Das 13. Capitel.
Wenn die Kinder schwerlich reden lernen / soll man ihnen Bettel-Brodt zu essen geben.

[36] Wenn sich kein Freund finden will, der dem Kinde eine Klapper verehret, so muß man bedacht seyn, was man sonst vor ein gut Mittel ergreiffe, daß das Kind bald reden lerne. Hiervor haben nun die super-klugen Philosophinnen schon in Vorrath gesorget; Es heisset aber hierbey: Die Kunst gehet betteln; denn Bettel-Brodt ist das Mittel, davon die Kinder bald reden lernen. Es kan auch dieses Mittel nicht fehlen, und ob es gleich eben wie mit der frembden Klapper heraus kommt, indem es frembd[36] Brodt seyn muß, so mag es doch wohl noch besser seyn als die Klapper. Denn an dieser lecken die Kinder nur, mit dem Bettel-Brodt aber fressen sie die Sprachen gar, und beist hernach, als wie von denen super-klugen Weibern gesagt wird: Sie hat die Klugheit gar gefressen. Und was bedürffen die guten Weiber auch den Beweiß weit zu suchen? ists denn nicht genug, daß die Bettel-Kinder solches selbst bezeugen, wenn sie gut betteln, singen, beten, fluchen und plaudern können, wie die tägliche Erfahrung lehret. Aber ihr lieben Weiber, das Ding will mir gleichwohl nicht recht in Kopff; denn wenn ich bedencke, das die Bettel-Kinder eben durch das Reden und Betteln, das Brodt, welches vor den Empfang kein Bettel-Brodt ist, erst zu Bettel-Brodt machen /und solcher gestalt das Brodt, die Krafft der Kinder Rede zu befördern, von denen Bettel-Leuten erlangen müste, so kan der Bettel-Kinder ihre Rede und fertige Zunge, nicht von Bettel-Brodte kommen, und ist demnach eure Meynung gantz ungegründet. Ich will euch aber einen bessern Rath geben, der gewiß die Probe halten wird, nehmlich: Wenn ihr ein Kind wollet bald reden lernen, so sehet zu, daß ihr ein fein klug armes Kind, das fein zierlich redt, bekommet / gebt ihme nothdürfftige Verpflegung, und lasset es mit euern Kinde fleißig spielen und schwatzen / so wette ich, daß euer Kind besser wird reden lernen, als wenn ihr ihme alle Tage etliche Pfund Bettel-Brodt, durch eine dumme Kinder-Wärterin einpfroffen liesse.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 36-37.
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