Dritter Auftritt


[101] Der König und Herzog von Alba.


ALBA nähert sich dem König mit ungewisser Miene.

Ein mir so überraschender Befehl –

Zu dieser außerordentlichen Stunde?


Er stutzt, wie er den König genauer betrachtet.


Und dieser Anblick –

KÖNIG hat sich niedergesetzt und das Medaillon auf dem Tische ergriffen. Er sieht den Herzog eine lange Zeit stillschweigend an.

Also wirklich wahr?[101]

Ich habe keinen treuen Diener?

ALBA steht betreten still.

Wie?

KÖNIG.

Ich bin aufs tödlichste gekränkt – man weiß es,

Und niemand, der mich warnte!

ALBA mit einem Blick des Erstaunens.

Eine Kränkung,

Die meinem König gilt und meinem Aug

Entging?

KÖNIG zeigt ihm die Briefe.

Erkennt Ihr diese Hand?

ALBA.

Es ist

Don Carlos' Hand. –

KÖNIG Pause, worin er den Herzog scharf beobachtet.

Vermutet Ihr noch nichts?

Ihr habt vor seinem Ehrgeiz mich gewarnt?

Wars nur sein Ehrgeiz, dieser nur, wovor

Ich zittern sollte?

ALBA.

Ehrgeiz ist ein großes –

Ein weites Wort, worin unendlich viel

Noch liegen kann.

KÖNIG.

Und wißt Ihr nichts Besonders

Mir zu entdecken?

ALBA nach einigem Stillschweigen mit verschlossener Miene.

Ihre Majestät

Vertrauten meiner Wachsamkeit das Reich.

Dem Reiche bin ich mein geheimstes Wissen

Und meine Einsicht schuldig. Was ich sonst

Vermute, denke oder weiß, gehört

Mir eigen zu. Es sind geheiligte

Besitzungen, die der verkaufte Sklave

Wie der Vasall den Königen der Erde

Zurückzuhalten Vorrecht hat- Nicht alles,

Was klar vor meiner Seele steht, ist reif

Genug für meinen König. Will er doch

Befriedigt sein, so muß ich bitten, nicht

Als Herr zu fragen.

KÖNIG gibt ihm die Briefe.

Lest.[102]

ALBA liest und wendet sich erschrocken gegen den König.

Wer war

Der Rasende, dies unglückselge Blatt

In meines Königs Hand zu geben?

KÖNIG.

Was?

So wißt Ihr, wen der Inhalt meint? – Der Name

Ist, wie ich weiß, auf dem Papier vermieden.

ALBA betroffen zurücktretend.

Ich war zu schnell.

KÖNIG.

Ihr wißt?

ALBA nach einigem Bedenken.

Es ist heraus.

Mein Herr befiehlt – ich darf nicht mehr zurücke –

Ich leugn es nicht – ich kenne die Person.

KÖNIG aufstehend in einer schrecklichen Bewegung.

O einen neuen Tod hilf mir erdenken,

Der Rache fürchterlicher Gott! – So klar,

So weltbekannt, so laut ist das Verständnis,

Daß man, des Forschens Mühe überhoben,

Schon auf den ersten Blick es rät – Das ist

Zuviel! Das hab ich nicht gewußt! Das nicht!

Ich also bin der letzte, der es findet!

Der letzte durch mein ganzes Reich –

ALBA wirft sich dem König zu Füßen.

Ja, ich bekenne

Mich schuldig, gnädigster Monarch. Ich schäme

Mich einer feigen Klugheit, die mir da

zu schweigen riet, wo meines Königs Ehre,

Gerechtigkeit und Wahrheit laut genug

Zu reden mich bestürmten – Weil doch alles

Verstummen will – weil die Bezauberung

Der Schönheit aller Männer Zungen bindet,

So seis gewagt, ich rede; weiß ich gleich,

Daß eines Sohns einschmeichelnde Beteurung,

Daß die verführerischen Reizungen,

Die Tränen der Gemahlin –

KÖNIG rasch und heftig.

Stehet auf

Ihr habt mein königliches Wort – Steht auf.

Sprecht unerschrocken.[103]

ALBA aufstehend.

Ihre Majestät

Besinnen sich vielleicht noch jenes Vorfalls

Im Garten zu Aranjuez. Sie fanden

Die Königin von allen ihren Damen

Verlassen – mit zerstörtem Blick – allein

In einer abgelegnen Laube.

