Achtzehntes Kapitel.

[260] Wie ein grosser Gelahrter aus Engelland mit Pantagruel argumentiren wollt, und vom Panurg überwunden ward.


In eben diesen Tagen kam auch ein grundgelahrter Mann mit Namen Thaumastos, auf das Gerücht und den Ruf von Pantagruels unvergleichlicher Weisheit aus Engelland an, in der einigen Absicht ihn zu sehen und kennen zu lernen, und zu erproben ob seine Weisheit fürwahr so groß wär als man sie rühmt'. Rückt' also bald nach seiner Ankunft in Paris, dem Pantagruel vors Quartier, der in dem Hof Sanct Denys wohnt' und mit Panurgen just zu der Zeit auf peripatetisch im Garten spazierend philosophischen Zwiesprach hielt. Zwar bei dem ersten Eintritt schrack er vor[260] Furcht zusamen, da er ihn so groß und stark sah, grüßt' ihn aber alsbald fein höflich nach der Sitt und sprach zu ihm: Wohl ist es wahr, was Plato der Weltweisen Fürst sagt, daß, wenn das Bild der Wissenschaft und Weisheit leibhaft, und den Augen der Sterblichen vernehmlich wär, sie alle Welt zur Bewunderung ihrer Schönheit entzücken würde. Sintemalen schon ihr Ruf in Lüften verbreitet, wenn er den Schülern und Freunden von ihr (den Philosophen) zu Ohren kommt, sie nimmer ruhen noch mit Gemächlichkeit schlafen läßt; also entzündet und spornt er sie, den Orten und Männern zuzulaufen, in denen Wissenschaft ihre Tempel erbaut zu haben und ihre Orakel mitzutheilen versichert wird. Wie es uns deutlich gelehret worden an der Königin von Saba, die von den Grenzen des Aufgangs und dem Perser-Meer gezogen kam, des weisen Salomons Haushalt zu sehen und seine Klugheit zu vernehmen. Am Anarcharsis der aus Scythien um Solons Villen bis nach Athen ging. An Pythagoras der die Wahrsager in Memphis, an Plato, der die ägyptischen Magier und den Archytas von Tarent besucht'. An Apollonius von Tyana, welcher bis zum Berg Kaukasus durch die Scythen, Massageten und Inder, über den großen Strom Physon, ja bis zu den Brachmanen zog, den Hiarchas zu sehen: und von da weiter in Babylonien, Chaldäa, Medien, Assyrien, Parthien, Syrien, Phönizien, Arabien, Palästina, Alexandrien bis tief in Aethiopien, die Gymnosophisten mit Augen zu schauen. Ein gleiches Beispiel haben wir auch am Titus Livius, welchen zu hören und zu sehen viel lehrbegierige Leut nach Rom aus den entlegensten Gauen von Frankreich und Spanien kamen. Ich wag mich nicht in Reih und Glied mit so vollkommenen Männern zu stellen: möcht aber doch für einen Lehrbegierigen gelten, für einen Freund nicht nur des Wissens, sondern auch der Wissenden. Derhalb, sowie zu mir der Ruf von deiner unschätzbaren Weisheit erschollen, hab ich verlassen[261] Vaterland, Haus, Hof und Freundschaft und hieher mich aufgemacht, nicht achtend weder des Weges Läng, der See Unbilden noch Neuheit eines fremden Lands, nur dich zu sehen und mich mit dir über etliche Punkte zu berathen in der Philosophi, Geomanti und Cabal, darin ich Zweifel heg und mein Gemüth nicht beschwichtigen kann. So du mir aber die möchtest lösen, ergeb ich mich dir von Stund an zum Knecht, nebst meinem Saamen für und für; denn andre Gaben hab ich nicht, die ich für wichtig achten möcht es dir zu lohnen. Also will ichs denn schriftlich fassen und auf morgen allen Gelahrten hie in der Stadt zu wissen thun, daß wir vor ihnen drum disputieren öffentlich.

