Neun und dreißigster Brief.

[115] B....., den 17. Octob. 1828.


Liebste Julie!


Seit gestern befinde ich mich zum Besuch in einem hübschen gothischen Schlößlein, am Fuß des Gebürges. Aus einem Fenster sehe ich fruchtbare Fluren, aus dem andern Wald, See und Felsen. Der Hausherr ist Mr. O. R....s Bruder, und, außer seinem Schloß, auch der Besitzer einer sehr hübschen Frau, der ich ein wenig die Cour mache, denn die Herren jagen und trinken mir doch zu viel. Das Familiengut hätte eigentlich meinem drolligen Freunde gebührt, weil er aber stets ein lockerer Zeisig war, der von Jugend auf Whiskeypunsch und gutem Leben ergeben schien, so vermachte der Vater, der die Disposition hatte, das Gut dem jüngsten Sohne. Beide Brüder sind dennoch die beßten Freunde, und die harmlose, gutmüthige Natur des Aeltern findet durchaus keinen Wermuth in dem Wein, den er bei[116] seinem Bruder trinkt; so wie auch auf der andern Seite der Jüngere das Unglück ehrt, und seinen ebenso herzensguten und amüsanten, als alle Abend betrunkenen Senior, es an nichts fehlen läßt. Ein solches Verhältniß macht beiden Ehre, um so mehr, da, bei des Vaters Tode, die Advokaten meinten, daß der Fall sich gar sehr zum Prozesse eigne, Beide haben gewiß eben so klug als gut gethan, ihn zu unterlassen, und die Auster für sich zu behalten, statt sie wie in der Karikatur, vom Advokaten verzehren, und sich selbst mit den beiden Schalen abspeisen zu lassen.

Wir brachten den ganzen Tag mit Spazierengehen in den herrlichen Bergpromenaden, Andere mit Schnepfenschießen, zu, und saßen Abends bis zwei Uhr Morgens beim Mittags-Tisch. Gleich nach aufgestelltem Dessert verließen uns, nach alter Art, die Damen, und nun ging das Weintrinken an. Dann wurde ganz spät der Kaffee bei Tisch gereicht, und ihm folgte, fast auf dem Fuße, ein excitirendes Soupé, aus Devils1 aller Art, frischen Austern und Pickles bestehend. Diese bildeten das Präludium zum Potheenpunsch,[117] von dem Mancher 12 – 16 große Tumblers zu sich nahm, während O. R... die ganze Gesellschaft mit unerschöpflichem Witz und Narrenspossen, in einem »roar of laughter« erhielt. Ueberdieß mußte jeder ein Lied singen, auch ich ein deutsches, von dem zwar niemand etwas verstand, alle aber höchlichst erbaut waren. Um 2 Uhr retirirte ich mich, die Andern blieben aber noch Alle, und lange konnte ich vor ihrem Lärm und Lachen, in meiner unglücklicherweise grade über ihnen liegenden Stube, nicht einschlafen.


Den 18ten.


Du wirst Dich über das etwas gemeine Leben verwundern, das ich hier führe – und aufrichtig gestanden, ich selbst wundere mich darüber, aber es ist genuine, d.h. bei den Leuten ächt natürlich, und nicht etwas Angenommenes – das hat immer eine Art Reiz, wenigstens für mich. Ueberdem ist die Frau vom Hause wirklich allerliebst, lebhaft und grazieus, wie eine Französin, und einem Füßchen, wie Zephyr, das ich schon oft geküßt, wenn ich ihr, während die andern tafelten, eine kurze Abendvisite machte und mich anstellen durfte, als sey mir der ungewöhnte Punsch ein wenig zu Kopfe gestiegen.[118]

Diesen Morgen hetzten wir Hasen, wobei wieder mancher kühne Sprung gemacht werden mußte, und abends produzirte man uns den berühmtesten Piper Irlands, Keans Fitzpatrick, der König der Piper genannt, den auch His gracious Majésty, King George the fourth, mit seinem Beifall beehrt hat. In der That sind die Melodien, die er seinem sonderbaren Instrumente abgewinnt, oft eben so überraschend als angenehm und seine Fertigkeit, wie der höchst gebildete und noble Anstand des blinden Mannes, eines Virtuosen würdig. Diese Pipers, welche fast Alle blind sind, und sich aus weitem Alterthum herschreiben, fangen jetzt an, immer mehr zusammenzuschmelzen, denn das Alte – muß vergehen.


Den 19ten.


