Bet- und Bußgesang

[226] Jesu, der du meine Seele

Hast durch deinen bittern Tod

Aus des Teufels finstern Höle

Samt der schweren Sündennot

Kräftiglich herausgerissen

Und mich solches lassen wissen

Durch dein angenehmes Wort,

Sei doch itzt, o Gott, mein Hort!

Treulich hast du ja gesuchet

Die verlorne Schäfelein,

Als sie liefen, ganz verfluchet,

In der Höllen Pfuhl hinein.

Ja, du Satans Ueberwinder

Hast die hochbetrübte Sünder

So gerufen zu der Buß,

Daß ich billich kommen muß.

Ach, ich bin ein Kind der Sünden,

Ach, ich irre weit und breit;

Es ist nichts bei mir zu finden

Als nur Ungerechtigkeit;

All mein Tichten, all mein Trachten

Heißet unsern Gott verachten,

Böslich leb' ich ganz und gar

Und sehr gottlos immerdar.

Herr, ich muß es ja bekennen,

Daß nichts Gutes wohnt in mir;

Das zwar, was wir wollen nennen,

Halt' ich meiner Seelen für;[226]

Aber Fleisch und Blut zu zwingen

Und das Gute vollenbringen,

Folget gar nicht, wie es sol;

Was ich nicht wil, thu' ich wol.

Aber, Herr, ich kann nicht wissen

Meiner Fehler Meng' allein,

Mein Gemüt ist ganz zerrissen

Durch der Sünden Schmerz und Pein,

Und mein Herz ist matt von Sorgen;

Ach, vergib mir, was verborgen,

Rechne nicht die Missethat,

Die dich, Herr, erzürnet hat.

Jesu, du hast weggenommen

Meine Schulden durch dein Blut,

Laß es, o Erlöser, kommen

Meiner Seligkeit zu gut,

Und dieweil du, sehr zuschlagen,

Hast die Sünd am Kreuz getragen,

Ei, so sprich mich endlich frei,

Daß ich ganz dein eigen sei.

Weil mich auch der Höllen Schrecken

Und des Satans Grimmigkeit

Vielmals pflegen aufzuwecken

Und zu führen in den Streit,

Daß ich schier muß unterligen,

Ach, so hilf, Herr Jesu, siegen,

O du meine Zuversicht,

Laß mich ja verzagen nicht.

Deine rotgefärbte Wunden,

Deine Nägel, Kron' und Grab,

Deine Schenkel, fest gebunden,

Wenden alle Plagen ab;

Deine Pein und blutigs Schwitzen,

Deine Striemen, Schläg' und Ritzen,

Deine Marter, Angst und Stich,

O Herr Jesu, trösten mich.

Wenn ich für Gericht sol treten,

Da man nicht entfliehen kan,[227]

Ach, so wollest du mich retten

Und dich meiner nehmen an.

Du, Herr, kanst allein es stören,

Daß ich nicht den Fluch darf hören:

Ihr zu meiner linken Hand

Seid von mir noch nie erkant.

Du, Herr, gründest meine Schmerzen,

Du, du kennest meine Pein;

Es ist nichts in meinem Herzen

Als dein herber Tod allein:

Dieß mein Herz, mit Leid vermenget,

Durch dein theures Blut besprenget,

Das am Kreuz vergossen ist,

Geb ich dir, Herr Jesu Christ.

Nun, ich weiß, du wirst mir stillen

Mein Gewissen, das mich plagt;

Es wird deine Treu' erfüllen,

Was du selber hast gesagt:

Daß auf dieser weiten Erden

Keiner auch verloren werden,

Sondern ewig leben sol,

Wann er nur ist Glaubens vol.

Herr, ich gläube; hilf mir Schwachen,

Laß uns ja verderben nicht!

Du, du kanst mich stärker machen,

Wann mich Sünd' und Tod anficht.

Deiner Güte wil ich trauen,

Bis ich frölich werde schauen

Dich, Herr Jesu, nach dem Streit

In der süßen Ewigkeit.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 226-228.
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