Nun aber merke dir die Art, wie ich zu disputiren meine: ich disputir nicht pro et contra, wie die dummen Sophisten hie am Ort und anderwärts, deßgleichen auch nicht nach der Akademiker Art durch Declamation, noch auch durch Zahlen, wie Pythagoras thät und Picus Mirandula in Rom thun wollte. Sondern ich will disputiren durch Zeichen allein, ohn alle Wort, weil es so steile Materien sind, daß keine menschliche Sprach im Stand ist sie auszudrucken wie ich möcht. Woll also deine Magnificenz sich dabey einzustellen geruhen: wird seyn im grossen Saal von Navarre, morgens sieben Uhr.

Auf Endigung sothaner Red antwort' ihm Pantagruel geziemend und sprach: Lieber Herr, von den Gaben die ich von Gott empfangen hab, möcht ich, soviel an mir ist, niemandem mitzutheilen mich weigern. Denn alles Gute kommt von Ihm, und ist Sein Wille daß es weiter fortgepflanzet werden soll, wenn man mit Leuten zusamen ist, welche dieß himmlische Manna echter Erkenntniß zu empfangen würdig und geschickt sind. Wie ich nun schon vorerkannt daß unter diesen du heutzutag der Erste bist, entbiet ich dir daß du mich auch allstündlich und in allen Stücken, nach meinen schwachen Kräften, dir auf dein Begehr zu dienen willig sollst finden: wenn ich schon zwar eher von dir müßt lernen, denn du von mir. Jedennoch aber, wie du verlangt hast,[262] wollen wir deine Zweifel gemeinsam miteinander beherzigen, und deren Lösung bis auf den Grund des unerschöpflichen Brunnens suchen, darinn nach Heraklitus, die Wahrheit verborgen ist. Auch lob ich höchlich die Art der Unterredung die du erkohren hast, nämlich durch Zeichen ohne Wort: denn damit werden du und ich einander verstehen, unbelästigt von diesem albernen Händegeklatsch, das die Sophisten hie erheben just wenn man bey einem gelehrten Gespräch im besten Argumentiren ist. Werd also morgen nicht verfehlen zu rechter Zeit und an dem Ort, den du mir vorbeschieden hast, mich einzufinden, bitt dich aber: laß allen Streit und Lärmen von uns ferne seyn, nicht unsern Ruhm, noch Lob vor Menschen damit suchen, sondern die Wahrheit lediglich. – Darauf versetzt' Thaumastos: Herr, erhalt dich Gott in seinen Gnaden und lohn es dir daß deine hohe Magnificenz sich also tief zu meiner kleinen Dürftigkeit erniedern will. So Gott befohlen, bis morgen. – Gott befohlen, sprach Pantagruel.

Ihr Herren, die ihr dieß Büchlein leset, glaubt nicht daß jemals in der Welt zwey tiefnachdenklichere Leut, und verzückteren Geistes gewesen wären als selbige ganze Nacht sowohl Thaumastos als Pantagruel. Denn Thaumast sprach zu dem Burgvoigt des Cluny-Hofes, wo er hausirt', daß er in seinem Leben noch nicht so durstig wie diese Nacht sey gewesen. Mir ist, sagt' er, als wenn mich schier Pantagruel bey der Gurgel hätt. Schafft uns zu trinken, ich bitt euch drum, und frisches Wasser, daß ich mir den Gaumen ausspühl!

Andrer Seits warf sich Pantagruel baß ins Zeug, und wälzt' ohn Umsehn die ganze Nacht in einem fort.

Das Buch des Beda, de Numeris et signis.[263]

Das Buch Plotini, de Inenarrabilibus.

Das Buch des Proclus, de Magia.

Die Bücher des Artemidorus, peri Oneirocriticon.

Des Anaxagoras, peri Semeion.

Ynarii, peri Aphaton.

Die Bücher des Philistion.

Hipponax, peri Anecphoneton,

und einen Haufen mehr: bis endlich Panurg ihm zusprach: Gnädiger Herr, entschlagt euch nur all dieser Gedanken und legt euch schlafen: denn ich seh, ihr habt euch den Geist schon so erhitzet, daß euch dieß strenge Studiren bald ein ephemerisch Fieber muß zuziehn. Trinkt lieber noch zuvor ein fünfundzwanzig bis dreyssig gute Schluck, dann legt euch aufs Ohr und schlaft getrost: denn morgen werd ich dem Herren Engelländer schon respondiren und demonstriren; und wo ich ihn euch nicht ad metam non loqui in das Bockshorn jag, so heißt mich einen schlechten Kerlen.