Im Laufe des Tages begegneten wir heute zwei Leuten, von sehr verdächtigem Aeußern, im Walde, die meine Begleiter mir ganz unbefangen als bekannte Räuber designirten, die sich, theils durch List, theils durch die Furcht, die sie einflößen, bis jetzt immer frei zu erhalten gewußt hätten; ein Zeichen mehr, wie mangelhaft das Gouvernement, und ganz verdorben der Zustand der Gesellschaft hier ist, zwei Dinge, wodurch leider Irland charakterisirt wird. Beide Leute, die sich Pächter (farmers) nennen, weil[119] sie ein Stück Kartoffelfeld in Pacht genommen, waren von höchst auffallendem und recht nationalem Ansehen. Der Eine, ein schlanker, etwa 40jähriger, schöner Mann, mit einer wilden, aber imponirenden Physiognomie, stellte, selbst in seinen Lumpen, noch ein höchst pittoreskes Bild dar. Verachtung jeder Gefahr war auf seiner edlen Stirn ausgedrückt, Gleichgültigkeit gegen jede Schande spielte höhnisch um den frechen Mund. Seine Geschichte bestätigte diese Sprache seiner Züge. Er trug drei bis vier Militär-Medaillen, die er als Soldat in Spanien und Frankreich erworben. Wegen vielfach bewiesener Tapferkeit hatte man ihn schon einmal zum Unteroffizier avancirt, wegen lüderlicher Streiche aber wieder degradirt; darauf hatte er zum zweitenmale gedient, sich wieder ausgezeichnet, war aber auch von neuem aus demselben Grunde verabschiedet worden, ohne daß man jedoch im Stande gewesen, ihn eines Kapital-Verbrechens zu überführen. Jetzt hat man ihn im strengsten Verdacht, der Anführer der Räuberbanden zu seyn, welche das Galtée-Gebürge so sehr beunruhigen, und bereits verschiedene Mordthaten begangen haben. Sein Gefährte war äußerlich ganz das Gegentheil – für einen irländischen Farmer selten »wohl gekleidet« d.h. nichts Zerrissenes tragend, 60 Jahre alt, kurz und untersetzt, und im Benehmen fast einem Quäcker ähnlich. In den scheinheiligen Zügen lauschte aber dennoch ein solcher Grad von List und schonungsloser Entschlossenheit, daß er viel furchtbarer noch als der Andere erschien. Vor[120] zwei Jahren wurde dieser Mann der Verfertigung falscher Banknoten angeklagt, und war bereits so gut als überwiesen, als ein geschickter Rabulist, dem er sich vertraute, ihn, gegen das Versprechen einer reichen Belohnung, noch glücklich vom Galgen befreite. Thränen der Dankbarkeit vergießend, steckte er seinem Erretter 50 Pfund in die Hand, ihn schluchzend um die übliche Quittung bittend. Diese wurde ausgestellt, und vergnügt über das gute Geschäft, füllte der Advokat seine Brieftasche. Wie groß war aber sein Aerger, als er, bei näherer Untersuchung, sich überzeugen mußte, das ihn Paddi mit ähnlichen falschen Noten bezahlt, für deren Verfertigung er dem Galgen schon anheim gefallen war. Wenn die Irländer sich auf die schlechte Seite wenden (und zu verwundern ist es, daß sie es nicht Alle thun), so sind sie gefährlicher, als Andere, weil ihre hervorstechenden Eigenschaften, Muth, Leichtsinn und Schlauheit, ihnen mehr als zu behülflich sind, Alles zu wagen, und Vieles mit Erfolg auszuführen.

Während wir beim Soupé unsre Austern verzehrten, die an der westlichen und Südküste Irlands vortrefflich sind, gab uns ein Herr aus dieser Gegend, der selbst Austernzucht auf seinem Gute übt, einige Details über ihre Behandlung und Naturgeschichte, die mir ganz neu waren. Je vous les communique, même au risque de vous ennûyer. Für's Erste mußt Du also wissen: daß dreijährige Austern zum essen die besten sind, weil sie dann erst, völlig[121] ausgewachsen, die gehörige Größe und Korpulenz erreichen; später aber werden sie Coriace. Der geschickte Austernökonom hat Bänke von jedem Alter, und nach Beschaffenheit des Bodens, Austern von verschiedenem Geschmack und Flavour. In den von der Kunst ungestörten Plätzen, wo sich die Austern im Naturzustande vermehren, erreichen sie nie die höchste Vollkommenheit. Auf folgende Art kömmt man ihnen zu Hülfe. Man fischt die Jungen, wenn sie nicht größer sind, als ein Viergroschen-Stück, und säet sie, wie Korn, in eine nicht zu weit vom Ufer entfernte Stelle des Meeres, deren Boden ein weicher Schlamm seyn muß, und die nicht mehr als höchstens 14 Fuß Tiefe haben darf. Nach drei Jahren fischt man sie wieder heraus, und säet dann von Neuem andere aus der Mutterbank. Natürlich hat man mehrere solche Schlammbänke im Gange, um jedes Jahr eine reif gewordene leeren zu können. Es scheint, daß die Austern sehr alt seyn müssen, ehe sie sich vermehren, da in den eben beschriebenen artifiziellen Colonieen nie neue Geburten statt finden. Die Art dieser Geburt ist übrigens sonderbar, ein neues Beispiel der unendlichen Mannichfaltigkeit der Natur. Wahrscheinlich ist die Auster ein Hermaphrodit, da keine Verschiedenheit des Geschlechts bemerkt werden kann, und sie sich nur dadurch fortpflanzt, daß, ausserhalb ihrer Schale, sich 15 – 16 kleine Austern, wie Warzen, bilden, und wenn sie gehörige Consistenz erlangt haben, abfallen. Die Hervorbringung dieser 16 Kinder greift die alte Mama-Auster[122] dergestalt an, daß, wenn man sie nachher aufmacht, nichts wie ein wenig schlammiges Wasser in ihr gefunden wird, und gleich, nachdem die Kleinen abgefallen sind, gräbt sie sich 6 – 7 Zoll unter den Schlamm ein. Hier bringt sie ein ganzes Jahr zu, ehe sie sich genug erholt hat, um von neuem an's Zeugen zu denken. Deshalb kann man in dieser Zeit die Jungen bequem fischen, ohne den Alten zu nahe zu kommen, die ruhig in der Tiefe schlafen oder träumen! Das Fischen der Austern geschieht vermöge eines Instruments, denen ähnlich, mit welchen man Schlamm aus den Flüßen heraufbringt, und beim Säen werden sie in ein Segeltuch geworfen, und, wie schon gesagt, wie Getreide ausgesäet. Sehr alte Mütter werden endlich unfruchtbar, indem ihre Schale eine solche Dicke erreicht, daß Liebe nicht mehr durchdringen kann – grade wie die Menschenherzen.


