[44] Schätzbarste Stütze meines Wohls,
Mitleidender Gefehrt, trostreichster, liebster Zeuge
Der stillen Sorgen banger Tage,
Du unbestechlicher Bewahrer meiner Treu,
Und der, in deinem edlen Busen
Ernährten, ewgen Gluth der Redlichkeit.
Ach Freund, ach Damon, laß mein Hertz
In deinem mir stets ofnen Hertzen
Die Freystatt für den Kummer suchen.
Ja, ja, du öfnest deinen Arm!
Ich flieh ins Heiligthum von deinem ofnen Hertzen.
Hier leg ich meine Lasten nieder,
Und mein beklemmter Geist erholt sich, schöpfet Luft.
O welch ein Einfluß süsses Trostes![44]
O welche Linderung, o welch ein Meer voll Lust
Ergiesset sich in meine Brust!
O glückliche, o hohe Stärckung!
O theure Freundschaft sey gesegnet!
Ja, Freund, sonst find ich nirgends Ruh,
Als nur in Damons Brust, und dort in Gottes Himmel,
Gestärckt durch mein und deine Tugend;
Die Tugend, die nur jetzt der Weisheit stilles Licht,
Von Gott geschenckt, im Nebel führet.
Ich fühle das Gewicht von der Beängstigung,
Ich walle oft in trüber Nacht,
Wie mitten in dem Sturm der Wellen,
Jedoch ihr Schimmer theilt die Schatten.
Ich gebe keine Großmuth vor,
Die aus der Felsen-Brust der Menschen ausgestossen;
Gott wills, ich fühle meine Sorgen;
Ein Hiob geht bey mir zehntausend Catons vor.
Der tobet wider Welt und Himmel;
Der trägt die Last und seufzt, doch murrt er nicht dabey.
Jedoch, das eitle Zeitliche
Ist wohl vielleicht des Pöbels Sorge?
Freund, kan sonst was die Tugend drücken?
Doch Damon fühlet es ja auch.
Ja, Freund, dein Beyspiel ist das Zeugniß dieser Wahrheit.
Der Tugendhaftige, der Pöbel,
Stehn unter einer Last, doch himmelweit entfernt.
Des Pöbels Unglück sind die Laster,
Des Tugendhaftigen nichts, als sein Unglück selbst.
Der Pöbel mehrt sich seine Quaal
Durch Niederträchtigkeit und Klagen.
Hier seufzt der Mensch, die Tugend tröstet;
Wie, wenn der Sturmwind den Orest
Von seinem Pylades in eine Wüste schmeisset;
Der an dem Ufer gantz verlassen,
Der mitten aus der Fluth die Hände ringt und streckt,[45]
Doch, selbst vom Wetter fortgerissen,
Ihn in der Wüsteney mit Jammer lassen muß.
Dann irret jener an dem Ufer,
Und rufet seinen Freund, sein Nam erfreuet ihn,
Mit Angst und Zärtlichkeit erfüllt.
Doch mitten in der weiten Wüste
Reicht Gott und Tugend ihm die Arme.
Du höchster Vater aller Welt,
Gott auch des kleinsten Wurms, laß uns in Schweiß und Sorgen
Die gantze Last der Tugend tragen;
Nur aber laß mich nie in Niederträchtigkeit
Der schwartzen Bosheit dienstbar werden.
Verbleibe du mir stets, o meine Poesie,
In deiner hohen Reinigkeit.
Las sie zum Dienst der schnöden Seelen,
O Himmel, nie erniedrigt werden.
Was vor ein anmuthsreicher Strahl
Durchschimmert meine Nacht und mahlt die finstern Nebel,
Aus welchem freudenvollen Himmel – – –
O, Doris, bist du es, du lächelst, und es taget.
Dein Blick erheitert unsre Tugend,
Und du lachst auch, du kleine Munterkeit,
Du, der verschwundnen Tage Lust,
O Hilas, auf der Doris Schoosse.
Ja schertzt vergnügt. Dieß tilgt mein Sorgen.
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