Fünftes Kapitel.

[196] Von Jugendthaten des edlen Pantagruel.


So nahm Pantagruel täglich zu und gedieh sichtbar. Darob sein Vater sich aus natürlicher Lieb erfreuet', und ihm, wie er noch klein war, eine Armbrust zur Kurzweil machen ließ, nach den Vöglein damit zu schiessen. Heutzutag führt sie den Namen der grossen Armbrust zu Chantelle. Darnach thät er ihn auf Schulen, daß er da lernen und seine jungen Jahr zubringen sollte. Kam derowegen Studienhalber gen Poictiers, und profitirt' da viel. Und weil er an selbigem Ort die Schüler zuweilen gar müssig sah, daß sie nicht wußten wie sie die Zeit sich vertreiben sollten, da jammert' es ihn, und eines Tages brach er von einem grossen Felsen, Passelourdin, oder Fuchsensprung genannt, einen mächtigen Steinblock ab, von ungefähr zwölf Lachtern im Geviert, und vierzehn Stab dick, und stellt' ihn spielend auf vier Pfeilern mitten ins Feld hin, daß die Schüler, wenn sie sonst weiter nichts wüßten, sich die Zeit damit vertrieben auf selbigen Stein hinan zu klettern, mit Flaschen, Schunken und Pasteten oben wacker zu banketiren, auch ihre Namen mit einem Messer drein zu schreiben: itzt nennt man ihn den Hübelstein. Und zum Gedächtniß daran wird bis auf diesen heutigen Tag bey der Universität zu Poictiers Keiner in die Matrikel verzeichnet, er hätt denn zuvor aus dem Rösselbrunn zu Croustelles getrunken, den Fuchsensprung ersprungen, und auf dem Hübelstein sich umgeschaut.

Nach diesem, einmal bey Durchlesung der edeln Chronik seines Hauses, fand er daß Gottfried von Lusignan, Vom grossen Zahne zubenannt, seiner Stiefmutter Sohnes Frauen Oheims Tochtermanns Baasen ältester Schwester Stiefvetters Großvater, zu Maillezais begraben läg. Schwänzt'[197] also eines Tags die Schul, ihm den Besuch zu machen als ein braver Knab, und brach mit etlichen seiner Gesellen zu Poictiers auf, kamen sodann durch Legugé, besuchten den edeln Abt Ardillon, durch Lusignan, durch Sansay, Celles, Colonges, Fontenay le Comte, begrüßten den gelahrten Tiraqueau, und von da gen Maillezais, wo er das Grab des erwähnten Gottfrieds mit dem grossen Zahn besichtigt', jedoch ein wenig vor ihm erschrak als er sein Bild sah: denn er ist dorten als ein wüthiger Mann geschildert, der seinen Malchus halb aus der Scheid ruckt. Wollt also davon die Ursach wissen. Die Chorherrn aber am selbigen Ort wußten ihm weiter nichts zu sagen als pictoribus atque poetis etc. nämlich, daß den Malern und Poeten alles erlaubt wär nach ihrem freyen Belieben zu malen. Er aber ließ sich an dem Bescheid nicht genügen, sondern sprach: er ist nicht ohn Ursach also gemalt; und hat man ihm bey seinem Tod, fürcht ich, ein Unbill zugefügt, dafür er seine Anverwandten zur Rach auffordert. Ich werd mich darnach genauer befragen und thun, was rechtens. – Drauf reist' er weiter, aber nicht wieder gen Poictiers, denn er wollt auch die andern Universitäten in Frankreich sehen; ging also auf Rochelle, von da zur See gen Bourdeaulx, wo er niemand groß studiren sah, ausser die Bootsknecht auf dem Sand das Kockenspiel. Von da gen Thoulouse, an welchem Ort er trefflich tanzen und mit dem Beydenfäuster handiren lernt', wie der Scholaren Brauch auf selbiger Universität ist. Verweilet' aber allda nicht lang als er sah daß sie ihre Lehrer lebendig wie die Rauchhering brieten, und sagt'; das wolle Gott nicht daß ich eines solchen Todes stürb! bin so schon durstig gnug von Natur, brauch mich nicht erst noch mehr zu erhitzen. Nach diesem kam er gen Montpellier, wo er sehr auserlesene Wein von Mirevaulx, und lustige Gesellschaft fand; gedacht daselbst die Arzeneykunst zu studiren, erwog aber daß es ein gar zu[198] leidigs und melancholisches Handwerk wär, und daß die Aerzt nach Klystiren röchen wie alte Teufel. Also wollt er die Recht studiren: doch weil er sah daß von Legisten am Ort nichts war als drey Grindige und ein Kahlkopf, so gesegnet' er ihn, und macht' unterwegs den Pont du Guard und das Amphitheater zu Nismes in noch nicht gar drey Stunden, welches doch mehr ein Götterwerk als von Menschenhänden verfertiget scheint, und kam nach Avignon. Da war er noch nicht drey Tag, so ward er verliebt. Denn die Frauensleut pflegen dort gern des Bürzelspiels, weil es päpstlich Land ist. Welches als sein Präzeptor namens Epistemon sahe, nahm er ihn von da weg und führt' ihn gen Valence im Delphinat. Aber er fand daß dort das Studium nicht weit her war, und daß die Bengels aus der Stadt die Schüler draschen. Dieß verdroß ihn; und als einmal an einem schönen Sonntag alles im Freyen draussen zu Tanze war, wollt auch ein Schüler sich in den Tanz mit mengen, welches die gedachten Bengels nicht leiden wollten. Kaum sah es aber Pantagruel, so gab er ihnen die grosse Pürsch bis zum Rhonestrand so viel ihrer waren; da wollt er sie ersäufen, aber sie pattelten sich wie die Maulwürf wohl einer halben Meilen tief unter die Rhon in das Erdreich ein. Das Loch ist noch allda vorhanden. Verreist' drauf, und mit drey Schritten und einem Satz kam er nach Angiers, wo es ihm ganz wohl gefiel, und wär daselbst ein Weil verblieben, wenn sie die Pest nicht heraus gejagt hätt.