Cashel, den 20sten.


Nachmittag fuhren wir hierher zurück, nach einigen, recht lustig, wiewohl nicht eben geistig, verlebten Tagen. Um meine intellektuellen Kräfte nicht ganz einschlafen zu lassen, will ich mich bemühen, Dir ein Volksmährchen genießbar zu machen, das mir eine alte Frau in Holycroß erzählt hat.[123]

Johny Curtin war ein armer Schüler, einer dunkeln Sage nach, der Abkömmling eines in alter Zeit hohen und mächtigen Geschlechts, dessen Glanz indeß längst verloschen, dessen Reichthümer verschwunden und dessen Nachkommen, immer tiefer hinabsinkend, seit vielen Jahren, ihres eignen Ursprungs ungewiß, genöthigt gewesen waren, das Handwerk »mit goldnem Boden« zu ergreifen, das zuletzt immer sicher, wenn auch nicht reichlich nährt. Johny's Vater und Mutter aber hatte der Tod hingerafft, ehe er selbst für sich zu sorgen im Stande war, und eine hülflose Waise, lebte er nun allein von der Großmuth seines Verwandten, eines Pächters in der Nähe der Ruinen von Holycroß, wo er jetzt eben auch die Schulferien zubrachte; denn Johny war fleißig und wißbegierig, und der Oheim gutmüthig genug, ihn bei der Arbeit oft zu entbehren, um ihm Zeit zu lassen, auf der Schule zu erlernen, was dort zu erlernen war.

Lernen und Wissen erweitert unsere Existenz, gebiert aber auch manche Sorge, manches nur eingebildete Uebel, das im einfacheren Wirkungskreise unbekannt bleibt. Johny kannte die Geschichte seines Vaterlandes, wußte, wie die alte Größe fast überall gebeugt worden war, und die eigentlichen Fürsten des Bodens Fremdlingen weichen mußten, die, wie Pilze aufgeschossen, den edleren Pflanzen die Nahrung entzogen, bis die unerbittliche Zeit endlich Alles verwandelte, und die, deren Vorfahren Könige[124] waren, zu nichts Besserem als Sklaven gestempelt hatte. Er selbst sah sich in vollem Maße für einen Solchen an, und die geringen Freuden, deren seine Lage fähig war, wurden nur zu oft durch selbstpeinigende Gedanken dieser Art getrübt.

In dieser Stimmung waren die stolzen Ueberreste verhallter Jahrhunderte, die Tipperary's Fluren, gleich einem großen Kirchhof, bedecken, das gewöhnliche Ziel seiner einsamen Wanderungen, und der Lieblingsaufenthalt des schwärmenden Jünglings. Manche Sommernacht brachte er in der verwitterten Kathedrale zu, die auf Cashels Felsen, in nackter Erhabenheit, thront, durchirrte in der Mittagssonne die sumpfigen Wiesen, in die seit acht Jahrhunderten Athassil's Abtei immer tiefer versinkt, oder ruhte im Schatten des Raubschlosses von Golden, dessen zehn Fuß dicke Mauern der Zeit noch trotzten, wie sie so lange manchem Feinde getrotzt. Doch vor Allem theuer waren ihm die prächtigen, von Efeu eingehüllten, Ruinen des Klosters von Holycroß, wo der Fremde noch jetzt das wunderbar erhalt'ne Grab des großen O'Bryan's, Königs von Limmerick, bewundert, und wo auch, im bescheidnen Winkel, Johny's Eltern schliefen. Vor seiner Phantasie aber bevölkerte es sich noch mit andern wunderbaren Gestalten, unter denen die Geister seiner großen Vorfahren, die, wie er oft gehört, ihre Ruhestätte hier gefunden, den ersten Rang einnahmen. Möglich, daß seine Vermuthung ihn nicht betrog, denn, der poetischen[125] Sitte seines Volks gemäß, wird nicht der Platz um die ärmliche Kapelle, in der die Bedrückten jetzt ihren kaum geduldeten Gottesdienst feiern, gewählt, sondern die erhabnen Ruinen ihrer alten Kirchen und Klöster vertreten die Stelle zum Begräbniß für hoch und niedrig, daher sieht man hier den Boden auch überall von aufrecht stehenden Grabsteinen wimmeln, untermischt mit Knochenhaufen und Schädeln, die, um den neuen Ankömmlingen Platz zu machen, sorglos ausgeschaufelt wurden. Hier, in einer Fensternische sitzend, verträumte Johny Stunden auf Stunden, bis die Sonne über dem majestätischen Galtée-Gebirge herabsank, dessen dunkle Riesen allein unverändert jedes Jahrhundert und jede Umwälzung überlebt hatten.

