Drey und Dreyssigstes Kapitel.

[124] Wie Pantagruel bey dem Grimm-Eiland einen ungeheuern Physeter sah.


Am hohen Tag sah Pantagruel in der Gegend des Grimm-Eilands von fern einen ungeheuer grossen Physeter, der brausend, schnarchend, strotzend, höher als die Marsen der Schiff, grad auf uns ankam. Wasser spie er aus seinem Rachen vor sich her, man dacht es wär ein mächtiger Strom, der sich von den Gebirgen stürzte. Pantagruel zeigt' ihn dem Steuermann und Xenomani. Auf des Steuermanns Rath bliesen sämmtliche Trommeten des Thalamegus alsobald Fanfar; auf welches Zeichen sich alle Fahrzeug, Gallionen,[124] Rambergen, Liburnen, nach ihrem See-Dienst, in die Figur und Ordnung stellten wie sie das griechische Y, der Pythagorische Buchstab zeigt, wie ihr die Kranich in ihrem Flug beschreiben sehet, wie an einem spitzigen Winkel, auf dessen Basi und Cono sich der Thalamegus zu tapferm Widerstand bereit hielt.

Bruder Jahn sprang resolut mit den Bombardierern aufs Vorder-Kasteel. Panurg fing kläglicher als jemals zu heulen und zu wimmern an. Willewauwauwau! das geht uns, schrie er, ärger als vorm Jahr. Flieht, flieht! Das ist, schlag mich der Donner; Leviathan, wie ihn Moses der edle Prophet, im Leben des frommen Manns Hiob beschreibt. Er wird uns all mit Mann und Maus wie Pillen verschlucken. In seinem großen höllischen Rachen wägen wir ihm so federleicht wie ein Zuckerkandel in Esels Schlund. Itzt kommt er! flieht! macht daß wir landen! Ich glaub es ist das wahre Meer-Scheusal, das die Andromeda weiland zu fressen erkoren war. Wir sind all verlesen. O käm nur dießmal ihn zu töden, ein tapfrer Perseus! – Bär seys oder Wallfisch, sprach Pantagruel, ich schieß ihn euch: seyd ausser Furcht. – Kreuz Gottes! rief Panurg, schafft uns nur erst aus dem Bereich der Furcht. Wann wollt ihr, daß ich Furcht soll haben, wenn nicht in sichtlicher Todesgefahr?

Wenn euch, antwort Pantagruel, das Schicksal das euch Bruder Jahn jüngst prophezeyt', beschieden ist, müßt ihr euch vor dem Aethon, Phlegon, Piröis und Eous fürchten, den berühmten flammenspeyenden Sonnen-Pferden, die aus den Nüstern Feuer blasen. Vor Physetern, die weiter nichts aus Schlund und Ohren als Wasser spey'n, darf euch nicht grauen. Ihr Wasser ist euch nicht lebensgefährlich. Dieß Element wird euch vielmehr beschützen und vertheidigen, als kränken und schaden.

Glaub's ein Andrer! sprach Panurg: da kommt ihr schief. Potz Fischel! hab ich euch nicht ausführlich vom Wandel der Element belehrt, und wie Braten und Sieden, Sieden und Braten gar leicht mutschiren und symbolisiren? Au au! itz kommts! Ich kriech da 'nunter. Dießmal ists unser[125] Allerletztes. Da droben auf den Marsen sitzt schon die arge Hex die Atropos mit ihren frisch geschliffnen Scheeren, schon ganz parat die Lebensfädlein uns allen zu kippen. Kopf weg! Itzt kommt's! Hu! wie so grausig und scheußlich du bist! Hast ihrer wohl schon mehr ersäuft die sichs nicht weiter berühmet haben. Ja, spie er nur noch alten, guten, roth- und weissen Firne-Wein, für dieß gallenbittre, stinkige Wasser, wärs doch noch einigermasen zu leiden; es wäre eine Art Geduld-Schul für uns, nach dem Beyspiel des Englischen Lords der, seiner Sünden überwiesen, zum Tod nach seiner eignen Wahl verdammt ward, und in einem Faß Malvasier zu ersaufen beliebt'. Itzt kommt er! Hu Teufel! Satanas! Hu Leviathan! Ich kann dich nicht sehn, so gräulich und abscheulich bist du. Marsch, zum Termin, marsch zu den Schick-ans.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 124-126.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gargantua und Pantagruel
Gargantua. Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, 2 Bände
Gargantua und Pantagruel
Gargantua und Pantagruel, in 2 Bdn.
Gargantua und Pantagruel