Funfzehntes Kapitel.

[56] Wie Gargantua andern Pädagogen untergeben ward.


Inmittelst ward sein Vater gewahr, daß er zwar allerdings fleissig studirt' und alle seine Zeit dran wandte, gleichwohl aber in nichts zuruckt' und, was das ärgst war, davon ganz thörig, dämisch, faslich und blöd im Kopfe ward. Dessen beklagt' er sich eines Tags bey dem Don Philipp des Marays Vicekönig in Papenhöhning: der gab ihm zu verstehen es würd' ihm weit nützlicher seyn gar nichts zu lernen, als solche Bücher unter solchen Lehrmeistern, weil ihr Wissen eitel Viehzeugs, und ihre Weisheit nichts als leeres Stroh wär, welches die guten edeln Geister verbastardirt'[56] und alle Blüth der Jugend erstickt'. Denn zum Beweis daß ihm so sey, sprach er, nehmt einen dieser jungen Knaben her, von der heutigen Welt, der länger nicht als zwey Jahr studirt hat: wo er nicht ein viel besseres Urtheil, bessere Wort und Ausdrück als euer Sohn, einen bessern Anstand und Sittsamkeit vor der Welt hat, so haltet mich euer Lebtag für einen Brenischen Schweineschneider. Dieß gefiel Grandgoschieren sehr wohl, und befahl alsbald daß mans versuchte.

Des Abends beym Imbiß führet' der von Marays seiner jungen Pagen einen, von Ville-Gongis, Eudämon mit Namen herein, so wohl geschmuckt, gestutzt, frisirt, so sauber ausgestäubt, gebügelt und so sittsamen Wesens, daß er vielmehr einem kleinen Engelein als einem Menschen ähnlich sah, und sprach darauf zum Grandgoschier:

Sehet ihr dieses junge Kind hie? Es ist noch nicht zwölf Jahr alt. Lasset uns nun, wenns euch genehm ist, sehen was Unterscheids zwischen der Weisheit eurer matäologischen Fantasten aus der alten Zeit, und unsern jungen Leuten von heut sey. Die Prob gefiel dem Grandgoschier und hieß dem Pagen sein Sach fürtragen. Darauf trat Eudämon, nachdem er seinen Herren den Vicekönig um Erlaubniß dazu gebeten, die Mütz in der Hand, mit klarem Antlitz, rothem Mündlein, unerschrockenen steten Augen, den Blick auf den Gargantua richtend in jugendlicher Bescheidenheit vor ihn hin und fing ihn an zu loben und zu verherrlichen erstlich wegen seiner Tugend und guten Sitten, zweytens wegen seiner Gelahrtheit, drittens wegen seines Adels, viertens um seiner leiblichen Schönheit willen; und zum fünften dann ermahnt' er ihn mit sanften Worten seinem Vater in allen Stücken ehrerbietig und folgsam zu seyn, welcher ihn wohl unterrichten zu lassen so gross Sorge trüg. Schließlich bat er ihn unter seine geringsten Diener mit aufzunehmen; denn grössere Gnaden könnt er ihm dermalen vom Himmel nicht erbitten, als daß ihm nur das Glück zu Theil würd Ihm einen gefälligen Dienst zu erweisen.

Dieß alles ward mit so schicklichen Gebährden, so beredtsamer Stimm, so deutlichem Ausdruck, in so zierlicher Sprach[57] und feinem Latein von ihm fürbracht, daß man ihn eher für einen Gracchus, Cicero oder Aemilius der Vorzeit als für einen jungen Knaben dieses Jahrhunderts gehalten hätt. Dagegen bestund des Gargantuä ganze Antwort und Contenanz in weiter nichts, als daß er euch wie eine Kuh zu heulen anfing, sein Hütlein vors Gesicht klappt' und man eher einem todten Esel einen Furz hätt entlocken mögen, als ihm auch nur ein einigs Wörtlein.

Darob erzörnet' sich sein Vater so schwer daß er den Meister Zäumlein umbringen wollt: doch der von Marays hielt ihn durch gute Wort noch ab, daß sich sein Zorn in etwas legte. Befahl darauf ihm seinen Lohn baar auszuzahlen, auch ihm noch ein theologisch Mäslein Wein auf den Weg zu stossen. Dann aber, sprach er, kann er zu allen Teufeln gehn. Zu mindest wird er heut seinem Wirt nichts kosten, wenn er etwann so dudeldick wie ein Engelländer sterben sollte. Als Meister Zäumlein aus dem Haus war beratschlagt' Grandgoschier sich mit dem Vicekönig was man ihm für einen Präceptor geben sollt, und ward unter ihnen ausgemacht, zu diesem Amt den Ponokrates, den Pädagogen des Eudämon anzustellen, und sollten all mitsamen gen Paris ziehn, wo sie sich um thun könnten, wie es derzeit mit dem Studiren der jungen Leut in Frankreich bestellt wär.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 56-58.
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