Eines Abends, wo er sich mehr bewegt, als je gefühlt, sehnsüchtig in die Vergangenheit und trostlos in die Zukunft geblickt, und ihm endlich gedäucht, daß immer hörbarer die Geister der Abgeschiednen in seiner Nähe gerauscht – versank er, die Augen noch von wehmüthigen Thränen naß, in einen tiefen Schlummer. Wie lange er geschlafen, wußte er nicht; ob er nachher geträumt, oder wirklich gesehen, was ihm erschienen, blieb ein nie mehr zu enthüllendes Räthsel. Genug, er glaubte mitten in der Nacht zu erwachen, und jeden Raum in der weiten Kirche, bis in die entferntesten Winkel, von einem überirdischen Lichte erleuchtet zu sehen, das mit der Klarheit des Tages den Silberschein des Mondes und[126] den rosigen Schimmer der Abendröthe verband. Vor ihm aber stand ein weibliches Wesen, in ein schlohweißes Gewand, wie eine wallende Wolke, gehüllt, und zwei Augen funkelten ihm aus der Wolke entgegen, gleich Sternen in einer Decembernacht. Eine Stimme, deren Ton Johny nie genügend beschreiben konnte, deren Zaubermelodie aber jeden Nerve zu stärken, jede Furcht zu beschwichtigen, und frohen Lebensmuth, wie Feuer, in jede Ader zu strömen schien, rief ihm freundlich, in sanft verhallenden Tönen zu: »Mein Sohn! weißt Du, wo Du bist?« Wo ich bin –, erwiederte Johny, sich die Augen reibend. Gewiß – in Holycroß. »Weißt Du auch, daß hier im grauen Alterthume Deine Väter herrschten, und alles Land, was Deine Augen oft von jenem Thurme überblickten, einst ihr Eigenthum war?« Ha! ich ahnete es – o! warum konnten sie es nicht besser bewahren, auf daß ihr Enkel nicht heute in Armuth und Sorge sein saures Brot von fremder Gnade betteln müßte. »Johny!« fuhr die Stimme fort, »laß die Vergangenheit ruhen – von Dir allein wird es abhängen, so groß zu werden, als unsre Voreltern waren, wenn Du Muth mit Klugheit verbindest. Dein Glücksstern brachte Dich grade diese Nacht in die Mauern der Abtei, wo ich, die einst hier gebot, jetzt alle hundert Jahre nur einmal noch erscheinen darf. Wisse denn – daß ein unermeßlicher Schatz, unsrer Familie angehörig, hier vergraben liegt, der, wenn Du ihn erhebst, Dich reicher als einen König machen wird. Doch, John Curtin![127] merke wohl auf, was ich Dir sage, denn ich kam heute zu Deinem Heil, wenn Du es zu nützen verstehst; aber nie siehst Du mich auf dieser Welt wieder. – Du kennst den Hügel über der Abtei, den gesegneten Fleck, wo der Splitter des heiligen Kreuzes bei der Abteiglocke süßem Klange herabfiel, und wo die gute Alte ihrem Sohn begegnete, als er von Jerusalem zurückkam. Du kennst den uralten Taxus-Baum, der dort einsam steht, nahe am Wege, auf der Erhöhung von Erde und Steinen. Dort grabe 6 Fuß weit vom Baum, in der graden Linie des Abteithurms, und grabe 6 Fuß tief. Das Werk muß in der todten Stunde der Nacht vollbracht, und – sey dessen wohl eingedenk! – kein Wort dabei gesprochen werden, oder wehe denen, die es unternahmen!«

Hier schien ein lichter Blitz durch die Kirche zu zucken und ein heiseres Lachen an sein Ohr zu schlagen; Johny fuhr auf wie aus einem Traume, aber tiefe Dunkelheit umfing ihn, und unüberwindliche Schlafsucht drückte ihm von neuem die Augen zu. Als er erwachte, war er nicht wenig erstaunt, sich auf seinem Strohlager bei Dick Cassidy, seinem Vetter, zu finden, ohne alle Erinnerung, wie er zu Hause gekommen. Hatte er wirklich nur geträumt? war Alles bloß ein Gaukelspiel seiner erhitzten Phantasie? – es mußte wohl so seyn, denn der Wahrheit zu Ehren darf man nicht verbergen, daß Johny, ehe er seiner Lieblings-Ruine zuwandelte, bei einem[128] guten Kameraden den Mittag verbracht, und den Whiskey-Punsch nicht geschont hatte, ja Bridget, die Hausmagd, behauptete sogar, sie habe, als Johny so spät zu Hause kam, gleich gemerkt, daß der Potheen-Geist mächtig in ihm sey, und dieser Geist ist Manchem schon nachher in den seltsamsten Variationen und Formen wieder erschienen, wenn er einmal mit ihm in Gemeinschaft getreten. So sprach Johny zu sich selbst, aber die kältere Vernunft mochte anführen, was sie wollte, immer richteten sich seine Schritte nach der Gegend der Abtei, und wenn er den einsamen Taxus-Baum nur von fern erblickte, schlug ihm das Herz stärker, das Blut schoß ihm in die Wangen, und Bilder künftiger Größe gaukelten vor seinem innern Auge, immer bunter und glänzender, umher. Der Dämon der Begehrlichkeit hatte Besitz von seiner Seele genommen. – Er beschloß endlich seinen Verwandten, der ein bedächtiger und verständiger Mann war, zum Vertrauten zu machen, und seinem Ermessen die Sache anheim zu stellen. Wider Vermuthen nahm Dyk die Eröffnung weit gläubiger auf, als Johny gehofft, und Habsucht und Aberglauben, von denen auch der Alte nicht frei war, entschieden beide schnell zur That. Man kam überein, daß der Versuch so schleunig als möglich gemacht, und der Schatz, sobald er gehoben, treulich unter Beide vertheilt werden solle.

