der trachtete stets noch nach Vermehrung seiner Reichthümer, wenn auch[71] auf unrechtmäßige Weise. Einstmals beschloß er, alle seine ausgeliehenen Kapitalien zu kündigen. Er hatte einem Bauern in Veckenstedt mehrere hundert Thaler geliehen, demselben kündigte er das Kapital zuerst. Am Abend vor dem Zahlungstermine kam der Schuldner dem Geizhals ins Haus und bat ihn, daß er ihm doch 20 Thaler wieder mitgeben möchte, da er sie noch nothwendig gebrauchte. Das ließ sich der Geizhals gefallen, beschloß aber, gleich hinter seinem Schuldner durchzugehen und ihn auf dem Wege zu ermorden. So lief er rasch aus seinem Hause heraus und am Galgenberge holte er den Bauer wieder ein. Er sagte zu ihm: mir ist es leid, daß ich von dir das andre Geld genommen habe, du hast solches größer nöthig, so nimm es wieder zu dir. Der Bauer glaubte wirklich, daß es sein Ernst sei und nahm das Geld wieder. Als er es beistecken wollte, schlug der Geizhals ihn mit einem Schlage todt, nahm ihm das ganze Geld ab und ging damit nach Hause. Die Nacht über konnte der Geizhals nicht schlafen und schlug sich mit Sorgen, wo er doch das Geld vergraben halten könne. Es wurde über den verübten Mord viel gesprochen und der Mörder trug sich mit Gedanken, ob trotz seines Reichthums wohl nicht der Verdacht noch auf ihn fallen würde. Eines Tages ging er aus und gelangte an den sogenannten Weinberg, der an der Kakemieke entlang führt; da kam er bei einen Mann, der ihm ganz verdächtig vorkam, mit diesem gab er sich in's Gespräch vom Teufel. Darauf erklärte der Mann ihm, daß es ganz gut sei, wenn der, welcher unrecht gehandelt hätte, sich sogleich dem Teufel ergäbe. Ja, sagte der Mörder, ich möchte mich wohl selbst verbindlich mit dem Teufel machen, obgleich ich Reichthum genug habe. »Wenn du viele Reichthümer hast, um so eher mußt du dich dem Teufel ergeben, antwortete der Andre; glaubst du wohl, daß ich der Teufel bin? ich weiß auch recht gut, daß du den Bauer todtgeschlagen hast, und es wird auch nicht lange dauern, so werden sie dich an den Galgen hängen.« Darauf machte der Mörder mit dem Teufel das Verbündniß, daß ihn der Teufel vom Galgen befreien solle. Gleich die kommende Nacht ging der Mörder mit dem Teufel nach dem Galgenberge, und vergruben das Geld und machten über das Geld zum Zeichen ein Hufeisen in die Erde, was heutiges Tages noch an dem Galgenberge[72] vor Wernigerode zu sehen ist; es soll dies Hufeisen in der Johannis-Nacht brennen.1 Acht Tage nach dem Geld-Vergraben wurde der Mörder verhaftet und auf den Johannistag wurde er auf den Galgen gebracht; kaum hatten sie ihn hinaufgeführt, so gedachte er an des Teufels Versprechen; in demselben Augenblicke kam der feurige Teufel durch die Luft geflogen und setzte dem Mörder eine Nebelkappe auf, und so war der Teufel mit dem Mörder vor allen Menschen verschwunden.

Fußnoten

1 Am Galgenberge bildet ein Strich frischeren Grünes ein Hufeisen.


Quelle:
Heinrich Pröhle: Unterharzische Sagen. Aschersleben 1856, S. 71-73.
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