Sieben und Funfzigstes Kapitel.

[185] Wie Pantagruel an den Wohnort Junker Gasters, ersten Kunst-Meisters der Welt, kam.


Am selben Tag kam Pantagruel auf ein vor andern wunderbares Eiland, theils wegen seiner Lag, als seines Herrn. Es war von unten, auf allen Seiten rauh, gebirgig, steinig, wüst und unfruchtbar; unhold zu sehn, schwer zu begehn, und nicht viel weniger unersteiglich als jener Berg im Delfinat, also genannt weil er die Form eines Pfifferlings hat, und ihn seit Menschengedenken niemand erklimmen konnt als Doyac, König Karls des Achten Feldzeugmeister, der ihn mit wunderwürdigen Maschinen erstieg, und oben nichts als einen alten Widder fand. Nun mocht eins rathen wer den da 'nauf gebracht hätt. Etlich meinten, er wär etwann als ein jung Lämmlein von einem Adler, Huwen,[185] oder Schubut dahin entführet worden, und ins Gebüsch entwischt.

Nachdem wir nun des Berges Fuß mit sauerer Müh und nicht ohn Schweiß erstiegen hatten, fanden wir ihn oben so lustig, fruchtbar, herrlich und gesund, daß ich dacht da wär das wahre irdische Paradiesgärtlein, um dessen Lag die lieben Theologen so disputiren und schwitzen. Pantagruel aber (ohn jedoch gesünderm Urtheil vorzugreifen) versichert' uns daß dort Areten's (das ist der Tugend) Wohnung wär, wie sie Hesiodus beschrieben.

Der Herr davon war Junker Gaster, erster Kunst-Meister auf der Welt. Meint ihr etwann, daß Feuer wär der Groß-Kunstmeister, wie Cicero schreibt; so seyd ihr irr und auf dem Holzweg: denn Cicero glaubt' selbst nicht dran. Meint ihr, Merkur wär der erst' Erfinder der Künst, wie unsre alten Druiden einst glaubten, so schießt ihr weit darneben. Nur des Satyrikers Ausspruch ist wahr, der sagt daß Junker Gaster aller Kunst Magister sey. Einträchtiglich bey ihm hausirt' die gute Dam Penia, alias Nothdurft, der neun Musen Mutter, die, in Gemeinschaft Pori Herrn des Ueberflusses, uns vor Zeiten Amorn gebahr, das edle Kind, den Mittler Himmels und der Erden, wie Plato zeugt in Symposio.

Diesen mannhaften König nun mußten wir nothgedrungen verehren, ihm huldigen und Gehorsam schwören; da half nix: denn er ist herrisch, streng, rund, hart, unbeugsam, eigensinnig. Ihm macht man keine Flausen für, bind ihm nix auf, schwätzt ihm nix ein. Er hört nicht. Und wie die Aegyptier den Gott des Schweigens Harpokras, oder mit griechischem Sigalion, pro astomo, das ist für mundlos erklärten, also ist Gaster ohrlos geboren; wie in Candien auch Jupiters Bildniß ohn Ohren war. Er redt nicht anders[186] als durch Zeichen: aber seinen Zeichen gehorchen alle Völker hurtiger als den Edicten der Prätoren und den Geboten der Könige. Auf seine Citationen nimmt er kein Zaudern, keinen Aufschub an.

Ihr sprecht daß vor des Löwen Brüllen alle Thier in der Rund erzittern, nämlich soweit seine Stimm erschallt. Es steht geschrieben. Es ist wahr. Habs selbst gesehn. Bezeug euch aber: Vor Junker Gasters Willen zittert der ganze Himmel, erbebt die ganze Erd. Sein Will heißt: Itzt friß, oder stirb.

Der Steuermann erzählt' uns wie einst, nach dem Beyspiel der Aesopischen Glieder-Verschwörung wider den Bauch, die ganze Landschaft der Somaten sich wider Ihn verschworen hätt, und den Gehorsam Ihm aufgekündigt: es aber bald gespürt, bereut, und in aller Unterthänigkeit sich Ihm von neuem unterworfen. Wären sonst elend all Hungers gestorben. In keiner Gesellschaft wo Er ist, gilt ein Streit um Rang noch Fürtritt; allzeit geht Er vorauf, und wenn gleich Kaiser und Könige, ja selbst der Papst mit drunter wären. Und auf dem Basler Concilio ging Er vor Allen, wie rebellisch man euch auch sagen mag daß sich das nurgedachte Concilium um die ersten Plätz gezankt und gebissen hab.

Ihm aufzuwarten hat alle Welt zu thun, arbeitet die ganze Welt. Zum Lohn dafür thut Er aber der Welt auch wieder das Gute, daß Er ihr alle Künst, alle Maschinen, Instrument, Gewerk und Subtilitäten erfindet. Den unvernünftigen Thieren selbst lehret Er Künst, die ihnen die Natur verweigert.

Raben, Häher, Papageyen, Staaren macht er zu Dichtern, Atzeln zu Dichterinnen, lehrt ihnen Menschen-Sprach parliren, schwätzen, singen: und alles fürs Ränzel.

Die Adler, Falken, Geyerfalken, Saker, Sprinzen, Habicht, Sperber, Schmerling, wilde Wasser-Zug-Strich-Raub-Stoßvögel zähmt und kirrt er dergestalt, daß Er sie[187] erst beliebig in volle Himmelsfreyheit steigen läßt so hoch Er will, so lang Er Lust hat sie da schwebend, schweifend, fliegend, kreisend hält, Ihm schön thun müssen, Ihm über den Wolken den Fuchsschwanz streichen: dann wieder plötzlich läßt er sie vom Himmel zur Erden herunterstossen: und alles fürs Ränzel.

Die Elephanten, Leuen, Bären, Nashörner, Pferd, Hund läßt er tanzen, hopsen, gumpen, fechten, schwimmen, Versteckens spielen, haschen, hohlen was Er will; und alles fürs Ränzel. Die Fisch in See-und süssem Wasser, Wallfisch und andre Meerunthier treibt er aus ihrem Abgrund auf, jagt die Wölf aus den Wäldern, die Bären aus den Bergen, die Füchs aus den Löchern, schnellt die Schlangen aus der Erd: und alles fürs Ränzel.

Kurz ist so grimmig, daß er in seiner Wuth alles frißt, Menschen und Vieh, wie man gesehen hat bey den Vasconen als Quintus Metellus im Sertorianischen Krieg sie belägert'; in der Belägrung von Sagunt durch Hannibal, Jerusalems durch die Römer, sechshundert Andrer mehr. Und alles fürs Ränzel.

Wenn sich Penia seine Schleusserin erhebt, flugs werden wo sie geht und steht, alle Gerichtshöf zugeschlossen, verstummen alle Edict, erlahmen alle Ordnungen. Keinem Gesetz ist sie verpflicht, von allen frey. Vor ihr flieht jedermann, will lieber allerwegen Schiffbruch im Meer befahren, lieber durch Feuer, Berg und Abgründ laufen als ihr ins Garn.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 185-188.
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