Wohl, sprach Pantagruel, er ist aber erstaunlich gelehrt, mein Freund Panurg! wie wirst du ihn können zufrieden stellen? – Gar leicht, antwortet' Panurg, ich bitt euch, redet nur weiter nicht davon, und laßt mich machen. Kann ein Mensch wohl so gelehrt seyn wie die Teufel? – Fürwahr nicht, sprach Pantagruel, ausser durch Gottes besondere Gnad. – Und gleichwohl, sprach Panurg, hab ich mit denen manch schönes Mal disputirt und sie in den Sack hinein und wieder heraus gebeutelt. Drum macht euch weiter nur keine Sorg um diesen stolzen Engelländer, denn er soll morgen Käslab scheissen vor aller Welt. – Darauf zecht' und knöchelt' Panurg mit den Pagen die ganze Nacht durch,[264] verspielt' seine letzten Hosen-Nestel im Primus Secundus und Riberle: und endlich zu der bestimmten Zeit führt' er seinen Herrn und Meister Pantagruel an den bewußten Ort. Und glaubt nur dreist daß Alt und Jung und was nur Bein in Paris hätt, da nicht aussenblieb. Ein jeder dacht: dieser Teufel Pantagruel, der all die Sorbonischen Laffen und Querköpf so abgetrumpft hat, itzo wird man ihm's Maul auch wischen. Denn dieser Englische ist ein zweyter Teufel von Vauvert. Wir wolln doch sehn wer das Feld behält.

Also nachdem sich alles versammelt, erwartet sie Thaumastos dort, und als Pantagruel mit Panurgen in den Saal trat, fingen all diese Schulfüchs, Artemagistri und Intranten, nach ihrer Kalbsgewohnheit, mit den Händen zu klatschen an.

Aber da erhub Pantagruel seine Stimm so furchtbar laut, daß es klang wie ein Doppel-Kanon, und sprach Ruh! in des Teufels Namen, haltet Ruh ihr Schurken, oder bey Gott, wenn ich mich hie geheyet, hol ich euch allen die Köpf herunter. – Von diesen Worten waren sie sämmtlich wie die wilden Enten verdutzt, und keiner getraut' sich auch nur zu räuspern, und wenn er gleich funfzehn Pfund Flaumenfedern im Hals gehabt hätt. Und waren all von der einigen Stimm schon so durstig worden, daß sie die Zung einen halben Schuh lang aus dem Schlund hingen, gleich als hätt Pantagruel ihnen die Kehlen versalzen.

Jetzt nahm Panurg das Wort und sprach zum Engelländer: Lieber Herr, bist du kommen, strittigerweis über die Sätz so du gestellt hast, zu disputiren, oder aber um Lernens und der Wahrheit willen? – Darauf antwort' ihm Thaumastos: Herr, ich hab weiter keinen Betrieb als Wissenschaft, und redliches Verlangen, dessen daran ich nun mein Lebelang gezweifelt hab, belehrt zu werden, als der ich niemals weder ein Buch noch Menschen funden, die meine[265] vorberegten Zweifel mir hätten zu Dank erledigen mögen. Was aber den streitigen Wort-Zank anlangt, so mag ich ihn nicht, auch ists ein gar armselig Ding, und lass ihn lieber den sophistischen Krippenbeissern, die in ihren Disputationen nicht Wahrheit, sondern nur Widerspruch und Hader suchen.

Also, versetzt Panurg, wenn ich nun, der ich doch nur ein kleiner Schüler meines gnädigen Herren und Meisters Pantagruel bin, dir überall und in allen Stücken genugthun möcht, wär es nicht ziemlich diesen meinen Meister damit zu behelligen. Wär also besser, daß er sich als Schiedsmann unsers Colloquii auf das Katheder stellt' und dir aushülflichen Bescheid erteilte, wo es dir etwann bedünken sollt, als hätt ich deinen Wissensdurst nicht sattsam gestillet. – Wahrlich, sprach Thaumast, dieß ist sehr wohl gesprochen. Laßt uns zur Sach.

Nun merket wohl, daß sich Panurg an seinen langen Hosenlatz ein schönes Quästlein von rother, weisser, grüner und blauer Seiden gehangen, und eine stattliche Pommeranz innewendig hinein gesteckt hätt.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 260-266.
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