Also kam er dann gen Bourges, wo er eine gute Weil studirt' und in juristischen Scienzien was für sich bracht. Und pflegt' mitunter zu sagen, die Rechtsbücher kämen ihm für wie ein wunderherrlich prunkendes Triumphgewand und Ehrenkleid von Gold, das aber mit Koth verbrämt wär. Denn, sprach er, es giebt in der ganzen Welt keine schönere, auserlesnere noch zierlicher geschriebene Bücher als die Text[199] der Pandekten sind, aber der Saum daran, ich mein des Accursi Gloß, ist so gar schmutzig, niederträchtig und voll Stanks, daß es ein rechtes Vomitiv und ein unfläthiger Abschaum ist. – Von Bourges weiter ging er gen Orleans; da fand er ein gutes Lümmel-Häuflein von Scholaren, die gaben ihm groß Traktament zum Willkomm, und in kurzer Zeit lernt' er von ihnen den Ballenschlag so aus dem Grund, daß er drinn Meister ward: denn die Studenten allda sind trefflich wohl geübt darinn: und führten ihn auch dann und wann auf die Inseln über, zum Boselspiel. Und daß er ihm den Kopf etwann mit vielem Studiren zerbrochen hätt, das ließ er fein bleiben aus Furcht blödsichtig davon zu werden: zumal ein Professorischer Quidam in seinen Lectionen öfters lehret' daß nichts den Augen so schädlich sey als das Augen-Uebel. Und eines Tags, als seiner guten Bekannten und Mitschüler einer zum Lizenziaten der Recht creirt ward, der, ob er schon von Gelehrsamkeit nicht über sein bescheiden Theil hätt, dafür ein desto besser Tänzer und fertiger Ballenschläger war, schrieb er das Symbolum und Devis der dortigen Lizenziaten; es lautet:


Einen Ball im Hosenschlitze,

In den Händen eine Pritsche,

Ein Gesetzlein in der Mütze,

Einen Lender in den Klaun

Wird man zum Bakalar gehaun.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 196-200.
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