Zweytes Kapitel.

[231] Wie das Läut-Eiland von den Siticinen bewohnt war, so zu Vögeln worden.


Nach überstandnen Fasten gab uns der Kläusner einen Brief an Einen, den er Albian Kamar hieß, Aedituum und Sakristan des Läut-Eilands; wiewohl Panurg nannt ihn zum Gruß Herrn Eseldumm. Es war ein altes kleines gutes glatzköpfigs Männel mit leuchtender Schnut und kupfernem Karfunkel-Antlitz. Er ließ uns auf des Kläusners Fürsprach sehr freundlich an, als er ersah daß wir die Fasten[231] abgewartet, wie vorgedacht: erzählt' uns nach genossenem Imbiß von des Eilands Raritäten, versichernd daß es anfangs von den Siticinen bewohnt gewesen, die jedoch nach dem Natur-Lauf (wie denn alles veränderlich) zu Vögeln worden.

Da sah ich klärlich ein was Pollux, Attejus Capito, Marcellus, Ammonius, Aulus Gellius, Suidas, Athenäus und Andre mehr von den Siticinen und den Sicinnisten geschrieben haben; und ward uns nun ganz leicht zu glauben an Prokne und Nyktimene, Itys, Antigone, Alkmene, Tereus und vieler andern Vögel Verwandlungen; wie wir dann auch von Stund an kaum mehr zweifelten daß die Makrobischen Kinder in Schwän verändert worden und die Männer aus Pallene in Thrazien in Vögel, auf der Stell sie wie sie sich in dem Tritonischen See neunmal gebadet. Hierauf sprach er von weiter nichts mit uns als Vögeln und Vogelbauern. Die Bauer waren groß, herrlich, kostbar, stattlich, reich, und von wunderwürdiger Architektur.

Die Vögel groß, schön, höflich, glatt, manierlich, zierlich, sah'n fast aus wie unsre Leut zu Haus: sie assen und tranken wie Menschen, däu'ten, schmeißten, fisteten, schliefen, rammelten wie Menschen; kurz auf den ersten Blick hätt man gedacht es wären Menschen; und doch war kein Gedank dran, meint' der Aedituus, schwur aber daß sie nichts weniger als profan noch weltlich wären. Auch ihr Gefieder gab uns gar stark zu rathen auf; denn etliche waren schloorweiß, andre rabenschwarz, noch andre aschgrau, wieder andre halb weiß, halb schwarz; andre hochroth, andre blau und weiß gestreift; es war eine Lust sie anzuschaun. Die Männlein nannt er Pfäffling, Münchling, Priesterling, Aebtling, Bischling, Cardinling, und den Papling, welcher einzig in seiner Art ist. Die Weiblein nannt er Pfäffinnen, Münchinen, Priestinen, Aebtinnen, Bischinen, Cardinen,[232] Papinen. Gleichwohl, belehrt' er uns, wie unter die Bienen die Horlsken stossen, die nur alles verderben und fressen, so führ auch nun seit dreyhundert Jahren unter dieß muntre Vögel-Völklein, man wüßt nicht wie es zu ging, immer alle fünf Monat ein ganzer Schwarm Tuckmäuserling die all dieß Eiland rundum versaut und verschändet hätten, ein so unförmlich, scheußlich Volk, daß alles vor ihnen lief; denn ach! sie hatten eitel krumme Häls, Harpyenbäuch, rauhe Esaus-Tatzen und Krallen und Stymphaliden-Aerß, und wär nicht möglich sie auszurotten; für einen den man todtschlüg, kämen gleich fünfundzwanzig andre nach. – Ich für mein Theil wünscht' mir dort einen andern Herkules zur Stell; denn Bruder Jahn kam schier von Sinnen vor tiefer Contemplation, und dem Pantagruel ergings wie weiland Herrn Priapo, als er dem Opferfest der Ceres zusah; sein Lederschurz ward ihm zu kurz.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 231-233.
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