Nach einem guten Abendessen, und mehr als einem Glase Blessed Whiskey zur Herzstärkung, machte[129] sich Dyk und Johny auf den Weg. Sie mußten nahe unter den Mauern von Holycroß vorüber, und der Wind, der sich stürmisch zu erheben begann, schüttelte die Aeste der alten Eschen so schaurig, rauschte so hohl und dumpf durch den dicht verschlungenen Efeu und warf mit solcher Gewalt große Steine von den Mauern hinab in ihren Weg, daß beiden immer übler zu Muthe ward. Indeß nahmen sie sich zusammen, und schnell über die Brücke eilend, die hier über den Suir führt, richteten sie ihre Schritte eiligst nach dem angezeigten Baum. Sobald sie ihn erreicht, verlor Dyk keinen Augenblick länger, warf seinen Rock ab, maß sorgfältig die sechs Schritte vom Erdhaufen nach dem Abteithurm, und begann auf's emsigste zu graben. Johny folgte schweigend seinem Beispiel, und nachdem so unter manchem innerlichen Stoßgebet und Zeichen des heiligen Kreuzes, eine Stunde verflossen seyn mochte, fühlte Dyk zuerst seinen Spaten auf etwas Hartes stoßen. Die lose Erde wegschaufelnd, fanden sie, daß ein platter breiter Stein vor ihnen lag. Lange quälten sie sich vergebens, ihn von der Stelle zu bringen, und nur nach unsäglicher Anstrengung gelang es ihnen endlich, denselben ein wenig zu lüften, und dann mit Hilfe eiserner Hebel, die sie vorsichtig mitgenommen, völlig umzukippen. Sie wurden dadurch eine schmale Treppe gewahr, und ermuthigt durch die jetzt gewonnene Ueberzeugung, daß die Erscheinung sie nicht betrogen, zündeten sie ihre Blendlaternen an, und stiegen voller Zuversicht, wenn[130] gleich nicht ohne einigen Schauer, Einer nach dem Andern, langsam hinab. Die Stufen führten in eine lange Gallerie, an deren Ende ein schweres eisernes Thor allem weitern Vordringen ein Ende zu machen schien. Näher kommend, fanden sie jedoch einen goldnen Schlüssel darin stecken, der es auch mit Leichtigkeit aufschloß. Sie schritten nun in dem sich gleich darauf wendenden Gange kühn weiter, und bemerkten bald ein anderes Thor, über dem, in Brusthöhe, ein durchsichtiges Gitter ihre Blicke auf sich zog. Johny erhob die Laterne, um Dyk hindurch sehen zu lassen, doch kaum hatte dieser einen Blick hineingeworfen, als er voller Freuden aufschrie: Hurrah, bei Noonans Geist! wir sind gemachte Leute! – Das letzte Wort schwebte noch auf seinen Lippen, als ein furchtbarer Donner krachend das Gewölbe zusammen brach – ein sausender Wirbelwind schlug die Laterne zu Boden, und Johny, flach auf sein Antlitz stürzend, verlor in unnennbarem Graus Gedächtniß und Besinnung. Als er wieder zu sich kam, lag er unter dem einsamen Taxusbaum und eine hohe Flamme spielte, gleich einem riesigen Irrlicht, auf dem Thurme der Abtei. Eine schwarze Figur schien lustig darin zu tanzen, und stärker erscholl, dicht neben ihm, dasselbe heisere Lachen, das er in der Ruine zu hören geglaubt. Wie er aber, von Schrecken bleich, sich nach seinem Vetter umsah, lag, von der Flamme grell erleuchtet, Dyk, mit umgedrehtem Halse, neben ihm, die blau[131] geschwollnen Züge schauderhaft verzerrt, und die starren Augen fest auf Johny gerichtet.


Herzens Julie, ich fürchte, das materielle Leben dieser Tage hat mich ein wenig dumpfsinnig gemacht, und meine Geschichte trägt die Farbe davon. Sie sieht in der That, wie der Traum einer Indigestion aus. Nach einigem Fasten produzire ich Dir indeß vielleicht eine bessere.

En attendant wünsche ich Dir gute Nacht, und angenehmere Träume als dem armen Johny.


Den 20sten.


