Blumen des Gartens

[278] Liebster, wilst du meiner warten,

Bis die Sonne bricht herfür,

Und mich führen in den Garten

Durch der Andacht schöne Thür,

Zarter Blumen Lieblichkeit

In der süßen Frühlingszeit

Mit Verwundern zu besehen,

Ei, so kom und laß uns gehen!

Jesu, sol ich deinen Augen

Einmal recht gefällig sein,

Sol mein Schmuck nur etwas taugen,

Sol ich prangen hell und rein

Dir zur Ehr und mir zum Ruhm:

Ei, so must du manche Blum'

An den klaren Tugendbächen,

Mich zu zieren, freundlich brechen.[278]

Ja, du führst mich bei den Händen

Zu dem bunten Blumenheer;

Ach, wohin sol ich mich wenden,

Finden, was ich längst begehr?

Haben dort nicht ihre Stell'

Edle Rosen, die so hell

Und gar rot von Farben blühen,

Daß sie Purpur vorzuziehen?

Aber das so scharfe Stechen

Ihrer Zweiglein thut mir weh;

Herr, du wollst es ja nicht rächen,

Wenn ich leider nochmals geh'

In der schnöden Wollust Bahn,

Wie ich manchen Tag gethan,

So daß ich in Schand und Nöten

Wie die Rose muß erröten.

Lieblich zwar sind diese Rosen,

Dauern doch nur kurze Zeit;

Solt' ich selber mich liebkosen

Wie ein Kind der Eitelkeit?

Nein, die Wollust fliegt dahin;

Auch des Lebens Rauberin,

Unsre Zeit, muß schnell vergehen,

Wie die Rosen nicht bestehen.

Liebster, führe mich nur weiter

Auf das klare Lilienfeld,

Brich mir eine, mein Begleiter!

Bin ich dir doch zugesellt.

Ach, daß solch ein edle Blum'

Ich in deinem Heiligtum

Möcht' in rechter Unschuld heißen

Und von wahrer Tugend gleißen.

Aller Menschen Schmuck und Prangen

Ist doch lauter Trügerei;

Auch kein Kaiser kan's erlangen,

Daß er gleich den Lilien sei.

Wil ich helle Kleider sehn,

Darf ich nur zum Garten gehn,[279]

Wo die Blumen auch erzählen,

Daß uns Christen nichts kan fehlen.

Ei, wie blühen die Narcissen

Und Violen mancher Art!

Gleichwol läßt mein Freund mich wissen,

Daß die Zeit sie nimmer spart.

Was ist unser Leben doch!

Wenn man ist bemühet noch,

Viel zu lernen, viel zu schaffen,

Pflegt der Tod uns hinzuraffen.

Meine Zeit ist fast vergangen:

Führe mich, mein Jesu, hin,

Wo sich stillet mein Verlangen

Und ich selbst dein Blümlein bin,

In das schönste Paradeis,

Wo man nichts zu sagen weiß

Als von Jauchzen, Triumphieren,

Mit den Deinen zu regieren.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 278-280.
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