Funfzehntes Kapitel.

[245] Wie Panurg eine fast neue Mod die Mauern von Paris zu bauen angab.


Pantagruel spaziert' einmal, von seinem Studiren sich zu erholen, nach der Vorstadt Sainct Marceau; wollt da die Guobelins-Possen sehen. Panurg war mit ihm, der allezeit das Fläschlein und etliche Schunkenschnitten unter dem Mantel bey sich führt': denn anders ging er niemals aus, nannt es sein Leibwehr, einen andern Degen trug er gar nicht; und als ihm Pantagruel einen geben wollt, dankt er schön', denn, sagt' er, er erhitzt mir nur die Milz. – Wenn man dich aber nun anfiel, sprach Epistemon, womit wolltest du dich wehren? – Mit guten Stiefeltritten, versetzt' er, nur die langen Stoßklingen müßten verboten seyn. – Auf dem Rückweg schaut sich Panurg die Mauern der Stadt Paris an und sprach spottweis zum Pantagruel: Seht nur einmal die schönen Mauern! O wie so fest und wehrhaft sie sind zu Käfigen für die jungen Huschegänslein. Bey meinem Bart! für einen Ort wie dieser sind sie lausig genug; denn wenn eine Kuh einen Furz läßt, fallen euch mehr denn sechs Klaftern ein. – O mein Freund, sprach Pantagruel, weißt du auch was Agesilaus zur Antwort gab als man ihn frug, warum die große Stadt Lacedämon nicht[245] mit Ringmauern umgeben wär? Er wies auf die so kriegserfahrenen, wohl bewappneten tapfern Bürger und Einwohner der Stadt und sprach: da sind die Mauern! anzuzeigen daß die beste Mauer aus Knochen bestehn müss, und keine Stadt noch Festung sich eines stärkeren Schirms noch Bollwerks als der Tugend ihrer Bürger und Einwohner zu getrösten hab. So ist denn eben auch diese Stadt durch die Meng ihres streitbaren Volkes so stark, daß sie um andre Mauern nicht sorgen darf.

Zudem, wenn man sie so wie Strasburg, Orleans oder Ferrara ummauern wollt; es wär nicht möglich, des grossen Aufwands und unerschwinglichen Kosten halber. – Schon gut, und doch, antwort Panurg, läßt es nicht übel, so ein steinern Gebiß zu haben, wenn der Feind kommt: und wärs auch nur daß man rufen könnt: wer ist da drunten? Und was ihr sagt von den zu diesem Mauerbau erförderlichen schweren Kosten, wollt ich, wenn mir die Herrn bey der Stadt ein gut Maas Wein verehrten, ihnen wohl eine ganz neue Mod angeben, wie sie sie leichten Kaufes erbauen könnten. – Und wie? frug Pantagrul. – Nun so haltet mir reinen Mund, antwort' Panurg, wenn ichs euch lehre. Ich seh, es sind die Fitzlibutzli der Weiber hie zu Land wohlfeiler als die Baustein: von diesen müßt man die Mauern bauen nach gutem Proporz und symmetrischer Architektur, die größten in die erste Reih, dann nach Verjüngung des Eselrückens die mittelmäsigen, und zuletzt die kleinen. Darauf zwischendurch schläng sich ein kleines Gürlandenwerk, in Demantspitzen, wie an dem grossen Thurn zu Bourges, von eben so vielen steifen Plempen wohnhaft im geistlichen Hosenlatz. Wer Teufel wollt solche Mauern zwingen? Kein Erz hält so lang Stich. Und dann, wenn sich die Culverinen erst dran reiben, Blitz! dann sollt ihr sehen, wie die gebenedeyte Frucht der grossen Pocken hagelsdick flugs daran niederrieseln wird, risch wie zehn Teufel! Ueberdem, so schlüg auch das Wetter niemals drein: denn warum? sie sind sämmtlich consacrirt und geweihet. Nur einen Kummer hab[246] ich. – Ho ho ha ha! und welchen? sprach Pantagruel. – Daß die Fliegen drauf so über die Maasen erpicht sind, und sich bald darein versammeln würden und ihr Geschmeiß und Unrath drein thun; da wär die Arbeit gleich verschimpft, und der heilige Vater bestünd mit Schanden. Aber ich weiß einen Rath dafür. Man müßt sie mit feinen Fuchsschwänzlein oder mit derben Farrenwadeln aus der Provinz, gehörig fegen. Hierüber will ich euch itzund gleich, auf unserm Weg zur Suppenschüssel, ein artig Beyspiel aus des Fratris Lubini libro de compotationibus mendicanitum erzählen.

