Drey und Funfzigstes Kapitel.

[159] Wie die Abtey der Thelemiten erbauet und fundiret ward.


Zu Bau und Einrichtung der Abtey ließ Gargantua siebenundzwanzighunderttausend achthundert einunddreyssig Langewollen-Hammel baar ausbezahlen, und jedes Jahr bis alles ausgebaut wär, wies er auf das Gefäll der Dive sechzehnhundert neunundsechzigtausend Sonnenthaler an, und eben so viele Siebensternthaler. Zu Fundirung und Unterhalt derselben gab er auf ewige Zeiten dreyundzwanzighundert[159] neunundsechzigtausend fünfhundert vierzehn Rosenobel unablöslich amortisirte Grundrent, zahlbar jährlich an der Abtey-Thür, und fertigt' ihnen gute Stiftbrief darüber aus. Des Gebäudes Figur war hexagonisch, dergestalt daß auf jedes Eck ein dicker runder Thurm zu stehen kam, sechzig Schritt im Durchschnitt ihres Umfangs, und an Dick und Umriß waren sie all einander gleich. Auf der Seit gen Mitternacht lief der Loir-Fluß, an dessen Ufer stund einer von den Thürnen namens Arktike, von da gen Morgen ein andrer, namens Kalaer. Der folgende hieß Anatole. Der folgende Mesembrine, der nächstfolgende Hesperie: Der letzte Kryere. Dreyhundert zwölf Schritt betrug von einem Thurm zum andern der Zwischenraum: zu sechs Gestocken alles erbauet, die Keller im Grund mit eingerechnet. Das zweyte Stock war korbhenkelförmig gewölbt, die andern mit Flandrischem Gyps in Lichtstock-Art bekleidet. Das Dach aus feinem Schiefer mit Bley-Rücken voller kleiner Thier- und Männerfigürlein wohl assortirt und überguldet, wie auch die Regentraufen, die aus der Mauer zwischen den Fensterbögen sprangen, diagonalisch mit Gold und Azur bemalt bis zu ebener Erden, da sie in weite Röhren liefen, welche sämmtlich unter dem Haus in den Fluß ausgingen.

Selbigs Gebäud war tausendmal prächtiger als weder Bonivet noch Chambourg oder auch Chantilly, denn es waren darinn neuntausend dreyhundertzweyunddreyssig Gemächer, jedes mit Hinterkammer, Closet, Kapell, Garderob und Austritt in einen grossen Saal versehen. Zwischen jedem Thurn in Mitten der Mauern des Hauses selbst war[160] eine Schneckentrepp quer durch das Haus gebrochen; die Stufen derselben theils Porphyr, theils numidischer Stein, theils Serpentin, zweyundzwanzig Schuh lang; die Dick betrug drey Finger; der Satz von einer Treppen-Ruh zur andern zu zwölfen gerechnet. In jeder Ruh waren zwo schöne antikische Bögen durch die der Tag einfiel, und kam man durch sie in ein durchbrochnes Gemach von gleichem Umfang mit der Treppen, stieg dann weiter bis über das Dach, da sie in einem Pavillon zu Tag ausging. Nach allen Seiten trat man von dieser Schneckentrepp in einen grossen Saal, und aus den Sälen in die Gemächer und Zimmer. Zwischen den Thürnen Arktike und Kryere waren die schönen grossen Libereyen in Griechisch, Lateinisch, Hebräisch, Französisch, Toskanisch, Hispanisch, nach den Sprachen in die verschiednen Stockwerk vertheilt. Zumittelst war eine wunderbare Schneckentrepp, auf welche man von aussen herein durch einen sechs Klafter breiten Bogen passirt', und war von solchem Umfang und Ebenmaas, daß sechs Reisige die Speer in den Hüften, bis auf das Dach des ganzen Hauses nebeneinander drauf reiten konnten. Zwischen den Thürnen Anatole und Mesembrine waren schöne geräumige Gallerien mit lauter alten Heldenthaten, Historien und Erdbeschreibungen gemalt. Zumittelst war eben ein solches Thor und Stieg wie auf der Wasser-Seiten gemeldet worden, und über dem Thor mit grossen alten Lettern geschrieben was folget:

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 159-161.
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