Ich hatte die Hospitalität der guten Landjunker hier so oft in Contribution gesetzt, daß ich en conscience sie einmal erwiedern mußte, und lud daher vor meiner Abreise heute Alle zu einem kleinen Fest bei mir ein. Früh gab ich ihnen ein Hahnengefecht, car il faut hurler avec les loups, dann Conzert des großen Piper's, einen Spazierritt auf ihren eignen Pferden, und zuletzt grand festin, grande chair et bon feu. Während unsres Rittes kamen wir an eine Stelle, wo vor drei Jahren ein Magistrat, mit Namen Baker, erschossen wurde. Dies war ein Charakter, vollkommen dem der Iffländischen Amtmänner gleich, nur leider ohne eine, ihm entgegenarbeitende,[132] edle Seele. Den Tag vor seinem Tode hatte er noch zu einem Manne, den er, auf vorgegebnen Verdacht revolutionairer Umtriebe, sechs Wochen in Ketten legen lassen, indem er ihn endlich frei ließ, ganz öffentlich gesagt: Vorigen Monat schickte ich zu Euch und verlangte Euch zu sprechen. Ihr kamt nicht, – dafür habe ich Euch jetzt die kleine Lektion gegeben, die Euch künftig, wie ich hoffe, etwas geschmeidiger machen wird. Ist es nicht der Fall, so sollt Ihr in sechs Wochen baumeln, darauf verlaßt Euch! – Die Grafschaft war nämlich damals, nach einer partiellen Empörung, unter martial law (Kriegsgesetz) gestellt, und den Behörden so lange fast unumschränkte Macht eingeräumt, weshalb sie sich Alles erlauben durften. Die Ursache von Bakers Ermordung war von der Art, daß man ihn kaum bemitleiden kann. Er schuldete einem Milchhändler 5000 L. St., theils für gelieferte Waare, theils für baar hergeliehenes Geld, und hatte versprochen, die Summe zu bezahlen, sobald der Mann seine Tochter verheirathen würde, für welche dieselbe als Ausstattung bestimmt war. Der Fall trat nach einigen Jahren ein, und der Milchhändler bat bescheiden um sein Geld. Da indeß Baker ihn immer mit Ausflüchten hinhielt, und er nichts als vague Versprechungen von ihm erhalten konnte, drohte er endlich mit einer gerichtlichen Klage, und reiste auch nach Cork, um sich deshalb mit einem Rechtsgelehrten zu besprechen. Diese Abwesenheit benutzend, erschien Baker schon des andern Tages in seinem[133] Hause, von einem Detachement Soldaten gefolgt, und frug gleisnerisch die, mit ihrem siebenten Kinde eben schwanger gehende Frau, ob sie etwas von im Hause versteckten Waffen wisse, da eine schwere Anklage gegen ihren Mann gemacht worden sey. Diese versicherte guten Muths, daß so etwas in ihrem Hause gewiß nicht existire, da ihr Mann nie sich dergleichen Umtriebe zu Schulden kommen lassen, wie er ja selbst, als sein alter Bekannter, am besten wissen müsse. Gebt wohl acht, was ihr sagt, rief Baker, denn findet man etwas und ihr habt es verläugnet, so verurtheilt Euch das Gesetz ohne Gnade zur lebenslänglichen Transportation. Die Frau blieb bei ihrer Aussage. »Nun wohlan, auf Eure Gefahr! Soldaten!« befahl er, »durchsucht Haus und Scheune aufs genauste, und bringt mir Rapport, was ihr gefunden.« Man fand nichts – als aber unter Bakers eigner Anführung eine zweite Nachsuchung gehalten ward, brachte Jemand eine geladne Pistole hervor, die angeblich unter dem Stroh versteckt gewesen sein sollte, von der man aber immer vermuthet hat, daß Baker sie selbst dahin praktizierte. Die Frau wurde sogleich fortgeschleppt und durch das Corpus delicti bereits als überführt betrachtet, nach kurzem Prozeß zur Transportation verdammt. Ihr Mann kam wenige Tage darauf zurück und suchte Himmel und Erde für ihre Freiheit zu bewegen. Vergebens flehte er, daß man wenigstens ihn an die Stelle der unglücklichen Frau, einer schwangern Mutter von sechs Kindern, nach Botanybay[134] schicken möge. Er offerirte auch das Geschenk der 500 L. St. Aber Baker blieb unerbittlich, den Verzweifelnden höhnisch erinnernd, »daß er dies Geld ja brauche, die Tochter auszustatten, welche,« setzte er hinzu, »ihm jetzt die Wirthschaft führen könne, wenn er anders, in Folge der eingeleiteten Untersuchung, noch eine Wirthschaft behielte. Für das Reisegeld seiner Frau brauche er aber nicht zu sorgen, denn dies übernähme großmüthig das Gouvernement.« Das Gesetz hatte wirklich seinen Lauf, die arme Frau wurde transportirt und ist vielleicht noch in Port Jackson. Aber die zur Wut gebrachten Menschen, ihr Mann, Bruder und noch zwei andere, rächten ihr trauriges Schicksal kurze Zeit darauf, durch Bakers grausame Ermordung, den sie mitten im freien Felde anfielen, gleich einem Wilde hetzten, und endlich mit mehrern Schüssen langsam erlegten. Alle wurden ergriffen und gehangen.

Solche Schaudergeschichten waren damals in dem unglücklichen Lande alltäglich, und noch jetzt kommen ähnliche vor. Daß aber ein solcher Contrast zwischen England und Irland, unter demselben Gouvernement statt finden, und so lange fortbestehen kann, ist für jeden Menschenfreund wahrhaft betrübend, um so mehr, wenn man bedenkt, daß nur unbezwingliche Bigotterie und frühere Raubsucht, deren Beute man nicht wieder herausgeben will, die Ursache, 6000000 Menschen die Opfer davon sind.[135]

Von meinem Feste sage ich nichts. Es glich den andern, und dauerte mehr als zu lange. Nur zweier Anekdoten will ich erwähnen, aus Venus und Bacchus Reiche entlehnt, weil sie mir bemerkenswerth, und die Sitten gut schildernd erscheinen. Ich bitte im Voraus um Verzeihung, wenn die erste Dir ein wenig zu frei vorkommt, aber man kann ohnmöglich wie Du, so vielen Gelagen in der Provinz beiwohnen, ohne auch einmal etwas Verfängliches zu hören. Uebrigens ist das Ganze eine öffentlich verhandelte Kriminal-Geschichte, und insofern wohl auch einem vertrauten Briefe einzuverleiben.

Man neckte einen der Gäste mit seinen Liebesgeschichten, und Jemand meinte, er wäre wohl auch im Stande, es seinem Cousin R..... nachzuthun. Ich frug, was dieser Cousin gethan, und erhielt folgende Auskunft: Voriges Jahr, sagte mein Berichterstatter, brach der Gentleman, von dem die Rede ist, den Hals auf einer Fuchsjagd, was gewiß manche Tugend gerettet hat und auch vielleicht ihn selbst vor einem schlimmern Tode bewahrt, dem er schon einmal ganz nahe war. Die Sache hat in unsrer Kriminal-Geschichte nicht wenig Aufsehen gemacht, und möchte nicht so leicht einen Nachahmer finden.

