Die Geschichte von der Wunderlampe.

[138] Ja, beim Kaufmann Haselbauer in Sankt Kathrein ging's uns freilich gut! Es war kein großer Kaufmann, aber Millykerzen, oder, wie wir auf gut deutsch sagten: »Milchkerzen«, hatte er doch zur Auswahl. Bei den Bauern oben in den Bergen wurden wir für die langen Winterabende zumeist mit Spanlicht bedient; das war ein ehrliches, gesundes Licht, welches sich gegen ein landläufiges Kerzenfunzlein ausnahm, wie eine rotwangige Bauerndirne gegen ein schwindsüchtiges Studierfräulein. Wenn wir aber bei solchen Unschlittschwänzlein, wovon sechzehn auf ein Pfund gingen, den ganzen langen Abend nadeln sollten, da sagte mein guter Meister wohl manchmal:

»Hausfrau! Wie dein Licht da, ist mir das ewige Amperl in der Kathreinerkirchen lieber.«

Antwortete die Hausfrau: »Mein Model ist nicht größer,« denn sie goß die Kerzen selber.

»Den Docht nimm größer,« riet der Meister, aber da ging ihr zu viel Unschlitt dran.

Beim Kaufmann jedoch brannten wir Zehner oder gar Achter, heißt das, solche Kerzen, wovon zehn oder acht Stück ein Pfund ausmachten. Die gaben freilich einen fürnehmen Schein, wenn sie ordentlich »geschneuzt«[139] wurden oder wenn kein »Rauber«, wie der niederhängende glimmende Docht hieß, das Fett wegfraß. Und die Millykerzen, die, wie unser Geselle Christian zu berichten wußte, aus Elefantenmili gemacht wurden, gaben also selbstverständlich einen noch viel größeren Schein. Trotzdem besorgten wir alle feineren Arbeiten, als: steppen, knopflochpassepoilieren, stückeln usw., beim lieben Tagesschein und verschoben die gröberen Sachen auf das Elefantenmilikerzenlicht.

Einmal nun im Advent, als wir beim Kaufmann arbeiteten und der Hausherr spät abends weit von Graz heimkehrte und uns um das matte Kerzenlicht kauern und lugen sah, klopfte er den Schnee von seinen Schuhen, blinzelte uns an und sagte: »Na, Schneider, heut' werd' ich wohl brav sein!«

»So!« antwortete mein Meister.

»Weil ich für euch die Gas mit heimgebracht hab'.«

»Fangst du auch an, Karl?« rief der Meister entrüstet, »dich hätt' ich für gescheiter gehalten, als daß du mit dem dummen Spaß ehrsame Handwerker spotten könntest.«

»Geh', Meister, das ist ja nicht so!« beschwichtigte der Karl, »ich meine ja nicht die Gas, die der Mensch melken kann, ich meine die brennende Gas, wie sie in den Städten ist.«

»So redet man deutsch,« brummte mein Meister, »einesteils sagt man nicht die Gas, sondern die Gaiß, oder was noch besser ist, die Ziege; und andersteils heißen die Stadtleute ihren brennenden Dunst das Gas. B ist einmal Schulmeister gewesen, Karl, und weißt das nicht!«

»Brumm nur, brumm, Schneider!« rief der Kaufmann[140] lustig, »bis ich erst das neue Licht anzünde, wirst schon wieder gut werden, darauf wett' ich.«

Und als die neuen Waren ausgepackt wurden, da kam denn eine stattliche Öllampe zum Vorschein und ein langes Rohr aus Glas dazu und ein grüner Papierschirm, und ein Zwilchstreifen und ein feuchtes Fäßlein.

»Was du für Sachen hast!« sagte der Meister.

»Das alles miteinander,« berichtete der Karl, »gehört zum neuen Licht, das aus Amerika gekommen ist – das Petroleum. (Damals wurde die Betonung auf das zweite e gelegt.) Es brennt so hell wie der Tag. Wirst es schon sehen.«

Und er begann, die Lampe aus dem Fäßchen zu füllen und den »Zwilchstreifen« durch das glänzende Ding mit der eichelförmigen, sonderbar geschlitzten Messingkapsel zu ziehen. Dann setzte er die Bestandteile zusammen, zündete das hervorstehende Ende des Dochtstreifens an, stülpte das bauchige Glasrohr auf, daß wir meinten, so eng ums Feuer müsse es zerspringen – und nun sollten wir einmal sehen.

Und wir sahen es. Es war ein trübes Licht, das mit seinem schwarzen stinkenden Rauch alsogleich das ganze Glasrohr schwärzte und wir Schneider einstimmig: »Pfui Teufel!« riefen.

