254. Bericht vom heiligen Blute zu Wasserleben.

[104] Es haben im Dorffe Wasserleben zwey Schwestern gewohnt, die eine reich, die andre arm, die arme hieß Armgart, selbige fragte ihre Schwester, wie es doch kommen möchte, daß, ob sie sich es schon sauer werden liesse, sie dennoch immer sehr arm bliebe, sie aber hingegen reich würde, und doch nicht halb so sehr arbeitete; worauf die reiche geantwortet und gesagt, sie hätte unsern Herrn Gott im Kasten. Wie nun diese Armgart am H. Ostertage zum Sacrament gegangen und die Hostie in ein rein Tüchlein ausgespeyet mit sich nach Hause genommen, und in selbigem Tüchlein in ein klein Schränklein gethan und in einen großen Kasten verschlossen, hernachmals aber zu einer Zeit darnach sehen wollen, hat sie die Hostie mit dem Tüchlein gantz blutig befunden und sich dafür entsetzet, es aber ihrem Manne gezeiget, der sich denn noch mehr darüber erschreckt, es auch sofort dem Pfarrherrn geklagt, welcher sich nicht wenig mit Schrecken darüber verwundert und vorher benahmten Bischofe Friederico hinterbracht; worauf derselbe mit aller seiner Geistlichkeit in einer grossen Procession nach Wasserleben gekommen, Gott zu Lob und Ehren allerhand geistliche Lobgesänge, unter andern auch sonderlich dieses gesungen: Christe, du bist mild und gut, hilff uns durch dein heilig Blut, durch deine heilige fünff Wunden, daß wir im rechten Glauben stets werden erfunden. Kyrie, Eleison. Und wie die ersten zu Wasserleben einkamen, waren die letzten noch zu Halberstadt im Thum. Als nun der Bischof Friedrich das wunderbarliche Sacrament mit dem blutigen Tüchlein in aller Ehrerbietung und mit gebogenen Knieen empfing, legte er es in einen silbernen vergüldeten Kelch und wollte solches mit der Procession nach Halberstadt in den Thum tragen, wie er aber zu Heudeber (al. Hausler) in die Kirche kommt, daselbst man etliche Lobgesänge gesungen, und den Kelch vom[104] Altar wieder aufnehmen und nach Halberstadt tragen wollte hat das heilige Blut im Kelche angefangen zu quellen, als wollte es gar übergehen, worüber der Bischof und seine Clerisey sammt dem Volcke sehr erschrocken, und vermahnte sie alle mit Thränen, Gott um seine Gnade zu bitten, und daß er ihnen hierin seinen Willen offenbaren wollte, wie sie sich in diesem grossen Mirackel und Wunderwercke verhalten sollten, damit sie selbigem recht nachkommen möchten. Da nun solches geschehen, sprach der weise Meister Johannes Semeca Thum-Probst zu dem Bischof: Lieber Vater, es dünckt mich billig zu seyn, daß dies Wunderblut an dieser Stätte bleibe, da Gott also seine Wunder gezeiget und erwiesen hat zu seinem ewigen Gedächtniß. Liessen es also dar, und ward hernach solche große Walfart und Zulauff des Volckes aus allen Landen, daß daselbst geopffert wurden sechs Himten Pfennige, wovon der Bischof das Jungfrauen-Kloster zu Wasserleben zu bauen angefangen, welches nach dessen Tode von Bischof Ludolpho grösser gemacht, und vollends ausgebauet worden. Es mißfiel aber Johanni Semecae dieser Concurs des gemeinen Volckes allezeit, und hätte ihn gerne gestillet, darum mußte noch ein Priester die blutige Hostie sumiren, den Kelch aber ließ er im angefangenen neuen Thum zu Halberstadt in einen Pfeiler vermauren und sprach: es ist der Leichnam und das Blut Christi uns zu einem andren Gebrauch verordnet und eingesetzt. Das blutige Tuch aber blieb zu Heudeber und Wasserleben vor Heiligthum, doch kriegten die Braunschweigischen Herren auf dem Grubenhagen etwas davon, welches sie nach Eimbeck in S. Alexanders-Münster brachten, und allda in grossen Ehren hielten, in einer sonderlichen Capelle.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Unterharzische Sagen. Aschersleben 1856, S. 104-105.
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