M.R., schon berühmt durch vielfache Avantüren, stellte lange vergebens der hübschen Tochter eines Pächters nach, ohne daß es ihm gelingen wollte, sie zu einem Rendezvous zu bringen, oder sonst allein zu treffen. Endlich begegnete er ihr einmal, ohnfern[136] ihres Vaters Haus, wie sie eben zum Brunnen ging, zwei Wasserkannen über die Schultern gehangen, und sie mit beiden Händen haltend, wie es hier die Landmädchen zu thun pflegen. Eine Weile mit ihr scherzend und allerlei zärtliche Possen treibend, benutzte er plötzlich ihre vertheidigungslose Stellung und – enfin, es gelang ihm, halb wenigstens gewiß mit Gewalt, alles von ihr zu verlangen, was sie geben konnte. Von den englischen Gesetzen wird so etwas nicht nach Kaiserin Catharine oder Königin Elisabeth Prinzip beurtheilt, sondern als criminelle Gewaltthätigkeit angesehen, und der Delinquent, wenn er durch Zeugen überführt ist, ohne Weiteres gehangen. M. R.....'s Schreck war also nicht gering, als er, noch das weinende Mädchen tröstend, sich aufrichtete und ihre jüngere Schwester hinter derselben stehen sah, die in der gleichen Absicht Wasser zu holen hergekommen war, und das Ganze mit angesehen zu haben schien. »Oh for shame!« (O der Schande!) rief sie entrüstet, »muß ich das von dir erleben, Schwester! Gleich sollen Vater und Mutter alles erfahren!« – Die arme Maria war bei dieser Drohung mehr todt als lebendig, ihr Liebhaber jedoch wußte, mit seltner Fassung und seltner Thatkraft, der Sache eine ganz unerwartete Wendung zu geben. Scheinbar wüthend zog er sein Messer und stürzte auf die jüngere Schwester zu, als wolle er ihr augenblicklich den Mund für immer versiegeln. Halb ohnmächtig vor Schreck sank diese, um Erbarmen flehend, kraftlos zu seinen Füßen hin. – Hier ward ihr dasselbe[137] Schicksal zu Theil, das einige Minuten früher ihre Schwester betroffen. Beide hielten nun zwar reinen Mund, beide aber zwang einige Zeit nachher die Natur zum Geständniß, denn beide wurden schwanger, und gebaren einen Knaben und ein Mädchen. Die Eltern machten die Sache anhängig, sie war klar – das jüngste der Mädchen überdies erst 13 Jahr alt, und man hielt Hrn. R...... für verloren. Wider alles Vermuthen erklärte ihn indeß die mitleidige Jury (que tant de valeur sans doute avait désarmé) für not guilty (nicht schuldig) weil, auf eingefordertes Gutachten, der Stadtarzt gefällig erklärt hätte: daß der Fall unmöglich sey. Voilà une belle occasion de disputer pour les Jurisconsultes et les médecins. Die mauvais plaisans behaupteten, daß vor diesem Prozeß Mr. R...... den Weibern gefährlich gewesen, nachher aber unwiderstehlich geworden sey.

Nun zur zweiten Erzählung:

Vor ohngefähr zehn Jahren gab Lord L....., der da mals fast für unüberwindlich vis à vis einer Batterie Whiskey-Punsch-Gläser gehalten wurde, ein großes Diné, dessen Hauptzweck effrenirtes Trinken war, eine Mode, die jetzt, im Verhältniß wenigstens, immer mehr abgenommen hat. Es war damals etwas ganz Gewöhnliches, sich mit einem Fasse Wein und einer lustigen Gesellschaft einzuschließen, und das Gemach nicht eher zu verlassen, bis der letzte Tropfen geleert war. Burrington spricht in seinen[138] Memoiren von einer ähnlichen Parthie, die in einem Jagdhause statt fand, wo erst den Tag vorher die Wand mit Mörtel bekleidet worden war, der noch nicht zum Trocknen Zeit gehabt hatte. Hier schloß man sich auf diese Weise mit einer Tonne, eben von Frankreich angekommenen Claret's, ein, und als am Morgen die gegen die Wand getaumelten Mitglieder aus ihrem Rausche erwachten, fanden sie sich so fest mit derselben identificirt, daß sie später davon abgeschnitten werden mußten, einige mit Verlust ihres Haars, andere ihrer Kleider.

Ein Diné in ähnlichem Genre, gab auch Lord L..... Die sehr zahlreiche Gesellschaft ward bald überaus lustig und geräuschvoll, und nachdem die Augen weniger scharf und die Zungen stammelnder geworden waren, hörte Lord L..... mehreremal vom untern Ende der Tafel rufen: O Serjeant Scully! that won't do! Fair play Mr. Scully! (O Sergeant Scully, das geht nicht an! Ehrlich Spiel Herr Scully!) Dieser Scully war Sergeant in dem Milizcorps der Gutsbesitzer, das Lord L..... kommandirte, und sonst als ein sehr determinirter Trinker bekannt. Lord L.... also, der glaubte, er weigere sich sein Glas weiter zu füllen, ward höchst entrüstet, und rief ihm laut über den Tisch zu: Schämt Euch Scully! Euch so nöthigen zu lassen! Allons, gleich füllt Euer Glas! Irland für immer. O Mylord, ertönten hier mehrere klägliche Stimmen, Euer Herrlichkeit sind ganz im Irrthum. Sergeant Scully hat zwei Gläser[139] vor sich stehen, die er beständig füllt, während wir nur eins erhalten; solche Bevortheilung wollen wir aber nicht länger dulden!