Zur Zeit als die Thier noch reden konnten (s'sind keine drey Tag her) ging ein armer Leu im Wald von Bievre spazieren, betet' im Gehen so sein Brevierlein sacht für sich hin, und führt' ihn der Weg auch unter einem Baum vorbey, darauf ein Schelm von Köhler saß und Holz schlug. Als er den Leuen sahe, warf er mit der Axt nach ihm, und blessirt' ihn enormiter am Schenkel. Darauf hinkt' und haspelt nun der Leu im Wald umher nach Hülf, und lief so lang bis er einen Zimmermann antraf, der ihm seinen Schaden freundlich besahe, bestens säubert', so gut er konnt mit Moos verband und ihm rieth die Wund ja wohl zu fegen, damit die Fliegen nicht drein schmeißten, während er säh wo der Zimmermann das Loch gelassen, und das Kraut pflückt' das gut dafür wär. Wie nun der Leu also geheilt im Wald umherstrich, begab sichs zu derselbigen Zeit daß auch ein steinalt Mütterlein im nämlichen Wald Holz lesen ging, und dürres Reissig zusammenstoppelt'. Als die den Leuen kommen sah, fiel sie vor Schrecken rücklings darnieder, dergestalt daß ihr der Wind Rock, Jup und Hemd bis über die Achseln in die Höh streift'. Welches als der Leu ersah, kam er voll Mitleids herbeygelaufen, ob sie sich irgend Schaden gethan hätt, und gewahret' da ihr Wasistdas. Da rief er laut: ach armes Weib! wer hat dich also übel blessiret? Und während er das sprach erblickt' er einen Fuchs, den rief er an: Gevatter Fuchs! He, ho hallo! komm her, komm hieher! denn es thut Noth.[247]

Als nun der Fuchs gekommen war, sprach er zu ihm: Ach lieber Freund, o mein Gevatter, wie hat man doch dieß brave Weib hie zwischen den Beinen so schändlich blessiret! o der handgreiflichen Solution des Continui! Schau nur die Wund an, wie groß sie ist: gehet sie nicht vom Steiß bis zum Nabel? vier bis fünf Spannen mißt sie gut, ja sechstehalben. Das ist ein Axthieb! Ich sorg, es ist ein alter Schaden. Drum, daß die Fliegen nicht drein kommen, fege ihn tüchtig, ich bitt dich darum; innewendig und aussewendig: du hast einen guten langen Schwanz, fege, mein Freund, ich beschwör' dich, fege, derweil ich lauf und Moos herbeyhol, daß wirs verstopfen; denn also muß man Einer dem Andern helfen und beystehn; ist Gottes Gebot. Nun fege derb, so! fege gut, Freund: denn dieser Schaden will oft gefegt seyn, sonst kann die Person nicht Ruhe finden. So fege denn gut, mein liebes kleines Gevatterlein, Gott hatt dich stattlich mit Schwanz versehen, du hast ihn groß und stark nach Advenant; nun fege tüchtig und laß dichs nicht verdriessen. Ein guter Feger der mit dem Fächel continuirlich fegenzend fegt, wird von den Vögeln nimmer befenchelt. Fege, Fischlein, fege zu, liebs Gäuchel, ich werd auch nicht lang aus seyn. – Lief damit fort, brav Moos zu suchen, und war noch nicht weit weg, da rief er dem Fuchs schon wieder: Nur immer zu, Gevatter, fege! fege nur! und laß nicht ab brav zuzufegen, mein Gevatter! du sollt mir auch Groß-Feger bey der Königin Maria werden ums Wochenlohn, oder beim Kastilianischen Peter. Nur fege, fege nur und nichts weiter! – Der arme Fuchs hielt sich sehr brav, er fegt' zum schönsten links und rechts, innewendig und aussewendig; aber die arge Hexe pfeitzt' und fistet, das stank wie hundert Teufel. Der arme Fuchs war übel daran, denn er wußt nicht mehr auf welche Seit er vor dem Fist-Weihrauch der Alten entschlupfen sollt: und wie er sich so dreht' und wendet', sah er daß zuhinderst noch ein ander Loch war, zwar nicht so groß als das er fegt', daraus ihn dieser so giftige und stinkende Wind anfaucht'.[248] Der Leu kam endlich wieder mit Moos beladen, mehr denn auf achtzehn Ballen ging, und hub mit einem Stock den er sich mitgebracht, es in die Wund zu stopfen an; und hätt bereits an sechzehn Ballen und einen halben hineingefuttert. Da erschrak er: Teufel! ist diese Wund auch tief: es gehen mehr denn zween Fuder Moos drein: nun, es ist Gottes Will, nur zu! und stopft' und stopft'. Da warnt' ihn aber der Fuchs: O mein Gevatter Leu, mein Freund, ich bitt doch, stopfe hie nicht alles Moos her, hebe dir ein wenig auf, denn dahinten ist noch ein ander Löchlein, das müffzet wie fünfhundert Teufel, ich bin von dem Schwaden schier erstickt, so stinket es. – Also sollt man auch diesen Mauern die Fliegen abwehren, und Feger dazu anstellen um das Tagelohn.