KÖNIG.

Ha!

Was werd ich hören? Weiter!

ALBA.

Die Marquisin

Von Mondekar ward aus dem Reich verbannt,

Weil sie Großmut genug besaß, sich schnell

Für ihre Königin zu opfern – Jetzt

Sind wir berichtet – Die Marquisin hatte

Nicht mehr getan, als ihr befohlen worden.

Der Prinz war dort gewesen.

KÖNIG schrecklich auffahrend.

Dort gewesen?

Doch also –

ALBA.

Eines Mannes Spur im Sande,

Die von dem linken Eingang dieser Laube

Nach einer Grotte sich verlor, wo noch

Ein Schnupftuch lag, das der Infant vermißte,

Erweckte gleich Verdacht. Ein Gärtner hatte

Dem Prinzen dort begegnet, und das war,

Beinah auf die Minute ausgerechnet,

Dieselbe Zeit, wo Eure Majestät

Sich in der Laube zeigten.

KÖNIG aus einem finstern Nachsinnen zurückkommend.

Und sie weinte,

Als ich Befremdung blicken ließ! Sie machte

Vor meinem ganzen Hofe mich erröten!

Erröten vor mir selbst – Bei Gott! Ich stand

Wie ein Gerichteter vor ihrer Tugend –


Eine lange und tiefe Stille. Er setzt sich nieder und verhüllt das Gesicht.


Ja, Herzog Alba – Ihr habt recht – Das könnte

Zu etwas Schrecklichem mich führen – Laßt

Mich einen Augenblick allein.

ALBA.

Mein König,[104]

Selbst das entscheidet noch nicht ganz –

KÖNIG nach den Papieren greifend.

Auch das nicht?

Und das? Und wieder das? Und dieser laute

Zusammenklang verdammender Beweise?

O, es ist klärer als das Licht – Was ich

Schon lange Zeit vorausgewußt – Der Frevel

Begann schon da, als ich von Euern Händen

sie in Madrid zuerst empfing – Noch seh ich

Mit diesem Blick des Schreckens, geisterbleich,

Auf meinen grauen Haaren sie verweilen.

Da fing es an, das falsche Spiel!

ALBA.

Dem Prinzen

Starb eine Braut in seiner jungen Mutter.

Schon hatten sie mit Wünschen sich gewiegt,

In feurigen Empfindungen verstanden,

Die ihr der neue Stand verbot. Die Furcht

War schon besiegt, die Furcht, die sonst das erste

Geständnis zu begleiten pflegt, und kühner

Sprach die Verführung in vertrauten Bildern

Erlaubter Rückerinnerung. Verschwistert

Durch Harmonie der Meinung und der Jahre,

Durch gleichen Zwang erzürnt, gehorchten sie

Den Wallungen der Leidenschaft so dreister.

Die Politik griff ihrer Neigung vor;

Ist es zu glauben, mein Monarch, daß sie

Dem Staatsrat diese Vollmacht zuerkannte?

Daß sie die Lüsternheit bezwang, die Wahl

Des Kabinetts aufmerksamer zu prüfen?

Sie war gefaßt auf Liebe und empfing –

Ein Diadem.

KÖNIG beleidigt und mit Bitterkeit.

Ihr unterscheidet sehr –

Sehr weise, Herzog – Ich bewundre Eure

Beredsamkeit. Ich dank Euch.


Aufstehend, kalt und stolz.


Ihr habt recht;

Die Königin hat sehr gefehlt, mir Briefe

Von diesem Inhalt zu verbergen – mir[105]

Die strafbare Erscheinung des Infanten

Im Garten zu verheimlichen. Sie hat

Aus falscher Großmut sehr gefehlt. Ich werde

Sie zu bestrafen wissen.


Er zieht die Glocke.


Wer ist sonst

Im Vorsaal? – Euer, Herzog Alba,

Bedarf ich nicht mehr. Tretet ab.

ALBA.

Sollt ich

Durch meinen Eifer Eurer Majestät

Zum zweitenmal mißfallen haben?

KÖNIG zu einem Pagen, der hereintritt.

Laßt

Domingo kommen.


Der Page geht ab.


Ich vergeb es Euch,

Daß Ihr beinahe zwei Minuten lang

Mich ein Verbrechen hättet fürchten lassen,

Das gegen Euch begangen werden kann.


Alba entfernt sich.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 101-106.
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