Ein und Zwanzigstes Kapitel.

[407] Wie sich Panurg bey einem altfränkischen Poeten, namens Großmurrnebrod Raths erholt.


Hätt ich doch nimmer denken sollen, sprach Pantagruel, daß ein Mensch so starr auf seinem Sinn bestehn könn als ihr thut. Gleichwohl lasset uns, um eure Zweifel aufzuklären, alle Stein in Bewegung setzen. Hört meine Gedanken. Die Schwän, welches dem Apollo geheiligte Vögel sind, singen nicht eher als wann sie zum Sterben kommen, sonderlich im Fluß Mäander in Phrygien. (Dieß sag ich darum, weil Aelian und Alexander Myndius schreiben daß sie ihrer wohl sonst viel hätten sterben sehen, doch keinen im Sterben singen;) so daß des Schwans Gesang ein sicheres Merkmal seines nahen Todes ist, und er nicht stirbt, er hätt denn zuvor gesungen. Deßgleichen werden auch die Poeten, die in des Apollo Schutz stehn, wenn es mit ihnen zum Sterben kommt, gemeiniglich Propheten, singen und offenbaren durch Apollinische Eingebung die Zukunft.

Ferner hab ich oft sagen hören, daß jeder alte hinfällige Mensch vor seinem End unschwer von künftigen Dingen weissag: und entsinn mich daß Aristophanes in einer seiner Comödien die alten Leut Sibyllen nennet, εἱϑ᾽ ὁ γέρων σιβυλλιᾷ (It ho geron si byllia.) Denn wie, wenn wir auf dem Molo stehn und von weitem die Schiffer und Rudrer auf hoher See in ihren Schiffen gewahren, sie blos stillschweigend betrachten, zwar beten für ihre glückliche Herkunft, doch wann sie nun dem Hafen sich nähern, mit Wort und Winken sie begrüssen und uns mit ihnen Glück dazu wünschen daß sie bey uns im sichern Port gelandet sind: so auch die Engel, die Heroen und guten Geifer, (nach der Platoniker Lehr) wann sie die Menschen nah am Tod, als[408] einen guten getreulichen Hafen, dem Hafen der Ruh und des Friedens, frey von irdischer Angst und Bedrängniß sehen, begrüssen sie, trösten sie, reden mit ihnen und fangen schon an den prophetischen Geist ihnen mitzuteilen. Ich will euch hie nicht lang von alten Geschichten reden, von Isaak, Jakob, von Patroklus mit Hektor, von Hektor mit Achilles, von Polymnestor mit Agamemnon und Hekuba, von dem Rhodiser bekannt durch Posidonius, von dem Indier Calanus mit Alexander dem Grossen, von Orodes mit Menzentius und Andern; ich gemahn euch blos an den gelehrten und tapfern Ritter Wilhelm von Bellay, weiland Herrn zu Langey, der auf dem Berg Tarara den zehnten Jenner, seines Alters im Stufenjahr, nach unsrer Rechnung Anno 1543 des Römischen Kalenders starb. Die drey bis vier letzten Stunden vor seinem Hinschied bracht er mit herzhaften Reden zu, darinn er gesetzten und heiteren Geistes uns verkündigte was wir seitdem theils selbst gesehen, theils noch in Zukunft gewärtig sind: obschon uns damals seyn Prophezeyn etwas befremdlich und seltsam deuchte, weil wir von dem, was er uns prophezeyt', dermalen kein Ursach noch prognostisch Zeichen gewahren konnten. Wir haben hie bey Villaumere einen alten Mann und Poeten zugleich, Großmurrnebrod mit Namen, der die grosse Stelz zu andrer Eh nahm, und mit ihr die schöne Bazoch' erzielt'. Ich hör, er lieg itzt in den letzten Zügen und just im rechten Todeskampf. Begebt euch zu ihm, hört seinen Sang an. Vielleicht daß ihr von ihm erlangt was ihr begehrt, und euch Apollo eure Zweifel durch ihn erledigt. – Ich wills, versetzt' Panurg. Komm mit, Epistemon, und das auf der Stell, damit uns nicht der Tod zuvorkomm. Willst auch mit, Bruder Jahn? – Ey wohl, sprach[409] Bruder Jahn, und gern, weil du's bist, mein Cujonel, denn ich bin dir recht von dem Grund der Leber gut.

Machten sich alsobald auf den Weg, und kamen zur Poeten-Klaus, wo sie den guten alten Mann im Sterben mit fröhliger Gebährd, offenem Antlitz und leuchtenden Augen liegen fanden.

Panurg begrüßt' ihn, und steckt' ihm dabey zum Präsent an den Arztfinger der linken Hand ein gülden Reiflein, mit einem schönen grossen orientalischen Sapphir darein gefaßt. Hierauf verehrt' er ihm, nach dem Beyspiel des Sokrates, einen schönen weissen Hahnen, der, sobald man ihn auf sein Bett setzt', voll Freudigkeit das Haupt erhub, die Federn schüttelt' und sofort mit lauter Stimm zu krähen begann. Worauf Panurg ihn höflich bat, ihm über seine Heyrathszweifel sein Urtheil und Ermessen zu sagen.

Der gute Alte befahl daß man ihm Dint, Feder und Papier brächt, welchs alles geschwind verabreicht ward. Da schrieb er wie folget:


Nimm sie, oder nimm sie nicht.

Nimmst du sie, wirds wohl gedeihn,

Nimmst du sie nicht und bleibst allein,

Du handelst als ein kluger Wicht.


Eil mit Weilen, wie man spricht.

Geh ärschlings, wag dich mitten drein.

Rimm sie, nein.


Fast, iß zwei für ein Gericht.

Wo man bauet, da reiß ein.

Wo man einreißt, bau es fein.

Wünsch ihr Tod und Lebenslicht.

Nimm sie, nein.


Gabs ihnen darauf zu Handen, und sprach: Geht, Kindlein, Gott der Allmächtige geleit euch, und plagt mich fürder nicht hiemit, noch sonst mit was es sey. Ich hab heut, als am letzten Tag des Mayen und mein Selbsten, hie aus[410] meinem Haus mit viel Noth und Müh einen Schwarm abscheulicher, säuischer, pestilenzialischer Thier vertrieben, schwarz, scheckig, rothfahl, weiß, grau, sprenklig, die mich nicht wollten sanft sterben lassen und mich mit ihren tückischen Stichen, ihrem Horniß-Ungestüm und Harpyenkniffen, Gott weiß im Rüsthaus welcher untilgbaren Freßgier geschmiedet, aus meinen süssen Gedanken störten, darinn ich verharrend das Glück und Heil so der gütige Gott seinen auserwählten Getreuen im andern Leben und in der ewigen Herrlichkeit aufspart, schon sah, schaut', schmeckt' und mit Händen griff. Flieht ihre Wege, gleicht ihnen nicht, quält mich nicht weiter, und lasset mich in Frieden. Darum fleh ich euch.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 407-411.
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