Ein und Dreyssigstes Kapitel.

[322] Wie wir Hörensagen auf Atlaß-Land sahen, der Zeugen-Schul hielt.


Auf einem etwas weitern Streifzug durch Tapetenland sahen wir das mittelländische Meer ganz offen bis zum Grund und aufgethan, just wie sich das rothe Meer den Kindern Israel im Arabischen Busen auf ihrer Flucht aus Aegypten aufthät. Da fand ich, auf grossen Muscheln blasend den Triton, Glaukus, Proteus, Nereus, und tausend[322] andre Meeresgötter und Ungeheuer. Auch sahen wir da Fisch in unzählbarer Meng von allen Arten, tanzend, fliegend, voltigirend, fechtend, schmausend, promenirend, rammelnd, jagend, Scharmützel liefernd, Hinterhalt den Feinden legend, Frieden schliessend, feilschend, fluchend, schäkernd. Unweit davon in einem Winkel sahn wir den Aristoteles mit einer Latern in gleicher Positur, wie man den Klausner beym Sanct Christoph malt, nach allem gukend, alles beschaun und zu Buch notiren. Hinter ihm, als Zeugen und geschworene Kunden, viel andre Philosophen mehr: Appianus, Heliodorus, Athenäus, Porphyrius, Pankrates, Posidonius, Numenius, Archadianus, Ovidius, Olympius, Oppianus, Agathokles, Leonides, Damostratus, Theophrastus, Mutianus, Nymphodorus, Aelianus, Seleucus und fünfhundert solcher Tagdieb, wie Chrysipp oder Aristarchus von Soli waren, der achtundfunfzig Jahr die Bienen und ihre Lebensart studirt', sonst in der weiten Welt nichts trieb. Sah auch Herrn Peter Gilles bey ihnen, der ein Uringlas in der Hand hielt und diesen schönen Fischen das Wasser in tiefster Abstraction beschaut'.

Nachdem sich Pantagruel Atlaß-Land ein langes und breites betrachtet, rief er: ich hab meine Augen hie lang gespeißt, werd aber doch nimmer satt davon: mein Magen brüllt wie ein Wolf vor Hunger. Kommt, laßt uns essen, essen sag ich, und die Anakampferoten da oben kosten. Fi! Das taugt nix. – Da griff ich auch nach etlichen Myrobalanen, die vor mir an einem Teppichzipfel hingen, aber ich konnt sie nicht beissen noch schlingen; wenn ihrs gekostet, hättet ihr betheuert und geschworen 's wär gezwirnte Seide: weder Saft noch Kraft war drinn; man hätt gedacht daß Heliogabal, wie ein Bullen-Copiam dort seine Mod entnommen hätt die Leut zu füttern die er erst in Hoffnung auf einen reichen, herrlichen Kaiserschmaus den er ihnen versprach, lang hungern ließ, dann aber sie mit wächsernen, marmonen, thönernen, gemalten oder in Tischzeug gewebten Speissen versah. Wie wir uns nun im[323] Land ein wenig nach Futter umsah'n, hörten wir ein vielfach gellendes Getöse, wie Wäscherinnen am Laugenfaß, oder wie die Klappern der Mühlen auf dem Basakel bey Toulouse. Fügten uns also schleunig an den Ort woher es kam, und sahen ein altes kleines buckliges Männlein ganz misgeschaffen und ungestalt, mit Namen Hörensagen: sein Maul war ihm bis an die Ohren gespalten: im Maule sieben Zungen, jede wieder in sieben Stücken zerschlitzt; demohnerachtet führt' er aber zugleich mit allen sieben in verschiedenen Sprachen vielerley verschiedne Reden; auch im Kopf und sonst am Leib umher hätt er so viele Ohren als Argus weiland Augen; übrigens war er stockblind und an den Beinen vom Schlag gelähmt. Ihn umstand eine unzählige Meng Männer und Weiber aufmerksam zuhorchend, und in dieser Schaar erkannt ich ihrer Etliche von ziemlich gutem Aussehn, deren Einer just eine Landkart hielt, und ihnen die in kleinen Sätzlein summarisch erklärt', davon sie dann in wenig Stunden gelahrt und zu Doctoren wurden und von den wunderbarsten Dingen mit trefflichem Gedächtniß schön zu schwätzen wußten; Ding davon ein Hunderttheil nur zu ergreifen, des Menschen Leben allzu kurz wär, als Pyramiden, Babylon, Nil, Troglodyten, Blemmyii, Himantopoden, Kanibalen, Pygmäen, hyperboräische Berg, Aegipanen und alle Teufel; und all's von Hörensagen. Da sah ich den Herodotum, wie mir bedünkt', und Berosum, Melam, Solinum, Plinium, Strabonem, Philostratum, und hundert alte Graubärt mehr, sodann Albertum den grossen Jakobiner, Petrum den Zeugen, Papst Pium den Zweyten, Volateranum, Paulo Jovio den Ehrenmann, Jacques Cartier, den Armenier Chaïton, Marko Paul den Venezianer,[324] den Römer Ludovico, Peter Alvarez, und ich weiß nicht noch was alles für neue Historienschreiber; die staken da hinter einer Tapet und schrieben rare Geschichten nach, ganz ducklings, alles von Hörensagen.

Hinter einem großmauligen Stuck Sammt, mit grossen Mäulern geblümt, stund eine ganze Schaar Mainischer und Percher Landsleut beym Hörensagen, brave Studenten, noch ziemlich jung; und als wir frugen welcher Facultät sie sich beflissen, hörten wir, daß sie daselbst von Jugend auf das Zeugen-Handwerk lernten, auch so gute Fortschritt darinn machten, daß sie wenn sie von dorten ab, und wieder in ihre Heimat gingen, sich von dem Zeugen-Metier anständig nähren könnten, denn sie gäben über alles und jedes, wer ihnen das beste Taglohn zahlt, untrüglich Zeugniß, und zwar alles von Hörensagen. Mögt ihr sie loben oder schelten, ihr Brotschrank stand uns unverschlossen, und wir tranken aus ihrem Fässel auf Gerngesehn. Verwarnten uns auch noch zuletzt wohlmeinend daß wir allezeit so lang nur menschenmöglich wär, die Wahrheit ja fein sparen möchten, wenn wir an Höfen grosser Herren gedeihn und prosperiren wollten.

Quelle:
Rabelais, Franz: Gargantua und Pantagruel. 2 Bände, München, Leipzig 1911, Band 2, S. 322-325.
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