[31] Zu Ottensen an der Mauer
Der Kirch' ist noch ein Grab,
Darin des Lebens Trauer
Ein Held gelegt hat ab.
Geschrieben ist der Namen
Nicht auf den Leichenstein;
Doch er samt seinem Samen
Wird nie vergessen sein.
Von Braunschweig ist's der Alte,
Karl Wilhelm Ferdinand,
Der vor des Hirnes Spalte
Hier Ruh' im Grabe fand.
[31]
Der Lorbeerkranz entblättert,
Den auf dem Haupt er trug,
Die Stirn vom Schlag zerschmettert,
Der ihn bei Jena schlug;
Nicht, wo er war geboren,
Hat dürfen sterben er:
Von seines Braunschweigs Thoren
Kam irrend er hieher;
Umirrend mit den Scherben
Des Haupts von Land zu Land,
Das, eh' es konnte sterben,
Erst allen Schmerz empfand;
Das erst noch mußte denken
Der Zukunft lange Not,
Eh' es sich durfte senken
Beschwichtigt in den Tod.
Jetzt hat sich's hier gesenket,
Doch hebt sich's, wie man glaubt,
Noch aus der Gruft und denket
Das alte Feldherrnhaupt.
Da sieht es die Befreiung
Nun wohl auf deutscher Flur,
Doch auch von der Entweihung
Die unvertilgte Spur.
Da sieht es der Zwölfhundert
Grabstätte sich so nah',
Und ruft wohl aus verwundert:
Ein Feldherr ward ich ja.
O Feldherrnamt wie grausend!
Um mich, den Feldherrn, her
Gelagert sind die Tausend,
Ein großes Schmerzenheer.
Euch hat auf andern Pfaden,
Und doch aus gleichem Grund,[32]
Der Tod hieher geladen,
Ihr seid mit mir im Bund.
Daß ohne Totenhemde
Ihr auf den Gräbern sitzt,
Das schmerzt mich, weil der Fremde
Noch geht in Purpur itzt.
Ist keiner mehr am Leben,
Den Purpur auszuziehn
Dem Fremden, und zu geben
Euch nackten Toten ihn?
Mit seinen dunklen Schützen
Der Öls, mein wackrer Sohn,
Der könnte wohl euch nützen;
Doch fiel auch der nun schon.
Jetzt kann ich keinen nennen,
Da ihn der Tod geraubt;
Und schmerzlich fühl' ich brennen
Die Spalt' in meinem Haupt.
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