Der Karl drehte an dem seinen Schräublein den Docht weiter auf, da rauchte es noch mehr; er drehte ihn tiefer nieder, da wurde es finster, und wie wir zu lachen begannen, knurrte der Karl während seiner fieberhaft hastigen Versuche: »Na, mir scheint, dieser vertrackte Lampenhändler hat mich sauber angeschmiert! Aber ich hab's ja gesehen in der Stadt, wie das Zeug wunderschön brennt!«[141]

»Probieren's einmal und tun das Glasröhrl weg,« meinte mein Meister, riß seine Finger aber mit einem hellen Auwehschrei vom heißen Zylinder zurück. Dem Karl gelang es, mit einem Lappen das Glas zu entfernen, und nun war ein wüstes Qualmen und das Millykerzenlicht daneben zuckte nicht ohne Schadenfreude hin und her.

Als wir mit der neuen Lampe noch allerlei versucht hatten und als die Stube endlich voll Rauch und Gestank geworden war, schalt der Karl dieser höllischen Flamme ein Schimpfwort zu und blies sie aus.

Die Kerze brannte mit stiller Würde fort und der Meister sagte: »Ja, ja, die Ganzgescheiten heutzutag, bisweilen schmiert sie's halt doch an. Die alten Leut' sind auch keine Esel gewesen.«

»Was ist denn das nachher für ein Öl, das Petroleum?« fragte jetzt der Geselle Christian.

»Das soll aus der Erden herausrinnen,« erklärte der Karl.

»Ja so!« rief der Geselle, »nachher wird's freilich nichts taugen, nachher ist's das helle Wasser.«

»Sei mir still, ich mag nichts mehr hören davon!« sagte der Karl und stellte die so vornehm dastehende und so untaugliche Lampe in den Winkel.

Nun vergingen zwei Tage. Da kam der Thomastag und der Karl und mein Meister gingen früh morgens in die Kirche zur Rorate. Der Christian war bereits für die nahen Feiertage auf Urlaub gegangen. So saß ich allein bei der Millykerze und schneiderte. Nun war aber eine im Hause, die vorhin im Stalle die Kühe gemolken hatte und die sich nach dieser Arbeit auch an meinen Tisch setzte, um an ihr Christtagskleid ein seidenes[142] Schleiflein zu nähen. Sie war siebzehn, ich war neunzehn, und da geht's ohne übermut nicht ab.

»Was stellen wir jetzt an, Hannerl, weil wir so schön allein sind?« das war fürs erste meine bescheidene Anfrage.

»Ich weiß schon was,« antwortete sie, »weil wir so schön allein sind und die Leute alle in der Kirche sind und es noch eine Weile finster bleibt, so zünden wir jetzt die neue Lampe an.«

Wir stellten das Zeug mitten auf den Tisch, wir zündeten den Docht an, der aus der Messingkapsel hervorstand, stülpten das Glas darüber und es war das trübe rußende Licht wie das erstemal. Doch war der Schein so hübsch rosenfarbig, daß er uns fast besser gefiel als das wässerige Kerzenlicht, welches ich denn auch auslöschte.

»Jetzt geben wir's nobel, jetzt haben wir ein Stadtlicht,« bemerkte das Mädchen, hastig nadelnd.

»Ja,« antwortete ich, »was machst denn du eigentlich da?« Und rückte ihr näher. Dabei fand ich, daß man die Lampe etwas mehr abdrehen könnte, um das Rußen zu vermindern. Ich tat's; die Hannerl hob vermittelst der Schürze das Glas, putzte den Docht und beklagte sich, daß sie zu ihrer Arbeit nicht genug sehe.

»Setz' aus,« riet ich ihr, »mußt dir nicht die Augen verderben. Ich will dir was sagen, Hannerl.«

»Wenn's nur auch was Gescheites ist.«

»Dumm ist es nicht. Schau, Dirndl, wir haben jetzt schön Zeit, daß wir uns ein Bussel geben.«

»Ja, was nit noch!« brummte sie und nadelte an ihrer Schleife, ohne aufzublicken.

»'s ist ja zu finster!« sagte ich und dachte ans Nähen.[143]

»'s ist ja zu licht,« flüsterte sie und dachte ans Küssen.

»Dem ist abzuhelfen,« meinte ich und drehte die Lampe noch tiefer nieder, so daß der Docht ganz in die eichelförmige Messingspalte zurückging. Und jetzt war's Licht. Anstatt dem Dunkel, das ich anstrebte, strahlte aus der Spalte eine breite, blendend weiße, rauchlose Flamme hervor. Beide erschraken wir vor dem hellen Schein, der auf Tisch und Wand und auf unseren Gesichtern lag.

»Das Licht!« riefen wir aus, »das Licht!« und haben vor Verwunderung alles andere vergessen.

So sind wir dem Geheimnis der Wunderlampe auf die Spur gekommen, daß man den Docht nicht in die freie Luft hinein stehen lassen, sondern ganz in die Messingspalte versenken müsse, wenn er brennen soll.

Als die Väter von der Kirche zurückkehrten und in der Stube die lichte Herrlichkeit sahen, rief der Karl freudig aus:

»Da haben wir's ja! Wer hat's denn zuweg gebracht?«

Unversehens zwei, die gern im Dunkeln gesessen wären.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 138-144.
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