Seitdem ist es in ganz Irland zum Sprichwort geworden, wenn einer mehr als alle Andere thut, oder doppelten Vortheil aus einer Sache zieht, zu sagen: Er nimmt sich ein Beispiel an Sergeant Scully.

Als man keine Anekdoten mehr zu erzählen wußte, wurden allerlei Kunststücke und tours de force gemacht, worunter ich Eins noch nie gesehen hatte. Es ist nur ein Experiment mit einem Hahn, das jeder nachmachen kann, aber doch ziemlich sonderbar. Das wildeste und böseste Thier dieser Art wird nämlich sogleich bewegungslos, und vermocht, so lange man will, in totenähnlicher Ruhe auf dem Tische liegen zu bleiben, den Schnabel vor sich hingestreckt und die Augen keinen Augenblick von einer weißen Linie verwendend, die vor ihm hingezeichnet ist. Man thut weiter nichts, als diese grade Linie vorher auf dem Tische mit Kreide zu zeichnen, den Hahn dann mit beiden Händen zu fassen und mit dem Schnabel auf der Linie fortzuschieben. Dann drückt man ihn auf den Tisch auf, und er wird so lange liegen bleiben, ohne sich zu rühren, bis man ihn wieder wegnimmt. Das Experiment kann jedoch nur bei Licht gemacht werden.

Voilà de grandes bagatelles, mais à la gûerre comme à la gûerre.


[140] Den 22sten.


Da Fitzpatrick der Piper, den ich für gestern hatte kommen lassen, noch heute in der Stadt blieb, benutzte ich dies, um ihn während des Frühstücks privatim in meiner Stube spielen zu lassen, und dabei sein Instrument genauer zu betrachten. Es ist, wie Du schon weißt, Irland eigenthümlich, und eine seltsame Mischung alter und neuer Jahrhunderte darin sichtbar. Der ursprüngliche, einfache Dudelsack hat sich in ihm mit der Flöte, der Hoboe, und einzelnen Orgel- und Bassontönen, vermählt. Alles zusammen bildet ein fremdartiges, aber ziemlich vollständiges Concert. Der kleine elegante Blasebalg, der damit verbunden ist, wird vermöge eines seidenen Bandes am linken Arme befestigt, und der, zwischen ihm und dem Sack kommunizirende, Windschlauch, über den Leib gelegt, während die Hände auf einem, mit Löchern, gleich einem Flageolet, versehenen, aufrecht stehenden Rohre spielen, welches das Ende des Instruments bildet, und mit fünf bis sechs andern kürzeren, die einer colossalen Papagenoflöte ähnlich sind, in Verbindung steht. Während des Spiels geht der rechte Arm unaufhörlich vom Körper ab und zu, um den Blasebalg in Athem zu erhalten. Das Oeffnen einer Klappe bringt einen tiefen, summenden Ton hervor, der während dem übrigen Spiel unisono mit fortgeht, und dem Forte-Zug des Piano's ähnlich wirkt. Durch das Agitiren des ganzen Körpers, sowie des vorher beschriebenen Rohres brachte Fitzpatrick[141] Laute hervor, die kein andres Instrument besitzt. Der Anblick des Ganzen, wozu Du Dir den schönen alten Mann mit einem vollen weißen Lockenkopf hinzudenken mußt, ist wirklich sehr originell, so zu sagen: tragikomisch. Seine bagpipe war übrigens besonders prächtig verziert, die Röhren aus Ebenholz mit Silber beschlagen, das Band reich gestickt, und der Sack mit feuerfarbner Seide und silbernen Franzen umgeben.

Ich ließ mir die ältesten irländischen Melodieen aufspielen, wilde Compositionen, die gewöhnlich traurig und melancholisch, wie die Gesänge der slavischen Völker, anfangen, zuletzt aber dennoch in einem Gigg, dem irländischen Nationaltanz, oder einer kriegerischen Musik endigen. Eine dieser Melodieen gab das sehr täuschende fac simile einer Fuchsjagd, und eine andere glaubte ich aus dem Jägerchor im Freischützen entlehnt; sie war aber 500 Jahr älter. Les beaux esprits se rencontrent dans tous les âges.

Nach einiger Zeit hörte der Piper plötzlich auf, und sagte lächelnd, mit vieler Anmuth: Es muß Ihnen schon bekannt seyn, gnädiger Herr, daß die irländische bagpipe nüchtern keinen guten Ton hat – sie verlangt den Abend, oder die Stille der Nacht, heitere Gesellschaft und den lieblichen Duft dampfenden Whiskey-Punsches. Erlauben Sie also, daß ich mich jetzt beurlaube.[142]

Ich belohnte den guten Alten reichlich, der mir immer als ein wahrer Repräsentant irischer Nationalität vorschweben wird.

Mit Fitzpatrick nehme auch ich Abschied von Dir, liebste Julie, um mich nach der langen Tour wieder nach Dublin zurück zu begeben, von wo ich meinen nächsten Brief an Dich abzusenden gedenke.


Dein treuer L...

1

Diese werden, wie mein seliger Freund oft rühmte, in Irland besonders gut zubereitet, und bestehen aus Geflügel, das man theils trocken, mit Cayenne-Pfeffer grillirt, theils mit einer brennend starken Sauce, en sauté, servirt.

A.d.H. für etwanige Gourmand's unter den Lesern.

Quelle:
[Hermann von Pückler Muskau]: Briefe eines Verstorbenen. Erster und Zweiter Theil: Ein fragmentarisches Tagebuch aus England, Wales, Irland und Frankreich, geschrieben in den Jahren 1828 und 1829, Band 2, Stuttgart 21831, S. 115-143.
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