Acht und Vierzigstes Kapitel.

[505] Wie Pantagruel sich zur Meerfahrt anschickt', und von dem Kraut Pantagruelion.


Wenige Tag darauf, nachdem Pantagruel vom guten Gargantua, unter dessen heissen Gebeten für seinen Sohnes Fahrt sich beurlaubt, traf er im Hafen zu Thalaß bey Sammalo ein, begleitet von Panurgen, Epistemon, Bruder Jahnen von Klopfleisch Abt zu Thelem, und Andern des Hofstaats, sonderlich Xenomane dem grossen Pilgrim und Durchkreuzer gefährlicher Weg, der auf Panurgs Erfordern mit kam, weil er ein Stück von Afterlehnsmann der Salmigundischen Burgvogtey war. Dort angekommen hub Pantagruel Fahrzeug' aus nach Anzahl derer, die weiland Ajax, von Salamis in der griech'schen Convoy vor Troja führte; Piloten, Schiffer, Rudrer, Dolmetscher, Handwerksleut, Kriegsknecht, Mundvorrath, Munition, Geschütz, Geld, Kleider und anderes Geräth zu langer und mißlicher Seefahrt nöthig; das nahm er mit und lud es auf. Auch sah ich ihn unter andern Dingen eine grosse Last von seinem Kraut Pantagruelion zu sich nehmen, so grün und roh, als eingelegt und zubereitet.

Selbigs Kraut Pantagruelion hat eine kleine, weisse, härtliche, rundliche Wurzel, in eine stumpfe Spitz auslaufend, von wenig Zasern, und nicht tiefer als eines halben Armes Läng im Boden steckend. Die Wurzel treibt einen einzigen, runden, gertenförmigen, aussen grünen, innen weissen und hohlen Stengel, wie am Smyrnium, Olus atrum, Bohnen und Gentian: er ist holzig, spröd, gerad, etwas weniges geschärtelt, nach leicht gereifter Säulen Art, voller Fasern, in welchen des Krautes ganzer Werth und Tugend beruhet, absonderlich in denen Theilen die man Mesa oder[506] die Mitt, und Mylasea nennt. Die Höh desselben beträgt gemeinlich fünf bis sechs Schuh.

Bisweilen wächst es aber auch höher den ein Speer, wo nämlich es ein weiches, wäßrigs, leichtes, feuchtes, nicht allzukaltes Erdreich findet, wie Olone, und das um Rosea bey Präneste in Sabinien; und wenn ihm zur Zeit des Sommer-Solstitii und der Fischer-Ferien nicht der Regen abgeht. Und übersteigt die Bäum an Höh (wie ihr dann auch Dendromalache auf Theophrasti Ansehn sagt), obschon es ein alle Jahr absterbend Kraut, keinesweges ein in Wurzel, Stamm, Schaft und Zweigen perennirender Baum ist. Und treibt der Stengel dicke und starke Zweig. Die Blätter sind dreymal so lang als breit, stets grün, rauh wie die Rothe Ochsenzung, härtlich, ringsum eingezackt gleich einer Sichel: und wie Betonia: gehn länglich spitz aus in der Form der Macedonischen Sarissa, oder wie die Lanzettlein so die Wundärzt brauchen. Ihre Gestalt ist vom Eschenblatt und vom Odermennig wenig verschieden und so ähnlich dem Leberkraut, daß mehre Kräutler es das zahme, und das Leberkraut das wilde Pantagruelion zubenamset. Und stehn in Reihen gleicher Weit rund um den Stengel hergereihet, in jeder Ordnung fünf bis sieben. So hat es die Natur geliebt, daß sie in seinen Blättern ihm diese beyden so göttlichen, geheimnißvollen ungleichen Zahlen verliehen hat! Ihr Ruch ist streng, und zarten Nasen nicht sehr behaglich.

Den Saamen aber setzt es an, nah an des Stengels oberster Spitz, nicht weiter darunter; und wächst so reichlich wie bey den ergiebigsten Kräuter-Arten, sphärisch, länglich, rhomboidalisch, schwarz, hell, und etwann lohfahl, härtlich, in mürben Käpslein, ein trefflich Labsal allen Singvögeln, als Hänflingen, Stieglitzen, Lerchen, Finken, Zeislein und andern mehr. Im Menschen aber ertödet er die Saamenkraft, wer viel und häufig davon äß. Und obschon weiland die Griechen daraus allerhand Törtlein, Fricasseen und Krapfen buken, so sie aus Leckerey nach Tisch[507] und um sich zum Wein zu reizen assen; ist er doch gleichwohl schwer zu verdauen, verdirbt den Magen, zeugt böses Blut, erhitzt unmässig das Gehirn, und erfüllt das Haupt mit beschwerlichen und peinlichen Vaporibus. Und wie an mehreren Pflanzen zwo Geschlechter, männlich und weiblich, sind (wie zu ersehn am Lorbeer, Palmbaum, Eich und Steineich, Asphodillen, Alraunen, Farrenkraut, Osterluzey, Holzschwamm, Cypressen, Terebynthen, Päonien, Poley und andern mehr), so auch an diesem Kraut ein männlichs, das keine einige Blüth, doch Saamens die Füll trägt, und ein weibliches, das von weislichen tauben Blüthlein wimmelt, und keinen nutzbaren Saamen bringt: auch, wie die andern seines gleichen, hat es ein breiteres, weicheres Blatt als das Männlein und wächst nicht gar so hoch. Man sähet dieß Pantagruelion mit den ersten Schwalben, und rauft es aus, wann die Heuschrecken heiser werden.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 1, S. 505-508.
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