Ein und Zwanzigstes Kapitel.

[285] Wie sich die Königinn nachmittag die Zeit vertrieb.


Nach aufgehobener Mittagstafel führt' uns ein Kachaniner in den Saal der Dame, wo wir sahen, wie sie ihrer Gewohnheit nach, mit ihren Zofen und Kammerherrn nach Tisch die Zeit vertrieb, zerkrümelt', siebbeutelt', todt- und durchschlug durch ein hübsches, grosses Filtrirsäcklein von blau und weisser Seiden, ja vertrieb mit einem Wasserpinsel.[285] Gewahrten dann wie sie sogar des Alterthums Gebräuch erneuernd zusamen tanzten:


Kordax,Mongas,

Emmelia,Thermastris,

Sicinne,Phrygium,

Jambicum,Nikatismum,

Persicum,Thracium,

Calabrismum,Florulum,

Molossicum,Pyrrhichium, und hundert

Cernophorum, andere Tänz.


Hernach besichtigten wir den Palast auf ihr Geheiß, und sahen da so unerhörte Wunderding, daß ich, wenn ich nur daran denk, in meinem Geist noch ganz verzückt bin. Nichts aber überwältigt' uns die Sinnen so mit Staunen, wie die Thaten ihrer Cavalierer, der Abstractoren, Parazonen, Nedibiner, Spodizatoren und andrer, die uns frey heraus und unumwunden versicherten daß ihre Frau Königinn immer nur die rein unmöglichen Ding vollbrächt und die unheilbaren Kranken heilte: sie, ihre Diener, thäten und curirten dann das Uebrige.

So sah ich einen jungen Parazonier die Venerischen, und zwar von allerfeinster Sort, (von den Rouanern wie ihr sprächt) blos damit heilen daß er ihnen den zahnförmigen[286] Rückenwirbel mit einem alten Pantoffel-Fleck dreymal betupft'.

Einen Andern sah ich Wassersüchtige, Tympanisten, Hyposarken, Asciticos, gründlich dadurch heilen, daß er sie mit einem Tenedischen Tschakan neunmal auf die Bäuch hieb, ohn Solution Continui.

Ein Andrer heilt' alle Fieberkranken augenblicklich mit einem Fuchsschwanz, den er ihnen blos linkerhand an den Gürtel hing.

Ein Andrer Zahnweh, blos mittelst dreymal wiederhohlter Waschung der Wurzel des kranken Zahns in Holunder-Essig, und ließ ihn dann eine halbe Stund an der Sonnen treuchen.

Ein Andrer alle Arten Gicht, kalt, warm, zufällig oder erblich, blos damit daß er den Patienten die Mäuler zu, und die Augen aufsperrt'.

Einen Andern sah ich in wenig Stunden neun gute junge Edelleut vom Sanct Franciskus-Uebel heilen, indem er sie ganz schuldenfrey macht', und Jedem eine Schnur um den Hals band, daran zehntausend Sonnenthaler in einem Büchslein befestigt waren.

Ein Andrer schmiß mit wunderbarem Geschick die Häuser zum Fenster 'naus, so warens vom bösen Luft gesäubert.

Ein Andrer heilt' alle drey Arten der Schwindsucht, Macies, Tabes, Atrophi, ohn Bäder, Dörrband, Dropacismus, Lac Tabianum oder andre Specifica, blos damit daß er seine Kranken auf drey Monat ins Kloster schickt'[287] und schwur mir daß sie, wenn sie auch im Kloster-Stand kein Fett ansetzten, gar nimmer fett zu machen wären, weder durch Kunst noch durch Natur.

Dann sah ich wieder Einen, den umringt' ein grosser Haufen Weiber in zwey Banden. Die Einen waren junge, dralle, holde, blonde, zarte und, wie mir schien, gutwillige galante Mädel; die Andern alte, runzliche, triefäugige, zahnlose, gehle, verweste Vetteln: und da erfuhr Pantagruel, daß er die Alten einschmölz und durch seine Kunst sie so verjüngt' und wieder herstellt' wie die Maidlein die wir da sähen, die er nur heut erst umgeschmolzen und ihnen zu derselben Schönheit, Figur, Statur, Anmutigkeit und Proportion verholfen hätt, wie sie mit funfzehn oder sechzehn Jahren hatten, nur mit Ausnahm der Fersen, die itzund an ihnen weit kürzer blieben als sie vormals in ihrer Jugend gewesen wären.

Dieß wär auch Ursach daß sie freylich von nun an leider allzu leicht, sowie sie nur ein Mannsbild anstieß, auf den Rücken zu fallen beführen. – Die Schwadron der Alten harrt' in allergrößter Devotion auf den zweiten Brau, und triebens was sie treiben konnten; meinten es gäb kein ärger Freis als garstig G'sicht und frischen Steiß. Und fehlt' ihm nie in seiner Kunst an Praxis; er verdient' damit ein stattlichs Geld. Pantagruel frug ob er auch die alten Männer durch Einschmelzung verjüngt'. – Nein, sprach er, dieß muß durch Beywohnung geschehn mit einer umgeschmolznen Frau; denn davon kriegt man die fünfte Species des fränkischen Uebels, genannt die Fuchsmauß oder Ophiasis auf Griechisch, mittelst deren Haut und Haar, wie bey den Schlangen jährlich, abgehn; und werden so wie der Arabische Vogel Phönix wieder zu jungen Leuten geboren. Dieß ist der wahre Jugend-Bronnen; da wird jeder alte Krüppel flugs jung, frisch, munter, wie Jolaus im Schauspiel des Euripides, wie Phaon, Sappho's schöner Freund, durch Gunst der Venus: wie Thitonus mit Hülf[288] Aurorens; wie Aeson durch Medeens Kunst, und Jason, der von eben dieser laut Zeugniß des Simonides und Pherecydes aufgefärbt und jung gekocht ward; und wie die Ammen des trauten Bacchus, im Aeschylus, und deren Männer ebenfalls.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 285-289.
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