Darauf sprach Pantagruel: Wie weißt du aber daß die heimlichen Glieder der Frauen so wohlfeil sind? Denn in dieser Stadt giebt es viel ehrbare, züchtige Frauen und Fräulein. – Et ubi findimus? antwort Panurg. Will euch hievon, nicht etwann meine besondere Meinung, sondern die reine Wahrheit sagen, wie sich die Sach natürlich verhält. Daß Ich ihrer vierhundert und siebzehn versohlt hab seit ich hie am Ort bin, und ist doch noch nicht über neun Tag, dessen berühm ich mich weiter nicht; doch waren euch stolze Himmelsbräut und Heiligenfresserinnen darunter. Heutmorgen aber bin ich einem frommen ehrlichen Menschen begegnet, der trug in einem Quersack, wie Aesöpels seiner, zween junge Dirnlein, zwey bis drey Jahr alt aufs höchst gerechnet, die eine hinten, die andre vorn. Er wollt von mir ein Almosen haben, aber ich gab ihm zum Bescheid daß ich mehr Eyer denn Geld im Sack hätt, und frug ihn darauf: Mein lieber Mann, sind diese Dirnlein da auch noch Jungfrauen? – Bruder, sprach er, es sind nunmehr zwey Jahr daß ich sie so im Sack trag, und die da vorn, so viel ich glaub, weil ich sie immer vor Augen hab, mag wohl noch eine Jungfer seyn, ich nähm aber drum nicht das Sacrament drauf. Was aber die hinterst anbelangt, von der weiß ich buchstäblich gar nix.

Du bist mir, sprach Pantagruel, führwahr ein artiger[249] Gesell; und will dich in meine Farben kleiden. – Und ließ ihm einen stattlichen Anzug nach damals üblicher Landsart machen, ausgenommen daß Panurg den Latz an seinen Hosen drey Schuh lang, und nicht rund zu haben begehrt', sondern viereckt; wie auch geschah: und trug ihn schwunghaft. Und pflegt' öfters zu sagen, die Welt hätt noch den Nutzen und hohen Ersprieß der langen Lätz gar nicht erkannt: die Zeit würd aber eines Tages ihnen noch lehren wie alle Ding zu ihrer Zeit erfunden wären.

Gott, sprach er, tröst den guten Kerl, dem der lange Latz sein Leben gerettet. Gott tröst Ihn, dem der lange Latz auf einen Tag hundertsechzigtausend neun Thaler einbracht. Gott tröst auch Den, der mittelst des langen Hosenlatzes eine ganze Stadt vom Hungertod erlöset hat! Und helf mir Gott, ich schreib auch noch einmal ein Buch von Commodität der langen Lätz, wenn ich nur etwas mehr Zeit dazu find. Auch verfaßt' er in Wahrheit darüber ein schön groß Buch mit den Figuren: ist aber noch nicht gedruckt, daß ich wüßt.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 245-250.
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