Hertzliches Danklied eines Gottseligen Christen, wenn er das hochwürdige Abendmahl hat genossen

[265] 1.

O Jesu, Meine Wonne,

Du Meiner Seelen Sonne,

Du freündlichster auf Erden,

Laß Mich dir dankbahr werden!


2.

Wie kan Ich gnugsahm schätzen

Diß Himmelsüss' ergetzen

Und dise theüre Gaben,

Welch' uns gestärket haben?


3.

Wie sol Ichs dir verdanken,

O Herr, daß du Mich Kranken

Gespeiset und getränket,

Ja selbst dich Mir geschenket?


4.

Ich lobe dich von Hertzen

Für alle deine Schmertzen,

Für deine Schläg' und Wunden,

Der du so viel' empfunden.


5.

Dir dank' Ich für dein Leiden,

Den Uhrsprung Meiner Freüden;

Dir dank' Ich für dein Sehnen

Und heiß vergossne Trähnen.


6.

Dir dank' Ich für dein liben,

Das standhaft ist gebliben:

Dir dank' Ich für dein Sterben,

Das Mich dein Reich läst erben.


7.

Itz schmekket Mein Gemühte

Dein' übergrosse Gühte:

Diß theüre Pfand der Gnaden

Tilgt alle Meine Schaden.


8.

Herr, laß Michs nicht vergessen,

Das du Mir zugemessen

Die kräfftig Himmelspeise,

Wofür Mein Hertz dich preise.


9.

Du wollest ja die Sünde,

Welch' Ich annoch empfinde,

Aus Meinem Fleische treiben

Und kräfftig in Mir bleiben.


10.

Nun bin ich loß gezehlet

Von Sünden und vermählet

Mit dir, Mein libstes Leben:

Was kanst du wehrters geben?


11.

Laß, Schönster, Meine Seele

Doch stets in dieser höhle

Des Leibes mit Verlangen

An Deiner Libe hangen!


12.

Laß Mich die Sünde meiden,

Laß Mich gedültig leiden,

Laß Mich mit Andacht behten

Und von der Welt abtreten.


13.

Im Handlen, Wandlen, Essen

Laß nimmer Mich vergessen,

Wie treflich Ich beglükket,

Ja himlisch bin erquikket.


14.

Nun kan Ich nicht verderben:

Drauf wil Ich selig sterben

Und freüdig auferstehen,

O Jesu, dich zu sehen.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 265-266.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon