Epilog

[288] Der Verstand


Der Fabel leichtes Bild ist nun vollendet;

Besorgnis hat, erst zweifelvoll verschlungen,

In Freud' und Wiederfinden sich gewendet.[288]


Geschwister staunen Brust an Brust umschlungen,

Des Lebens kühnes Spiel ist nicht verloren,

Den alten Ring hat Glaube neu errungen;


Daß jeder Rechte sei von Gott erkoren,

Der rechte Glaube hat uns all' vereinet,

Die Gottheit sinnend wir im Staub geboren.


So schwinde Trübsinn, den wir erst beweinet;

Und laßt, von allem Dunkel frei, uns fragen,

Was jenes lichte Rätselbild nun meinet?


Den Frieden kommt der Held uns anzutragen,

Erkenntnis soll der Zwietracht Kinder töten,

Des Lichtes Gunst will uns die Dichtkunst sagen;


Des reinen Lichtes, dessen Morgenröten,

In ewig gleicher Sonneneinheit strahlen,

Befreit von ird'scher Dämmerung und Nöten.


Dies Eine war das Ziel von seinen Wahlen,

Dies Eine, das die alte Zeit erkannte,

Dies Eine wollt' er neu lebendig malen;


Denn mancher Hohe, den die Welt verkannte

Hatt' es wohl fest, doch also hoch gegründet

Daß sich geblendet weg die Schwachheit wandte.


Der Dichter hätt' es allen gern verkündet,

Des Pöbels Wahnsinn ewig ausgerottet,

In Gottes Klarheit alle ganz verbündet;


Drum wird mit bitterm Spotte hier verspottet,

Was gegen jenes Licht die Sonn' umschwirrend,

In dumpfem Sinn sich dumpf zusammenrottet.


Es webt und gräbt der Geist nur tiefer irrend,

So lang er noch im Irdischen beschränket,

Im Denken auch bedrängt, sich selbst verwirrend;


Doch wenn er hoffnungslos im Schmerz versenket,

Hat schnell er oft des Friedens Born gefunden,

Wenn tief Gefühl in sich zur Quell' ihn lenket!


Erwacht von Traum ist er mit Gott verbunden,

Vernimmt nicht mehr, wie trüber Zweifel höhnet,

Von Kraft und Mut und Licht die Stirn umwunden;[289]


Mit andern ist er nun, mit sich versöhnet,

Des Herzens Trieb' und Stärke neu erstanden,

In immer höherm Licht der Geist verschönet.


Selig der Mann, der schauend das verstanden,

Die Welten all' erkannt in jenem Einen,

Sich selbst befreit von allen ird'schen Banden!


Nun strebt mit Gott den Geist er zu vereinen,

Und wenn ihr Menschen alle ihn verlachtet,

Ihn preis' ich einzig selig, anders keinen.


Der Denker, Dichter, den wir jetzt betrachtet,

Hat auch mit solchem Bild uns vorgeleuchtet,

Das Ziel erreicht, wonach die Forschung trachtet.


Sein Geist hat hell in dunkle Zeit geleuchtet,

Noch manchen künftig wird sein Wort erregen,

Das in des Witzes Schein so sinnvoll leuchtet;


Laßt denn das Köstliche uns sorgsam pflegen,

Wo unbewußt noch Höh'res angedeutet,

Von größern Zeiten, ferner Weisheit Wegen,


Da Stern und Blum' und Erde Himmel deutet,

Der Geist nicht mehr im Kampf mit seinen Zeichen,

Der ew'gen Freuden innre Füll' erbeutet;


Daß seiner Macht die ird'schen Mächte weichen,

Im Worte zaubernd wirkt und blüht das Denken,

Der Gottheit Leben selbst die Sinn' erreichen,

Und in den Abgrund seines Worts sich senken.

Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 288-290.
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